Billie Eilishs Berliner Geheimauftritt: Küssen, Lachen, Pupsen


Keine schrillen Zwischenrufe, schon gar keine Übergriffe, it’s a family affair. Billie Eilish beantwortet geduldig Fan-Fragen

Eine mysteriöse Mail erreichte uns am Veröffentlichungstag von Billie Eilishs neuem Album HIT ME HARD AND SOFT: „Save The Date – Fan Experience mit Billie Eilish, 06. Juni in Berlin“, so der knappe Wortlaut, versehen nur mit dem Zusatz, diese Information „streng vertraulich“ zu behandeln. Tatsächlich findet man noch zwei Stunden vor Showtime nichts über dieses Ereignis in Anwesenheit der Glastonbury- UND Coachella-Headlinerin, der, wenn man so will und man will so, Kurt Cobain ihrer Generation, ja, letztlich einem der bekanntesten Menschen der Welt. Dann geht’s ganz schnell: Wir werden in den Kreuzberger Nachtclub „Prince Charles“ geladen, wo auf Eilishs Wunsch weder gesoffen noch geraucht werden soll. Ehrensache.

In dieser überschaubaren Location hatte die Kalifornierin vor knapp sieben Jahren im Alter von gerade Mal 15 Jahren ihr erstes Deutschland-Konzert gegeben. Von dort aus ging es step by step 2017 ins „Badehaus Szimpla“, 2018 ins „Lido“, 2019 ins „Kesselhaus“ und schließlich 2022 in die mächtige „Mercedes-Benz-Arena“ (seit kurzem: „Uber Arena“). Heute Abend soll sich der Kreis schließen. Doch ein Konzert ist es diesmal nicht. Stattdessen will Eilish sich in kleiner Talkrunde ausgewählten Fragen von etwa 200 Gewinner:innen von Fan-Competitions stellen. Am Tag zuvor hielt sie ein ähnliches Event ins Paris ab, davor war London dran.

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Mama Eilish steht wachsam am Bühnenrand

Frenetisches Gekreische, als die Moderatorin Eilish auf die Bühne bittet. Doch unmittelbar danach – und das soll den kurzen Abend prägen – wird es gemütlich. Keine schrillen Zwischenrufe, schon gar keine Übergriffe, it’s a family affair; schließlich steht sogar Mama Eilish wachsam am Bühnenrand. Deren Tochter kauert im Schneidersitz auf einem Barhocker und wird eins mit ihrem Publikum. Scherzt übers Pupsen und erwähnt immer wieder augenrollend ihre Magenkrämpfe.

Wenn sie über ihre Musik und ihre Person spricht, dann tut sie das in so charmanter, fürsorglicher und schlagfertiger Interaktion mit den Fans, als spräche sie über etwas gemeinsam Erarbeitetes. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das ja auch, ohne massenhafte Bewunderung wird man nicht zum Weltstar. Doch Eilish gibt sich nicht, wie es Celebrities dieses Kalibers und vor allem die aus den USA gerne tun, unterwürfig. Statt durchgekauter Phrasen wie „Ohne euch wäre ich nichts“ oder „Ich nehme nichts von all meinem Ruhm als gegeben hin“, werden lieber der Kaugummi durchgekaut und anschlussfähige Einblicke in die Zusammenarbeit mit Finneas, ihrem Produzenten und älteren Bruder gegeben.

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„Am besten kommt man durch, indem man durchkommt“

Leicht sei das nicht immer mit den beiden, gerade beim Entstehen des neuen Albums habe man oft auf verschiedenen Wellenlängen gesurft. Da nickt jede Schwester und jeder Bruder mit dem Kopf. Dann sagt sie „Ich dachte, ich bleibe immer ein Teenager“. Ein Glaube, dem die meisten der Anwesenden anhängen dürften. Sie erzählt von den vielen schrägen, versteckten Hintergrund-Sounds auf der Platte, die man daher am besten unter Kopfhörern genießt. Die entstammten obskuren, Spielzeug-artigen Mini-Keyboards, auf denen man eben herumgedaddelt habe oder seien hochgepitchte, rückwärts abgespielte, spontane Schreie des Entzückens des Big Brothers. Auf die Frage, wie sie mit ihrem enormen Erfolg umgehe, gibt sie den Lebensrat: „Am besten kommt man durch, indem man durchkommt.“ Man müsse das Leben einfach leben. Just do it. „Was immer ich mache, geht irgendwann vorbei. Den Gedanken fand ich immer tröstend“. Außerdem habe sie die besten Eltern und den besten Bruder. Ach ja, lachen und küssen helfen auch bei der Existenzbewältigung.

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Welchen Song sie am liebsten live spiele? „NDA“, den Groover aus ihrem zweiten Album HAPPIER THAN EVER. Wie für sie die ideale Songwriting-Session aussehe? „Mit viel Sonnenlicht“, sagt sie. Also nicht im Studio, denn dort gäbe es keine Fenster und entsprechend stinkig sei’s da. Viele Pause müsse sie während der Aufnahmen einlegen, draußen herumtoben und Snacks bei „Taco Bell“ bestellen. Work-Life-Balance, die Gen Z fühlt sich verstanden. Nur einmal, ganz zum Schluss, huldigt sie ihren Fans. Worüber sie stundenlang reden könne, wird sie gefragt: „Lunch“. Damit meint sie allerdings nicht ihre aktuelle Single, sondern eben das Mittagessen. Dann korrigiert sie sich: „Über euch. Es ging die ganze Zeit um uns. Ändert euch nie!“ Ein „Awww!“ geht durch die „Menge“ und Eilish raus in den Innenhof, wo sie ein riesiges Plakat zu signieren hat, was ihr erst mal nicht gelingt; sie ist eben eine von uns. Erst will der Filzstift geschüttelt werden, dann die Hände ihrer Fans.

In ihren Songs ist die Stimme so weit nach vorne gemischt, dass Eilish uns wie in einem ASMR-Meditationsvideo ins Ohr flüstert und die Seele streichelt. Auf der Bühne tut sie das mit ihrer Art, ihrer Hierarchien auflösenden Direktheit und ihrem Schulhof-Humor. Ein letztes Winke-Winke und zur Hintertür hinaus. Alles geht eben irgendwann zu Ende. Doch von Traurigkeit keine Spur im überwältigten Publikum – das ist happier than ever.