Billy Corgan: „Ich bin nicht so blöd wie Rock’n’Roll!“


Mit Zwan soll Billy Corgan Friede von den Smashing Pumpkins gefunden haben. Eine Woche nach diesem Interview brach die Band überraschend ihre Tour ab.

Billy Corgan ist, man muss es so sagen, voll weich. Sein Hände“druck“ ist weich, seine Stimme, sein Lächeln, sein Blick auch. Seine Haut wirkt wächsern, weiß bis auf das rote Feuermal, das sich über die linke Hand zum Unterarm hochzieht und seiner ätherischen, lulatschlangen Erscheinung etwas endgültig Außerirdisches verleiht. Mit Matt Sweeney, Gitarrist in seiner Band Zwan, sitzt Corgan im Hof des noblen Taschenbergpalais in Dresden, wo Zwan abends im Alten Schlachthof den ersten von geplanten vier Deutschtand-Gigs spielen werden. So viel man letztens über Corgans neue Entspanntheit gelesen hat: In dem Mann, der in den 90ern als Chef der Smashing Pumpkins adoleszenter Sinnsuche eine Stimme gab und als egozentrischer Despot verschrieen war, nagt Frustration, missverstanden zu werden, brodelt ein von enormem Selbstbewußtsein befeuerter Drang, sich zu erklären. Und da rollt sie schon an, die erste investigative Frage …

Wie war denn Euer Tag bisher?

Corgan: Bisher ganz gut. Ich bin anderthalb Stunden rumgelaufen. Das alte Viertel hier ist unglaublich.

Matt Sweeney: Viel ehrfurchteinflößendes, I-can’t-fuckin‘-believe-it-Zeug gibt’s hier. Das mag ich an Europa, diesen psychedelischen Moment, überwältigt zu werden von einem Gebäude oder Kunstwerk. Dieses riesige Wandgemälde draußen um die Ecke, da fliegt mir der Schalter raus. Man weiß gar nicht, wie man sich sowas nähern soll.

Corgan: Diese Hingabe. Sind wir uns schon mal begegnet?

Nein.

Corgan: Nein? Hm. Ich werde alt. Sowas passiert.

Ich höre, ihr hattet einen seltsamen Trip die letzten Tage.

Corgan: Ja (lacht Sweeney an). Es fing ganz unschuldig an, mit einer TV-Show in England, „Later with Jools Holland“.

Sweeney: Niemand war schlechter Laune. Was selten ist.

Corgan: Dann ging’s nach Brüssel. Was ist da passiert?

Sweeney: Es fing damit an, dass unser Monitor-Mann weg war. Und die Stimmung, die Energie im Publikum war ungut. Hat niemanden in allzu gute Laune versetzt.

Corgan: Dann kam Stockholm, da war es eiskalt.

Sweeney: In Stockholm gibt’s eine Fußgängerzone, und am Tag der Show raste da ein Verrückter mit dem Auto durch und verletzte 20 Leute, ein paar starben. Corgan: Zwei Blocks von unserem Hotel. Dann kam das Download Festival in England. Da hat es uns absolut vollgeregnet. Arche-Noah-mäßig, während wir spielten.

Sweeney: Es war wie in ’nem Metal-Video, wenn die Band im Regen rockt.

Corgan: Genau (gluckst). Das Wasser stand fünf Zentimeter hoch auf der Bühne, alles war klatschnass, wir dachten nur, wann wir einen Schlag kriegen würden. Dann kam Amsterdam, vorgestern. Da war es derart heiß.

Sweeney: Ich war total durchweicht.

Also Eiseskälte, Regen und Brüllhitze in sechs Tagen.

Corgan: (schier niedlich) Ja, genau.

Was erwartet ihr da für morgen am Nürburgring?

Corgan: Vielleicht kommt Michael Schumacher. Dann hätten wir die Vier Göttlichen Säulen beisammen: Kälte, Regen, Hitze und Schumacher. Es ist, als versuchte Gott uns zu sagen: Hört auf zu touren! Und wir hören nicht hin. Als nächstes kommt wohl irgendeine Plage über uns. Wir werden spielen und plötzlich taucht diese schwarze Wolke am Horizont auf. Heuschrecken. Oder wildgewordene Rastas (kichert) … In Amsterdam hocken ja haufenweise so weiße Rasta-Junkie-Typen rum. Ein Freund von mir meinte: Weißt du, was das für Jungs sind? Trustafaris. (lacht)

Äh?

Corgan: Das ist ein Wortspiel, Trust Fund/Rastafaris. Kinder aus reichem Haus werden Konten, Trust Funds eingerichtet, auf die sie Zugriff bekommen, wenn sie 25 oder so sind. Sie müssen sich keine Sorgen machen. Und können sich Dreads wachsen lassen und rumhängen. Trustafaris.

Also reiche Kids, die slummen.

Sweeney: Je mehr Geld, desto härter können sie slummen.

Corgan: (trocken) Bei uns ist das anders. Wir haben eine Springsteen-Geschichte. Wir kommen von der Straße.

Sweeney: Ja, Zwan kommen aus dem Nichts.(grient)

Ja. genau. Du hattest am Anfang nur den Namen, heißt es.

Corgan: Ja, ich wusste, dass ich die Band Zwan nennen wollte … (irritiert) Es ist komisch. Man erzählt eine Story oft genug, und plötzlich stimmt sie nicht mehr. Wie mit Großvaters dickem Fisch, der immer größer wird. Ich, Jimmy und Matt fingen einfach an, zusammen zu spielen. Wir dachten damals nicht über Tourneen und Heuschrecken nach, es war einfach: Lasst uns spielen. Macht Spaß.

„Spaß“ und „Lächeln“ sind Schlüsselwörter in den meisten Stories, die man über Zwan bisher in der Presse gelesen hat.

Corgan: Ja. Ich finde das eigentlich fast lustig. So: Vor 2000 wurde nicht gelacht. Und jetzt gibt es keine Dunkelheit mehr. Also ob ein Billy raus- und ein anderer reinmarschiert wäre. Es ist aber so ziemlich der gleiche Billy. Gut, man wird älter, ändert seine Ansichten über gewisse Dinge.

Aber gab es auch einen bedeutsameren Einschnitt für dich?

Corgan: Der 11. September hat viel damit zu tun.

Du warst in New York.

Corgan: Ja. Und Matt, Paz und David (die Zwan-Mitglieder Lechantin bzw. Pajo; d. Red.) unabhängig voneinander.

Sweeney: Am frühen Morgen des 11. September hab ich mit Paz, die ich am Abend kennen gelernt hatte, in einer Bar Karaoke gesungen. Im Nachhinein ein bizarrer Zufall.

Corgan: 9/11 hat bewirkt, dass ich vieles nicht mehr so verbissen sehe. Aber ich glaube, ich war eh dabei, mich so zu entwickeln. Das hat ohnehin alles mit Wahrnehmung zu tun. Die Leute projizieren ein Image auf dich, du kannst dagegen ankämpfen oder mitziehen. Es geht auch darum, was die Musik ausdrückt. Die Pumpkins sollten eine zerstörerische Kraft sein, also haben wir viel Energie darauf verwendet, destruktiv zu sein. Zwan will erhebend sein. Wenn Zwan destruktiv wäre, würden dann auch alle schreiben, ich sei happy? Was ich daran beleidigend finde, ist, dass es einem den intellektuellen Entwicklungsstand abspricht. Man wird reduziert auf eine kindliche Figur, die nur entweder rumbrüllen oder blödeln kann, tadada! Ich bin ein intellektuell weit entwickelter Mensch, ich bin 36, ich hab was hinter mir. Ich bin vielleicht ein Mann mit einem Kindskopf, aber kein Kind-Mann. Rock’n’Roll ist so blöd, dass erwartet wird, man sei genauso blöd, wenn man ein Teil davon ist. Ich bin aber nicht so blöd wie Rock’n’Roll.

Dass du als eine besonders stumpfsinnige Rocktype dargestellt wirst, wäre mir bisher nicht aufgefallen.

Corgan: Nein. Aber es ist wie in der Schule, wenn der Lehrer die Klasse nach ihrem Durchschnitt beurteilt. Rock’n‘ Roll ist genau so. Da wird alles in einen Topf geworfen, weil es oft gar nicht anders geht. Aber wenn du eine blöde Nu Metal Band nimmst, deren Musik blöd ist, deren Texte blöd sind, deren ganzer Zweck blöd ist und dann stellst du mich daneben, dann ist es einfacher, mich stumpf darzustellen als die intelligent. Also werde ich runtergeblödet, nur weil ich im Rockgeschäft bin. Weil es ein blödes Geschäft ist. Und das finde ich komisch. (Pause) Was meinst du, Matt?

Sweeney: (schreckt von seiner Kürbissuppe hoch) Was? Diese Wahrnehmungs-Sache? Ist mir scheißegal, (kichert)

Corgan: (lacht) Das ist die Antwort. Matt makes it real.

Aber der Eindruck, dass du sehr ehrgeizig warst…

Corgan: Ich bin immer noch sehr ehrgeizig.

Aber beim Zwan-Album hast du dich mehr zurückgenommen als bei den Pumpkins. War es schwer, Kontrolle abzugeben?

Corgan: Es war eine Entscheidung, mehr Energie in die Musik zu investieren als in das Drumrum. Und die Medien. Irgendwann wurde mir klar, dass ich gegen die Medien nicht gewinnen konnte und ließ los. Ich bin als Sportler erzogen, und das ist meine ganze Mentalität: Kickass! KRCH! Basketball, Football, Baseball, siegen, siegen, siegen!

Und mit wem wetteiferst du heutzutage?

Corgan: Mit mir. Ich habe meine selbstgesteckten Ziele.

Welche zum Beispiel?

Corgan: Leuten helfen. Glücklich sein. Meine Musik machen, egal, ob sie verkauft. Dem Musikbusiness ist das egal. Also muss man Entscheidungen treffen, von denen man weiß, dass sie nicht viel Unterstützung bekommen werden.

Und die Pumpkins aufzulösen war so eine?

Corgan: Absolut, ja. Es hat mich wahnsinnig gemacht.

War die Auflösung eine Notbremse?

Corgan: Nicht wirklich. Wir haben uns ’99 bewußt diesen zwei-Jahres-Plan gesetzt, die Band mit ein paar Sachen, die wir uns noch vorgenommen hatten, zu beenden.

Und der Grund für dich war welcher?

Corgan: Der Hauptgrund, die Pumpkins aufzulösen?(macht ein „wie blöd kann man eigentlich fragen?“-Gesicht) Weil ich nicht glücklich war. Ganz einfach.

Wie arbeiten Zwan im Vergleich zu den Pumpkins?

Corgan: Zwischen den Musikern ist viel mehr Vertrauen. Ich komponiere zwar immer noch fast alles, aber ich erzähle den Leuten nicht, was sie spielen sollen. Bei den Pumpkins bin ich in jeder Note dringesteckt, die gespielt wurde.

Zwan richten sich auch an ein anderes Publikum?

Corgan: Wir gehören nicht mehr zur jungen Generation, da findet eine Wachablösung statt. Wir kommen von einem alternativen Background, aber wir sind keine 22 mehr. Wir haben Häuser, Familien, Verantwortlichkeiten. Ein Haufen neuer Herausforderungen, die nicht aufgegriffen werden in den Songs, die diese neuen Bands machen. Weil sie nicht für uns sprechen, sondern über Zeug, das junge Leute interessiert. Flachgelegt werden, sich zuknallen, schnelle Autos.

Findest du, das sind die Themen der jungen Bands heute?

Sweeney: Möchte ich hoffen! Ich fänd’s prätentiös von 22-jährigen, so zu tun, als würde das nicht Spaß machen.

Corgan: Zu unseren Konzerten kommen viele junge Leute, Teenager. Aber ich spreche als 36jähriger, mit anderen Lebensschwerpunkten als sie. Und übers Flachlegen habe ich sowieso nie gesungen. (lächelt schwach)

Bedauerst du, dass du’s nie getan hast?

Corgan: Naja. Ich hätte mehr Sex haben sollen in meinen 20ern, das ist mal sicher. Als ich super-berühmt war, hätte ich definitiv mehr Sex haben sollen. (lächelt schief)

Sweeney: (trocken) Du hast es verbockt, Mann.

Corgan: Ich war verheiratet, dann hatte ich eine Langzeit-Freundin. Ich habe den Rockstar-Traum nicht gelebt, sorry (schulterzuckend), ich war ein guter Junge. (Pause) Das wird die große Headline: „Ich hätte mehr Sex haben sollen!“

Warte nur drauf. Ha! Bist du eigentlich religiös?

Corgan: Ich bin katholisch erzogen, aber ich glaube nicht an Religionen. Ich glaube an religiöse Systeme, ich verstehe, warum Menschen beten. Aber ich glaube nicht an die Kirche. Und wenn du die Essenz aus Koran oder Kaballah oder Bibel nimmst, läuft es eh auf das selbe hinaus: Achte auf dich selbst, sei gut zu anderen, finde deine Bestimmung. Ziemlich einfach. Ich habe immer an mich selbst geglaubt, aber irgendwann wird einem klar, dass man auch an Dinge glauben muss, die größer sind als man selbst. Wenn man nur an sich selbst glaubt, lebt man nicht wirklich. Man muss an das Universum glauben, an Gott, an andere Menschen.

Hast du dich auch mal angezweifelt?

Corgan: Natürlich. Man kann keinen Glauben haben ohne Zweifel. Your darkest hour sets up your brightest day. Man muss durch tiefe Täler wandern, um ans Licht zu kommen.

Was macht ihr in 20 Jahren ? Ich war gestern bei den Stones …

Sweeney: Oh, ich auch vor kurzem.

Corgan: Bei den Stones geht es ja nicht mehr so sehr um die Musik als um Broadway, Geld und Großsponsoren. Aber sie dürfen das. Sie posen sich da ja nicht nur durch.

Sweeney: Keith Richards scheint noch Spaß zu haben.

Corgan: (lächelt) Scheiße, ich hätte auch Spaß dran, eine Million pro Show zu machen. Mann.

Würdest du es tun? Eine Million pro Show, bis du 60 bist?

Corgan: Nein, das könnte ich nicht. Was ich nicht verstehe: Die Jungs lieben Blues. Warum spielen sie nicht einfach Blues und ziehen das groß auf? Die Leute würden trotzdem in die Stadien rennen. Ihre letzten Alben waren doch nur Ausreden, zu touren. Dylan, Neil Young, Van Morrison machen immer noch tolle Platten. Warum sollten die Stones keine tollen Platten mehr machen? Das verstehe ich nicht.

Kann ich von euch zwei noch ein Foto machen fürs Heft?

Corgan: (nett, aber bestimmt) Lieber nicht. Ich hasse Fotos, mehr als alles andere. Schon als Teenager hab ich’s gehasst.

Dafür gibt es aber eine ganze Menge Fotos von dir.

Corgan: Ja. Und ich hasse jedes einzelne davon. (lacht)

Die Heuschrecken sind dann nicht gekommen bei Rock am Ring, Schumi auch nicht. Dafür haben Zwan sechs Tage nach diesem Auftritt – bei dem die Gitarrenwebereien von Corgan, Sweeney und Dave Pajo an Festival-Bierseligkeit zerschellten – ihre restliche Europatour abgesagt. Aus „familiären Gründen“, wie es heißt. Scheint, als müsste Billy Corgan wieder durch ein dunkles Tal gehen.

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