Blind Date mit den Wild Beasts: „Was, das ist Paul McCartney?!“
Wir haben Hayden Thorpe und Tom Fleming von der Band Wild Beasts Songs von so unterschiedlichen Künstlern wie Anohni, Paul McCartney und Burzum vorgespielt – Musik, die hoffentlich zu ihnen „spricht“. Und das tat sie dann auch, auf sehr interessante Weise.
Hayden Thorpe und Tom Fleming, die beiden Sänger und Frontleute der Wild Beasts, lauschen auch gerne schon mit uns Musik anderer, wenn andere Musiker noch im Bett liegen: vor 10 Uhr morgens! Mit ihrem neuen Album haben sie selbst einen weiteren Schritt nach vorne gemacht. BOY KING ist grooviger, schärfer und es beschäftigt sich ausgiebig mit der Rolle des Mannes – Dinge, die deshalb auch in unserem Blind Date eine Rolle spielen …
Anohni
„Violent Men“
Tom Fleming: Oh, das kenne ich schon. Antony Hegarty mitten im Prozess des Übergangs. Rundum wunderbar – gesanglich, thematisch und klanglich! Ich habe Antony im letzten Jahr live auf dem Primavera-Festival gesehen. Eine sehr bewegende Angelegenheit. All diese Bilder der Gewalt und Erniedrigung. Definitiv keine Musik für gemütliche Sommernächte.
Hayden Thorpe: Man hört Antony an, dass er an einen anderen Ort übersiedeln möchte. Das klingt überzeugend und herzergreifend. Zerbrechlichkeit, Aggression und Brutalität erklingen gleichzeitig in seiner Stimme und erschaffen dadurch einen ganz neuen Raum.
https://vimeo.com/166205749
Róisín Murphy
„Ten Miles High“
Tom: Hört sich wie Psychic TV an. Aber die Stimme weist dann doch in eine andere Richtung.
Das ist ein Stück aus dem neuen Album von Róisín Murphy.
Tom: Aber ich bleibe bei meiner Assoziation mit Psychic TV! Ihr Einfluss wurde in den letzten Jahren immer deutlicher. Sie haben viel von dem vorweggenommen, was man im zeitgemäßen Pop hört. Dieser seltsam krank wirkende Pop und der kunstvolle Gebrauch elektronischer Instrumente – das verweist eindeutig auf sie.
Hayden: Ich finde, Róisín hört sich hier besser an als auf dem Vorgänger HAIRLESS TOYS aus dem vergangenen Jahr. Sie ist in einer guten stimmlichen Verfassung, die Strukturen in diesem Stück sind wunderbar. Diese plötzlichen Breaks deuten an, dass sie auf der Suche nach einem anderen Stil ist.
Seid ihr Fans ihrer Musik?
Hayden: Früher waren wir das auf jeden Fall. So etwas wie „The Time Is Now“ – das waren wirklich exzellente Popsongs!
„Was singt er da über Fleisch?“
https://www.youtube.com/watch?v=nNq4uxrdACs
Der Mann
„Ich bin ein Mann“
Hayden: Was singt er da über „Fleisch“?
(Übersetzt:) „What I find disturbing about meat are the bones.“
Hayden: Guter Ansatz. Mag ich.
Tom: Es hört sich sehr minimal an. Auch etwas beunruhigend, wegen der Art und Weise, wie sich der Sänger ans Mikro klammert. Der Song klingt nach Club, aber irgendwie auch seltsam. Eigentlich möchte ich das nicht mit Kraftwerk vergleichen, weil wir Engländer das bei solcher Musik, zudem aus Deutschland, fast immer tun … aber es erinnert mich trotzdem daran.
Hayden: Auf mich wirkt er wie ein deutscher Robin Thicke. Clever. Was sagt er da über die Männerrolle … ?
Es geht darum, wie ermüdend es geworden sei, die Rolle der Männlichkeit zu besetzen.
Tom: Nachvollziehbar. Vom Mann wird viel abverlangt. Man muss stark sein, durchsetzungsstark, feinfühlig, freundlich …
The Kills
„Doing It To Death“
Tom: Sind das The Kills? Ich war nie ein Fan, aber das neue Album finde ich richtig gut.
Jamie Hince hatte eine Handverletzung und konnte deshalb nicht mehr so Gitarre spielen, wie er es gewohnt war. Er füllte die Lücken mit den Sounds elektronischer Instrumente.
Hayden: Wow, das ist sehr interessant. Das hat ihn offensichtlich besonders angespornt, neue Wege zu suchen, um sich auszudrücken.
Burzum
„Rundtgåing Av Den Transcendentale Egenhetens Støtte“
Tom: Yeah, haha! … Burzum! Habe ich auf Vinyl. Das kam in den 90ern auf den Markt, bevor er ins Gefängnis musste und bekannt wurde, was für ein furchtbarer Mensch er ist.
Du hast dieses 25-minütige Ambientstück 2014 mit in einen „FACT“-Mix von euch gepackt, Tom …
Tom: Das stimmt. Im ersten Moment hört es sich für einen Indie-Musiker anmaßend an, wenn er einen Black-Metal-Titel mit in so eine Liste nimmt. Ein Genre, in dem es nur um Schmerz, Verderben und brennende Kirchen zu gehen scheint. Es gibt aber auch diesen Black-Ambient-Sound, den man heute überall hört. Das hat mit dem Ur-Genre kaum noch etwas zu tun. Das Stück wurde auf einem billigen Synthesizer aufgenommen, aber inmitten des ganzen kreativen Mahlstroms der Boshaftigkeit, der sich dabei entwickelte, ist das hier herausgekommen. Ein unglaublich erhebendes Stück, absolut einmalig.
Black Metal ist zu einem Nerd-Genre geworden, mit dem sich auch Nicht-Metaller beschäftigen. Könnt ihr das nachvollziehen?
Hayden: Tattoos, Bärte, angsterregende Blicke, Musik, die nur für einen eingeschworenen Zirkel aufgenommen wurde. Natürlich hat das seine ganz
eigene Anziehungskraft.
Tom: In den USA gibt es diesen Black Metal von Liturgy oder Deafheaven, in dem dieser besondere Verbrüderungsgeist steckt. Es ist schon irre, zu beobachten, wie weit manche Leute in ihrer Kunst gehen. Aber da Black Metal an sich ein Puristen-Ding ist, ist es nicht so unsere Sache. Wild Beasts sind Mischlinge und Chamäleons!
„Das ist ein derart sexistischer Song. Dazu hat sich Macca einfach mal für ein paar Minuten dem Stil von Devo angepasst.“
Paul McCartney
„Temporary Secretary“
Hayden: Man mag es kaum glauben, aber das ist tatsächlich Paul McCartney.
Tom: Wie bitte?? Das hört sich ja total durchgedreht an.
Du hast 2015 davon eine Coverversion mit Darkstar aufgenommen, Hayden …
Hayden: Ja. Dabei ist das ein derart sexistischer Song. Der Früh-80er-McCartney verlangt nach einer „vorübergehenden Schreibkraft“. Diese Zeile hier ist unglaublich: „She can be a belly dancer, I don’t need a true romancer.“ Dazu hat sich Macca einfach mal für ein paar Minuten dem Stil von Devo angepasst. Darkstar haben bei ihrem Cover gute Arbeit geleistet. Dieser Song ist nämlich gar nicht so einfach zu arrangieren.
Xiu Xiu
„Falling“
Hayden: Das klingt ziemlich nach „Twin Peaks“ …
Ja, es ist das bekannteste Stück aus dem Soundtrack, in einer neuen Version von Xiu Xiu.
Hayden: Ich kenne Xiu Xiu nicht so gut, deshalb kann ich dazu schlecht was sagen. Dafür aber zu David Lynch: Mit diesem Namen macht man es sich inzwischen leider ein gutes Stück zu leicht. Es ist egal, ob wir an einem Videoclip arbeiten, Vorschläge für Fotoshootings sichten oder über Sounds diskutieren –du musst ganz sicher nicht lange warten, bis jemand mit diesem Schlagwort um die Ecke kommt: „David Lynch“. Es muss doch möglich sein, was Cooles auf die Reihe zu kriegen, ohne jedes Mal auf ihn zu verweisen. Sorry, aber ich bin da inzwischen richtig empfindlich geworden.
Die 2002 gegründete Band Wild Beasts stammt aus dem nordwestenglischen Städtchen Kendal. Ihr Art-Rock dient definitiv nicht der Beruhigung, Hayden Thorpes einprägsames Falsett verleiht ihrem Sound zudem einige Extravaganz. Ihr fünftes Album BOY KING, das sie in Texas bei Produzent John Congleton (Sigur Rós, Swans, Modest Mouse u.v.m.) aufgenommen haben, ist aggressiver und elektronischer als alles, was sie bislang veröffentlicht haben.