Aus der Musikexpress-Ausgabe Januar 1987: Woodstock in Wackersdorf
Friede, Freude und Ringelpietz im Feuerzeugschein — das WAAhnsinns-Festival in Wackersdorf war wie fast jedes Open Air-Spektakel seit Woodstock. Jetzt kommt der Festival-Film in die Kinos, und der ist politischer als das Fest selbst.
Glutrot, von einer Wolke durchbrochen, hängt die Sonne im Firmament. Weit schweift der Blick über den bayerischen Wald. Und dröhnend erklingt eine brüchige Stimme: „Die Menschen werden die Welt vernichten, und die Welt wird die Menschen vernichten… Der Wald wird so licht werden wie des Bettelmanns Rock… Es steht gegen Norden ein Schein, wie ihn noch niemand gesehen hat. Dann wird ringsum das Feuer aufgehen. So viel Feuer hat noch kein Mensch gesehen.“
Soweit die bayrischen Hellseher Mühlhirsl. Storneberger und Irlenmaier mit ihrer Weissagung aus dem 18. Jahrhundert, vorgetragen von: „Eins, zwei, drei, vier — Haindliiiing!“
„Waahnsinn — der Wackersdorf-Film“, so fängt er an. Mit einer Dramatik, die den großen amerikanischen Film-Epen Konkurrenz macht — und einer Spannung, die den „Kommissar“ zum Waisenkind erklärt. Der Streifen über das Burglengenfelder Open Air-Festival ist weder Dokumentär-, noch Polit-, Musik- oder Unterhaltungsfilm — er ist von allem etwas. Er ist der Versuch, für jedermann begreiflich zu machen, was uns demnächst bedroht: der Wahnsinn, in Form einer strahlenden Atomfabrik, deren möglicher Super-Gau der Tschernobyler Katastrophe in nichts nachstehen würde. Nur passiert das bedauerliche Unglück dann vor unserer Schlafzimmertür. „Wir dürfen nicht wie unsere Eltern und Großeltern nach der Nazi-Sauerei behaupten, wir hätten von nichts gewußt“, ruft Udo Lindenberg. „Die Strategie ist: dabeibleiben! Machen!“ Schnitt.
Die Kamera führt per Weitwinkel über die Straße nach Burglengenfeld — Idylle! Idylle? Dazwischen blitzen Szenen wie im US-Fernsehen die Werbung, nur weniger verträglich: Ein Polizist läßt die Handschellen zuschnappen, ein anderer schlägt zu. Der Kameramann stoppt im Stau: Dort werden 70000 Personen und 12000 Autos gefilzt. Die Staatsmacht zeigt ihre Zähne, beschlagnahmt Kanister, Schraubenschlüssel und Wagenheber, weil sie keine Waffen findet. Ein Polizist kommentiert dumm-dreist die wachsende Wut der schikanierten Leute: „Sie wollen ja zur Veranstaltung und nicht zur Autoreparatur.“ „Ich will hier raus“, schreit Purple Schulz von der Bühne. Gänsehaut.
Regisseur Christian Wagner hat schon den deutschen Beitrag zu „Live-Aid“ mit der „Band für Afrika“ inszeniert. Mit „WAAhnsinn“ profiliert er sich als der Newcomer des engagierten Musikfilms. Zumindest die erste Hälfte des Festival-Streifens hat er zu dem gemacht, was das Festival kaum war: zu einem packenden Polit-Spektakel mit einem Engagement, das überzeugt.
Das Fest am 26. und 27. Juli 1986 in Burglengenfeld war dagegen eher flau. Menschen tanzten, tratschten und träumten dumpf vor sich hin. Eigentlich war es wie alle Festivals: ziemlich unpolitisch. Ungefähr so wie der zweite Teil des Films. Da sieht man bunte Luftballons steigen, während die Gemüter sich verzückt zu den Stars auf der Bühne erheben. Zu BAP, zu Anne Haigis, zu Wolf Maahn und wie-sie-alle-heißen. Die Kraut-Rocker waren fast vollzählig versammelt.
„Ihr seid doch nur marktgerecht funktionell“.
griff das Theatre du Pain das Publikum an und prognostizierte ironisch die „feuchten Augen im Feuerschein wie seinerzeit in Rom“ (als sich Nero über den Anblick der brennenden Stadt freute). Zu Rio Reisers Vergewaltigung von „Somewhere Over The Rainbow“ war’s dann soweit: Während der Kerl würgte wie Dickdarm von innen, erhellten zigtausend Feuerzeuge die finstere Nacht.
Und so erinnert man sich, statt gefühlstrunken aus dem Kino zu stolpern, hoffentlich noch an das, was man im Film nicht sehen konnte: an die Kampfsport-trainierten Sicherheitskräfte zum Beispiel, die sich für 200 Mark Tagesgage nicht nur den Bauch vollschlugen. (Pressesprecher Michael Herl: „Es gibt halt nicht so viele linke Ordner“) Oder an die unsäglichen Bemühungen einer beteiligten Plattenfirma, politische Äußerungen ihrer Stars zu verhindern bzw. davon abzulenken. Oder an den Auftritt von Herbert Grönemeyer, der den Lächerlichkeiten im Lande ein Ende bereiten wollte und sich jetzt vor lauter lächerlicher Eitelkeit aus dem Film schneiden ließ. („Ich war an dem Tag nicht so gut drauf…“).
Und man erinnere sich an die unzähligen Hinweise der Organisatoren, daß die Toten Hosen natürlich gar nicht zur Baustellen-Begehung aufgefordert hätten. Zu was denn sonst? Für was soll denn das ganze Geld gut sein, wenn nicht für den Widerstand? Eine Wiederbereitungsanlage ist das entscheidende Mittel, um waffenfähiges Plutonium zu gewinnen. 1995 soll die WAA in Wackersdorf in Betrieb gehen. 1995 ist auch das Jahr, in dem der Atomwaffensperrvertrag ausläuft.