Bishop Nehru: Vom Generationstalent zur Enttäuschung
Markel Scott wurde mit 16 Jahren als „HipHop-Wunderkind“ gehandelt. Elf Jahre später spricht kaum eine:r von ihm. Warum ist das so?
Kendrick Lamar sah in ihm die Zukunft des HipHop, MF DOOM war sein Mentor und Nas nahm ihn bei seinem Label „Mass Appeal“ unter Vertrag. Dem Rapper Bishop Nehru wurde bereits früh in seiner Karriere eine große Zukunft vorhergesagt – von Rapper-Kolleg:innen, Kritiker:innen und Fans gleichermaßen.
Der rasante Aufstieg von Bishop Nehru
Markel Scott, wie der New Yorker bürgerlich heißt, erregte bereits 2012 im zarten Alter von 16 Jahren Aufmerksamkeit. Er nahm einen Freestyle zum Instrumental von Mos Defs „Mathematics“ auf, wofür ihn die Plattform „WorldStarHipHop“ zum Jugend-Rap-Talent der Woche ernannte. Später veröffentlichte er den Track unter dem Namen „Languages“ – inklusive eigens gedrehtem Musikvideo.
Der darauffolgende Hype um Bishop Nehru ging auch an den New Yorker Rappern vom Wu-Tang Clan nicht vorbei. Die „C.R.E.A.M.“-Macher nahmen das junge Talent schließlich als Support-Act auf ihre „20th-Anniversary-Tour“ 2013 mit. Spätestens als Kendrick Lamar ihm während eines gemeinsamen Interviews mit Fuse im selben Jahr ein Shoutout gab, war sich die HipHop-Welt einig: Dieser junge Rapper und Producer würde einmal ganz groß rauskommen.
Bishop Nehru und MF DOOM
Bereits sein erstes Mixtape NEHRUVIA, das er 2012 aufnahm und 2013 veröffentlichte, enthält Beats von HipHop-Schwergewichten wie DJ Premier, J Dilla, Madlib und dem bereits erwähnten MF DOOM. Letzterer nahm den Newcomer unter seine Fittiche. „Metal Face“ beriet Scott nicht nur musikalisch, der „Supervillain“ wurde darüber hinaus zu einer Vaterfigur für den aufstrebenden Star. Auf Nehrus Instagram-Kanal ist diese Phase gut dokumentiert.
Im August 2013 kündigte das Duo schließlich das gemeinsame Album NEHRUVIANDOOM an. Release-Tag war der 7. Oktober 2014. MF DOOM trat auf der Platte weit in den Hintergrund. Er produzierte zwar alle neun Tracks, Rap-Parts von ihm sind allerdings Mangelware. Diese Aufgabe übernahm fast ausnahmslos Bishop Nehru – allerdings leider nur mittelmäßig. Seine Bars sind durchwachsen, sein Flow teilweise unpräzise. Für ein kleines Highlight konnte das Duo mit dem Track „Om“ sorgen, der gleich im Anschluss an das Intro zu finden ist.
Daniel Dumile, wie MF DOOM bürgerlich heißt, lieferte gewohnt abgefahrene Beats, seine seltenen Rap-Beiträge erwecken aber stellenweise den Eindruck, als habe er nicht das allergrößte Interesse an dem Projekt gehabt. Das Endprodukt ist ein 31-minütiges Album, das beileibe nicht schlecht, oder gar unhörbar ist, sein Potenzial aber nicht ausschöpft.
Hohe Erwartungen und nicht ausgeschöpftes Potenzial
Ein Fazit, das sich so auch auf die restliche Diskographie von Bishop Nehru anwenden lässt. Ein paar Beispiele: Seine selbstproduzierte Nachfolge-EP NEHRUVIA: THE NEHRUVIAN (2015) hat ihre guten Momente, sogar ihre sehr guten. Vereinzelt ließ Scott sein großes lyrisches Talent aufflackern. Außerdem deutete sich auf dem Album bereits an, dass die hohen Erwartungen dem „Auserwählten“, wie manche zu der Zeit über ihn sprachen, ihm zu schaffen machten. Auf dem Track „User$“ rappt er: „Ich hasse Erwartungen, sie ruinieren alles, was ich erschaffen möchte. Könntet ihr mich bitte einfach Mensch sein lassen? Ich scheiß darauf, was ihr erwartet, oder für korrekt haltet.“ Bei solchen Zeilen denkt man tatsächlich, man habe hier einen überdurchschnittlich talentierten jungen Rapper vor sich. Am Ende will der Funke aber doch nicht ganz überspringen.
Mit seiner nächsten EP MAGIC:19 (2016) verabschiedete sich Bishop Nehru von seinem charakteristischen New Yorker Boom-Bap-Sound. Wieder machte der nun 19-Jährige alle Beats selbst, diese sind durch chaotische Synthies und Trap-Drums geprägt. Scotts Flows haben sich weiterentwickelt seit dem vorherigen Release, sind aber nach wie vor nicht auf dem Level eines „Wunderkindes“. Die Texte handeln wieder oft von Erwartungsdruck, künstlerischer Freiheit und mentaler Gesundheit.
EMPEROR NEHRUS NEW GROOVE (2017) hingegen ist ein Totalausfall. 08/15-Beats und langweilige Zeilen darüber, dass er der „GOAT“ – also der Greatest Of All Time – sei, herrschen hier vor.
2018 dann ein Lichtblick: NEHRUVIA: ELEVATORS: ACT 1 & 2, produziert von KAYTRANADA und MF DOOM. Endlich sitzen die Flows, die Lyrics sind durch interessante Reim-Strukturen geprägt. Vor allem die erste Hälfte der Platte, deren Instrumentals von KAYTRANADA stammen, überzeugt. Kritiker:innen und Fans hatten nach dem Release die Hoffnung, es würde nun endlich in die Richtung gehen, die man Bishop Nehru einst prophezeite. In Wahrheit war ELEVATORS das, was an der Börse eine „Bullenfalle“ genannt wird: das kurze Aufbäumen eines Kurses, kurz bevor er heftig fällt.
Bishop Nehrus Karriere auf Abwegen
Seit dem Release von NEHRUVIA: ELEVATORS ACT 1 & 2 hat die Karriere von Bishop Nehru einen besorgniserregenden Weg eingeschlagen. Er veröffentlicht weiter Singles, EPs und Alben, allerdings ist keines der Projekte wirklich eine Erwähnung wert. Immer wieder setzte er fragwürdige, kryptische Tweets ab. Wie etwa diesen, in dem er Frauen generalisierend vorwirft, Männer ständig zu manipulieren.
In einem weiteren Tweet beschrieb Nehru, wie er einen „unerwarteten Segen“ erlebte, weil er vor dem Schlafen mit einem Rosenquarz über dem Herz meditierte und diesen anschließend unter seinem Kissen platzierte.
Der Hype um den Rapper, den einige Journalisten-Kolleg:innen bereits 2014 als den „LeBron James des HipHop“ betitelten, schien langsam abzuflachen.
Um dem entgegenzuwirken, entschied sich Scott 2022 für einen gewagten Promo-Move. Für das Musikvideo zum Track „Heroin Addiction“ filmte sich der Rapper dabei, wie er das titelgebende Rauschgift mutmaßlich selbst konsumiert. In der Video-Beschreibung auf YouTube heißt es, die Aufnahmen seien „für künstlerische Zwecke“ entstanden. „Wir […] dulden und fördern den Konsum harter Drogen nicht, sondern unterstützen und sprechen für alle Betroffenen, die möglicherweise keine eigene Stimme haben“, schrieb Markel Scott weiter dazu.
Selbst, wenn das Video fake sein sollte und es ihm wirklich darum ging, bei seiner Hörer:innenschaft ein Bewusstsein für Drogenabhängigkeit und ihre Folgen zu entwickeln, ist diese Herangehensweise an ein so sensibles Thema im besten Fall zweifelhaft. Die Kollektivmeinung zu der Sache ging viel mehr in Richtung respektlos, geschmacklos und unreif. Wer sich das Album HEROIN ADDICTION anhört, wird sich unweigerlich die Frage stellen: „Das ganze Theater für diese Platte?“ Das Spannendste an dem Werk ist wahrscheinlich noch das grauenhafte Cover-Art.
Was lehrt uns die Geschichte von Bishop Nehru?
Bishop Nehru verfügt über enormes Talent, darüber dürfte es keine zwei Meinungen geben. Wie aber soll ein junger Mann mit so einem Druck umgehen, der schon vor dem eigentlichen Beginn seiner Karriere auf ihm lastete? Er sah sich im Alter von 19 Jahren gezwungen, auf Tracks und in Interviews immer wieder darüber zu sprechen, wie wenig ihn die Erwartungen der HipHop-Welt interessierten.
Heute lässt sich festhalten, dass der Medienrummel natürlich nicht spurlos an ihm vorbeiging. Letztendlich ist der Werdegang von Bishop Nehru ein Beispiel dafür, wie unkritisches Loben eine Karriere zerstören kann. Er ist sicherlich kein „LeBron James des HipHop“, das hätte er aber auch nie werden müssen, wenn die verschiedenen Medien ihn nicht dazu auserkoren hätten. Es gilt also für die Zukunft, realistische Erwartungen an junge Künstler:innen zu haben, ohne ihnen zu Beginn ihrer Laufbahn einen bestimmten Weg vorzugeben.