Beste Blüten
Die schönsten Songs blühten auch 1998 wieder im verborgenen.
Wer vom Bestseller-Stapel nicht immer nur Alanis Morissette, die Guano Apes oder die Toten Hosen abgreifen wollte und auch die neue Westernhagen oder die Compilation von Phil Collins nicht wirklich gut fand, hatte Alternativen. Eine davon kam aus Modesto, Kalifornien. Das ist eine Stadt mit 200.000 Einwohnern und dem Charme des gewissen Nichts. Die Band aus dem Nichts heißt Grandaddy und ist großartig. Drei von den fünfen haben Vollbarte, Sänger Jason Lytle würde locker jeden Catweazle-Iookalike-Wettbewerb gewinnen, und Drummer Aaron Burtch sieht aus wie Paul Breitner in dick. Die Musik von Grandaddy ist sogar noch besser als ihr Aussehen. Auf dem Album „Under The Western Freeway“ standen die Keyboards auf du und du mit dem Electric Light Orchestra, die Gitarren holzten manchmal wie die Pixies – um dann gab’s ganz sachte einen Stimmungsschwenk auf Folk und Country. „Here I sit and play guitar and drink beer out in the country“, hieß eine Textzeile dazu. Die Platte wurde zwar bereits Ende 1997 veröffentlicht, die meisten bekamen von Grandaddy – begünstig durch zahlreiche Live-Auftritte – allerdings erst in diesem Jahr so richtig Wind. Tolle Texte schrieben auch Hazeldine – drei Frauen und ein Mann aus Albuquerque, New Mexico. „Fuck me like Batman“, hieß eine explizite Aufforderung, die uns auf dem Debüt-Album „How Bees Fly“ entgegenschallte. Mittlerweile ist mit „Diggin’You Up“ die zweite Schallplatte auf dem Markt, und die Musik darauf ist genauso schön wie auf der Ersten – zuweilen somnambul, öfter harmonieselig und meistens so, daß man vor ein paar Jahren noch „Neo-Folk dazu sagen mußte. Zu Billy Bragg mußte man lange Zeit auch die vielen großen „S“ sagen: Socialism, Soccer, Safer Sex. In diesem Jahr hat er sein Themenfeld erweitert und ist beim Buchstaben „C“ gelandet. Dort interpretierte er zusammen mit Wilco alte Lieder des amerikanischen Singer/Songwriters Woody Guthrie wunderbar neu. Absolut amtliche Nachlaßpflege nennt man das wohl. Eine schöne Überraschung nennt man es hingegen, wenn nicht immer nur das drinnen ist, was draußen drauf steht. Lambchop, das 14-köpfige Soundkollektiv unter Vorsitz von Kurt Wagner, hat mit dem Album „What Another Man Spills“ für eine solche gesorgt. Ansonsten als trödeliger Country etikettiert, ist diesmal auch jede Menge 70er Jahre-Soul drin – und der groovt nicht nur auf dem Curtis-Mayfield-Cover „Give Me Your Love“ ziemlich prima. So richtig gut ist auch das, was Kurt Wagners Band zusammen mit Vic Chesnutt auf dessen Album „The Salesman And Bernadette“ einspielte: Lambchop geben die Country-Variante von James Last-was unmittelbar zur Folge hat, daß die Lieder des Rollifahrers noch nie so viele Instrumente auf einmal intus hatten. Mercury Rev indes hatten auf der Platte „Deserter’s Songs“ was ganz anderes intus: Eine Badewanne voller Harmonien. Jede Menge Sehnsüchte nach Wohlklang. Songs, mit denen man sogar die letzte Wolke vom Himmel singen konnte. Und dann gab’s auf „Deserter’s Songs“ auch noch eine singende Säge und eine Akkordfolge aus „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Wer dann weiterhin „Rain“ von den Guano Apes hört, ist selber schuld-