Aufstand der Mega-Stars
Dem Plattenmulti EMI droht ein beispielloser künstlerischer Aderlass.
Er hatte sich das so schön gedacht: Guy Hands, umtriebiger Chef der Beteiligungsgesellschaft Terra Firma Capital Partners, übernahm im August 2007 den in Seenot geratenen Musikdampfer EMI für rund vier Milliarden Euro, die Heimat legendärer Labels wie Capitol, Parlophone, Mute und Blue Note. Die britische Majorcompany, in besseren Zeiten die größte Plattenfirma der Welt, hatte seit einiger Zeit tiefrote Zahlen geschrieben und durch spektakuläre Flops von sich reden gemacht. Angeblich musste EMI zuletzt rund 25 Millionen Pfund im Jahr für das Einstampfen nicht verkaufter CDs ausgeben. Im November verkündete Hands, er werde eine „fundamentale Wende in der Geschäftspolitik des defizitären Konzerns einleiten und dabei neben zahlreichen Topmanagern auch“faule Stars“ unter den 14.000 Vertragskünstlern feuern. Mitte Januar präzisierte der smarte Sanierer, wie diese fundamentale Wende aussehen soll: Von den weltweit in der Konzernsparte Recorded Music beschäftigten 5.500 Mitarbeitern sollen 2.000 abgebaut und die Marketingbudgets für Albumveröffentlichungen rigoros zusammengestrichen werden.
Doch es sieht aus, als hätte Hands seine Rechnung ohne die Wirte gemacht-ausgerechnet die umsatzträchtigen Megastars, die mit ihren Albumverkäufen auch die Veröffentlichungen unbekannterer Künstler und vor allem den teuren und langwierigen Aufbau neuer Acts mitfinanzieren,gehen der Reihe nach gegen diese Pläne auf die Barrikaden: Die ersten, die EMI verließen, waren PauIMcCartney (er ließ sein aktuelles Album von der Kaffeehauskette Starbucks in die US-Läden bringen) und Radiohead ,die ihren Vertrag nicht verlängerten und stattdessen die „physische Version“ ihres zuvor nur als Download erhältlichen Albums in rainbows beim britischen Indielabel XL veröffentlichten -weil Hands das Musikgeschäft nicht verstehe, wie ihr Management mitteilte. Inzwischen drohten Acts wie Robbie Williams, Coldplay und The Verve ihre für 2008 geplanten Albenveröffentlichungen und sogar Tourneen zu verschieben.
Zum Debakel geriet Hands offenbar ein Treffen mit Mick Jagger: Dem als smarterGeschäftsmann bekannten Stones-Boss(einst Student an der London School Of Economics) gefielen dem Vernehmen nach weder die Strategien von Guy Hands noch der Investmentbanker selbst. Das Ergebnis: die Rolling Stones, deren Fünfjahresvertrag bei derEMI im Mai ausläuft,veröffentlichen ihr Soundtrack-Album zur Konzertdoku „Shine A Light“ am 28. März beim Konkurrenten Universal und „prüfen für die Zukunft alle Optionen“, wie es aus Insiderkreisen hieß. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Heftes befand sich die Band angeblich auch in Verhandlungen mit Warner Music. Ein Abgang der Stones wäre für EMI auch wegen des lukrativen Backkatalogs (alle Alben seit dem 1971er sticky fingers waren bisher im EMI-Paket) schmerzhaft, vor allem aber hätte er Signalwirkung auf andere Künstler. Schon hat auch Herbert Grönemeyer, der finanziell wichtigste Künstler für EMI in Deutschland,seinem Unmut über das Vorgehen von Terra Firma Luft gemacht. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk kritisierte das „ganz alte EMI-Schlachtross“ (Grönemeyer über Gröneymer):“Die haben gedacht, die gehen da als Großinvestoren rein, rationalisieren das Ganze durch und verkaufen es dann kurzfristig gewinnbringend wieder. Aber eine Plattenfirma ist halt keine Seifenfabrik…“ Vor allem ist sie abhängig von ihren Topkünstlern -und die wollen vor allem eines: volle werbliche Unterstützung. Mit geschrumpften Marketingabteilungen und -budgets geht das nicht gut zusammen. „Was Guy Hands nicht bedacht hat, ist, dass die etablierten Künstler heutzutage zum Teil selbst Firmen sind, die ganz genau wissen, wie das Geschäft läuft-und vor allem auch besser wissen als er, wie das Geschäft läuft…“, ätzt Grönemeyer. So oder so: die Seifenoper, die die Traditionsfirma derzeit bietet, ist spannender als die meisten ihrer aktuellen Produkte.
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