Kalifornien-Reportage

Auf „New Age“-Spurensuche: Ist die Säuselmusik besser als ihr Ruf?


Inmitten einer Lebenskrise findet unser absolut geschmackssicherer Autor über Umwege zur wohl uncoolsten aller Musikrichtungen: New Age. Getrieben von Abscheu und Faszination macht er sich auf die Suche nach dem Kern dieses Genres und fliegt nach Kalifornien. Dort trifft er Genies und Wahnsinnige, vor allem aber findet er zwischen Heilung und Humbug zu sich selbst.

Umso mehr ich mich auf darauf einließ, verwandelte sich Aeoliah jedoch zu einem faszinierenden Mysterium. Angeblich lebte der mit Engeln kommunizierende Musiker in Deutschland, bevor er mit seiner Familie in die USA emigrierte. Neben Iasos, Constance Demby und Steven Halpern gilt er als Miterfinder der New-Age-Musik. Ende der 80er-Jahre war er sogar so etwas wie ihr Posterboy: rosige Wangen, blonde Locken und ein Lächeln, wie es sonst nur Bodhisattvas auf den Lippen tragen. Donald Trumps Frau Marla erklärte 1993 im US-Frühstücksfernsehen, ihre erste gemeinsame Tochter zu Aeoliahs Album ANGEL LOVE FOR CHILDREN auf die Welt gebracht zu haben. Niemand verkörperte die mystische Aura und die Kommerzialisierung der New-Age-Musik so sehr wie Aeoliah. Dabei wollte der heute 72-Jährige eigentlich bildender Künstler werden. 1979 überkam ihn beim Malen jedoch eine Vision, die ihn in synästhetische Sphären katapultierte. Auf seiner Webseite beschreibt er, wie „Licht, Farbe und Klang plötzlich miteinander verschmolzen“. Das Bild unter seinem Pinsel, es wurde auf einmal hörbar.

Lange hatte Jonathan Fairchild – so Aeoliahs bürgerlicher Name laut Wikipedia – nicht auf meine E-Mails reagiert. Als letzten Versuch hinterlasse ich einen Kommentar unter einem Foto auf seinem Instagram-Account, das ihn mit Gucci-Brille und Speedo am Strand zeigt. Ich erkläre, ich sei ein Bewunderer seiner Kunst, demnächst in seiner Heimatstadt Sedona und dankbar, wenn er mit mir über seine musikalische und spirituelle Praxis sprechen würde. Seine Antwort kommt knapp eine Stunde später: „The timing is perfect. I’m sure we’ll have a lot to share.“

Instagram Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Instagram
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Die von rostroten Felsformationen eingerahmte Wüstenstadt Sedona ist das amerikanische Mekka für New Age. Ganze Ladenzeilen haben sich auf Traumfänger und Tarotkarten spezialisiert. Zum Standardangebot gehören aber auch UFO-Nachtwanderungen („Sightings guaranteed“) und Psychic Readings verschiedenster Ausrichtung („Change Your DNA“). Die weiße Mittelschicht spielt hier Schamane. Auf den Visitenkarten der Heiler stehen Dinge wie: „Venus Contactee“ oder „Galactic Council Ambassador“. Vor dem „New Age Superstore“ erklärt eine Frau um die 60, dass sie gerade in einer Seance allen Liebhabern ihrer früheren Leben begegnet sei – „so viele, dass ich es nicht zählen kann.“ Offiziell leben in der 1902 als Mormonensiedlung gegründeten Stadt in Arizona nur rund 11 000 Menschen. Jedes Jahr pilgern jedoch rund drei Millionen Touristen hierher – viele auf der Suche nach Heilung und Erleuchtung. Angefangen hatte alles in den 70er-Jahren, als das ortsansässige Medium Page Bryant einige hochgelegene Orte, darunter Heiligtümer der Ureinwohner, zu sogenannten Vortex-Zonen erklärte. In ihnen sollen sich elektromagnetische Energiefelder so sehr verdichten, dass es zu Spontanheilungen und Erweckungserlebnissen kommt, wie das „Sedona Vortex Guidebook“ erklärt. Im Vorwort des Büchleins steht ein Zitat von Jack Kerouac:
„Because in the end, you won’t remember the time you spent working in the office or mowing your lawn. Climb that goddamn mountain.“

Und plötzlich stand Fabian Peltsch in Aeoliahs Haus

An einem heißen Sonntag mache ich mich auf den Weg zu Aeoliahs Haus im Vorort Cottonwood, das immerhin auf einem Hügel liegt. Hinter einem schmiedeeisernen Tor, durch das ich nur mit Zahlencode gelange, reihen sich beigefarbene Bungalows in verwirrender Gleichförmigkeit aneinander. Dass ich am Ziel bin, erkenne ich an zwei kleinen Engelsstatuen vor dem Hauseingang. Ich drücke die Klingel. „Guten Tag. Herein, herein!“, begrüßt mich Aeoliah, giggelnd und auf Deutsch. Sein Anwesen wirkt, als habe sich das Prinzip New Age in einem Reihenhaus manifestiert. Über den Raum verteilt erwecken Quartz- und Selenitkristalle den Eindruck einer himmlischen Tropfsteinhöhle. Einer geheimnisvollen Logik folgend hat Aeoliah goldene Buddhas, Engel, Heiligenbilder und Klangschalen auf einem Hausaltar gruppiert. An den Fenstern hängen geraffte goldene Vorhänge. Dahinter öffnet sich der Blick auf die Terrasse, auf der ein kleiner Marienbrunnen in die Wüstenhitze plätschert. Wenn sich ein Ort bislang wie ein Vortex angefühlt hat, dann dieser. Aeoliah hat als Hintergrundmusik eines seiner Alben aufgelegt. Ich erzähle ihm meine Leidensgeschichte. Auf dem Höhepunkt der Pandemie habe eine Trennung mir alle Lebensfreude genommen. Selbst Musik habe ich nicht mehr hören können. „Außer deiner“, gestehe ich, während wir uns auf ausladenden weißen Sofas gegenübersitzen. Aeoliah lächelt entrückt. „Oh really? Das ist so trippy!!!“ Dann erzählt er mir in charmant gespreiztem Deutsch, das offenbar schon lange nicht mehr zum Einsatz kam, dass sein erstes Album nicht nur unter dem Eindruck einer Vision entstanden sei, sondern auch unter der Last einer Scheidung.

„Ich ging gerade durch eine Trennung von meiner damaligen Frau. Wir hatten eine kleine Tochter. Dann hörte ich eines Tages die Stimme von Guanyin, der chinesischen Göttin der Gnade. Sie sagte: Du wirst ein Album machen über Compassion and forgiveness. Du wirst deinen Schmerz verwandeln und damit anderen Menschen helfen.“ Der Rest sei Geschichte und er habe sich nie mehr um Geld sorgen müssen. „Die Musik hat aber auch mir selbst geholfen, meine Emotionen zu verstehen und den Schmerz zu verarbeiten“, schiebt er hinterher.

Bastian Zimmermann