Backkatalog


Diverse

Fac.Dance – 12″ Mixes & Rarities

1980-1987

Strut/Alive

*****

Die Geschichte des legendären Labels aus Manchester vom Dance-Ende aufgezäumt

Dass die Archäologen und Archivare von Strut Fans des Factory-Labels sind, ist wenig überraschend. Quando Quangos „Love Factory“ konnte man schon auf der Disco Not Disco-Compilation entdecken, Tracks aus dem Programm des legendären Manchester-Labels stehen seit Jahren in den Setlists der Strut-DJs. Diese Zusammensellung auf zwei CDs ist so etwas wie die logische Annäherung von zwei Kräften. Mit den 24 Tracks auf Fac.Dance zäumen die Experten für vergessene Discomusik die Geschichte von Tony Wilsons Label vom Dance-Ende auf. Nach der definitiven 4-CD-Gesamtschau auf Warner (2008), die von der historischen Linie Joy Division/New Order aus erzählt wurde, fokussiert die von Bill Brewster („Last Night A DJ Saved My Life“) kompilierte 12-Inch-Sammlung die Avantgarde-Funk-Veröffentlichungen (Blurt, Swamp Children, Biting Tongues) und New-York-Verlinkungen des Labels (Marcel King, Quando Quango). Wie aus der Zeit gefallen klingt der Durutti-Column-Track „For Belgian Friends“, auf der Suche nach einer Sprache für Ambient. Den test of time besteht diese mit Raritäten wie Hits gespickte Zusammenstellung über die komplette Strecke. Factory ist eine Blaupause für die Leidenschaft und Anstrengung, sich von der Tradition zu verabschieden, neue Territorien für die Dance Music erobernd.

Frank Sawazki

U2

Achtung Baby – 20th Anniversary

Island/Universal

******

Rock: U2 bestehen den Imagewandel: Aus Protestkindern werden Männer mit Schatten.

Dunkelheit tritt an die Stelle des Lichts. Mit „Where The Streets Have No Name“ aus The Joshua Tree (1987) begrüßten U2 den Sonnenaufgang. Mit dem Achtung Baby-Opener „Zoo Station“ ging die Band unter die Erde. In die U-Bahn, auf Reisen in das dunkle, unbekannte Ostberlin der Nachwendezeit. The Edge spielte keine erhebenden Töne mehr, seine verzerrte Gitarre klang wie ein rasender Zug, manchmal sogar wie Krieg. David Bowie als Inspiration und die Hansa-Studios als Aufnahmeraum. Bono sang erstmals mit verstellter Stimme, er wollte geradezu missverstanden werden. 1991 schufen U2 ihr düsterstes Album. Die Themen – Unschuldsverlust, Verrat, Abkehr von Gott, Allmachtsfantasien – haben 20 Jahre später ebenso wenig an Reiz verloren wie der Sound des Albums. Wer an „The Fly“ immer noch kritisiert, dass U2 damit der britischen Ravemusik den Todesstoß versetzt hatten, ignoriert leider, dass es keinen Song der Rave-Bewegung gab, der es mit „The Fly“ aufnehmen konnte. „Love Is Blindness“ ist das traurigste, pessimistischste Lied, das je über Selbstmordattentäter und Terrorismus geschrieben wurde. Als Texter war Bono nie besser. Achtung Baby erscheint in verschiedenen Deluxe-Editionen, die größte, die „Uber“-Edition, enthält unter anderem: das noch mutigere Schwester-Album Zooropa (1993) sowie die bereits veröffentlichte Zoo TV: Live from Sydney-DVD. Die „Zoo TV“-Tour wirkt heute herrlich antiquiert, mit Großfernsehern als Bühnendeko, Satelliten für Liveschaltungen und Bonos Fernsehen-verdirbt-dich-Botschaften. Damals ahnte keiner, dass das Massenmedium Internet uns alle bald verderben würde. Die beigefügten CDs mit Outtakes und Demos dokumentieren Bonos langsame Entwicklung: vom Jungen mit Unschuldsstimme zu einem zynischen Schauspieler, der sich als Popanz nur scheinbar wohl fühlt. Was vergessen? Ja. Die „The Fly“-Sonnenbrille liegt auch bei. Unwichtig? Aha. Wer hat denn damals so eine Brille, die Brille des Jahres, erstehen können? Eben. Keiner.

Sassan Niasseri

Roy Black & The Cannons

The Last Rock’n’Roll Show

Rhythm Island

***

Der Schnulzenkönig hatte ein Vorleben als Rock’n’Roll-Sänger.

Man hätte es wissen können. Schließlich hatte sich Gerhard Höllerich, als er sich einen Künstlernamen zulegte, bei einem gewissen Roy Orbison bedient. Bevor Roy Black zum Witwentröster wurde, hatte er eine kurze, heftige Laufbahn als Rock’n’Roll-Sänger hinter sich gebracht. Roy Black & The Cannons brachten es zu lokalem Ruhm, als sie im beschaulichen Augsburg Jugendkrawalle und Teenie-Hysterie auslösten. Wie die Cannons damals klangen, das war unbekannt, bis auf einem Dachboden eine Aufnahme des letzten Auftritts der Combo vom 26. Dezember 1964 auftauchte. Für The Last Rock’n’Roll Show wurden sechs Songs rekonstruiert. Der Sound ist schepperig, wenn die Cannons Standards wie „What’d I Say“ und „Hippy Hippy Shake“ spielen. In der Version von „Spanish Harlem“ ist der spätere Schnulzenkönig schon deutlich zu hören.

Thomas Winkler

CD im ME S. 19