Bob Till You Drop
Der Mann, der dem Pop die Sprache schenkte, wird 60 - happy birthday, Mr. Dylan! Wir verraten, was Sie schon immer über His Bobness wissen wollten. Die Laudatio liefern Bono und Wolfgang Niedecken.
Den folgenden Text schrieb U2-Sänger Bono als Vorwort für das soeben erschienene Buch „Hob Dylan – in eigenen Worten“ (Palmyra Verlag, 160 Seiten, 29,80 Mark – der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages): „Kürzlich kam mir eine Zeile des Dichters Brendan Kennelly aus seinem Hook Of Judas in den Sinn. Bei der ‚Zoo TV‘-Tournee war sie so etwas wie mein Motto gewesen, doch nun ging mir auf, dass sich mit ihr auch Bob Dylan und seine gesamte Laufbahn charakterisieren ließen. Die Zeile lautet: ‚Man dient seiner Zeit am besten, indem man an ihr Verrat begeht.‘ Genau das nämlich macht Hob Dylan ans: Er bezieht nicht einfach bloß automatisch die Gegenposition, denn dann wäre er ein Miesmacher – und Miesmacher sind nicht sonderlich interessant, weil man stets weiß, auf welcher Seile sie stehen.
Es gab mal eine Zeit, da war Dylan geradezu der Inbegriff des Modernen, und dennoch ist sein Schallen immer eine beispiellose Kritik der Moderne gewesen. Weil er in Wirklichkeit von einem sehr alten, last schon mittelalterlichen Ort her zu uns spricht. Und diese uralte Stimme hat er schon seit seinen Anlangen, seil damals, als er noch ein junger Mann war und doch klang wie ein Greis. Und er ist seit damals eine Art Rufer aus der Vergangenheit, einer zeitlosen Vergangenheit, die wir linderen offenbar vergessen haben. Aber wir dürfen sie nicht vergessen. Das ist für mich das Wesentliche: Seine Musik stellt immer wieder unsere Zukunftsversessenheit in Frage. In gewisser Weise ist dieses Gefühl, das Bob Dylan für Balladen hat , und und ebenso das Biblische vieler seiner Brüder natürlich auch etwas Ur-Irisches. Eigentlich konnten wir mit seiner Sprache nicht vertraut sein, und doch waren wir es instinktiv. Bei unserer ersten Begegnung hat er mich völlig verblüfft, denn er bat darum, mit mir zusammen fotografiert zu werden – typisch Bob Dylan! Aber dann fing er an , mich nach Strich und Faden auszufragen, zum Beispiel über die McPeak Family . Ich dachte, das sei irgendeine Punkband aus Arkansas, doch dann stellte sich heraus, dass eine irische Folkgruppe ist, von der ich noch nie was gehört hatte.
Das war 1984. 112 arbeiteten an THE UNFORGETTABLE FIRE, und wir fühlten uns musikalisch völlig entwurzelt, als kämen wir geradewegs aus dem Weltall. Bob Dylan gab ein Konzert im Slane Castle, und m diesem einen Tag hat er hei uns eine Menge ins Rollen gebracht. Er war es, der uns auf jene Reise in die Vergangenheit schickte, die schließlich Rattle And Hum geführt hat. Dylan wollte alles Mögliche über die irische Musik von uns wissen. Dann rezitierte er mindestens zehn der dreizehn Strophen von Brendan Behans Gedicht ‚Hanks Of The Royal Canal‘, und ich konnte mich davon überzeugen, welch ein unglaubliches Gedächtnis für alle Lieder er hat. Er erzählte, der Balladensängerin l.iam Clancey sei sein Vorbild, und behauptete hartnäckig, dass bei den Iren noch lebendig sei, wovon die Amerikaner und ein Großteil der Welt nichts mehr wissen wollten: die Vergangenheit. Van Morrison saß auch dabei, und er verstand voll und ganz, worüber sich Dylan da ausließ, aber ich fühlte mich etwas unbehaglich. Dieses Gespräch mit Hob Dylan – sowie ein späteres mit Keith Richards über den Blues – hat es 112 erst ermöglicht, die eigene Vergangenheit wieder zu entdecken.
Bob Dylan hat dir in jeder Phase deines Lebens etwas zu sagen. Manche seiner Lieder, mit denen man als Zwanzigjähriger nichts anlangen konnte, versteht man auf einmal, wenn man älter geworden ist. Lines davon ist ‚Visions Of Johanna‘. Er ist wirklich erstaunlich: Er schreibt einen ganzen Song über eine Frau, beschreibt sie auf unnachahmliche Weise, doch in Wirklichkeit ist sie gar nicht diejenige, die gemeint ist. lohanna ist jemand ganz anderes! Und das Gleiche in ‚Brownsville Girl‘, einem seiner meistunterschätzten Songs. Dylan inszeniert Dylan hier ein einzigartiges Spektakel, das den Zuhörer ständig zum Lachen bringen kann. So nach dem Motto: Man gebe mir eine verrückte Idee, und ich baue sie ein. ‚Brownsville Girl‘ ist eine herrliche Ballade über eine lateinamerikanische Frau mit Zähnen wie Perlen, doch dann, mitten im Song, heißt es auf einmal wieder: ‚She ain’t you, but she’s here/And she’s ain’t you, but she’s here/And she’s got that dark rhythm in her soul.‘ Auch hier also: Der Song handelt nicht wirklich von dem Mädchen aus Brownsville, sondern ist eher an jene andere Frau gerichtet, die wohl Dylans Muse ist. Und indirekt bezieht er sich auf sie auch in Tangled Up In Blue‘. Er spricht dort von einem italienischen Dichter, dessen Worte wie glühende Kohlen wirken, und irgendwann merkt man: Klar, er meint Dante! Dante schrieb jede Zeile seines Werks für seine Muse, Beatrice, und in den meisten Liedern von Bob Dylan gibt es ebenfalls eine Beatrice. Ob sie nun real ist oder eingebildet, spielt keine Rolle. Wenn man in seinen Zwanzigern ist, interessieren einen derartige Zusammenhänge noch nicht. Da interessiert man sich mehr für The Times They Are A-Changin“.
Aber Bob Dylan begleitet dich dein Leben lang. Mir hat zum Beispiel SLOW TRAIN gut gefallen. Mir hat sogar SAVED gefallen. Nach Ansicht vieler hat er damit nur sein Christentum in die Welt hinausposaunt, aber für mich klingt es nach einem aufrichtigen Hilferuf. Ich weiß nicht, ob er damals wirklich in der Klemme steckte, aber es hört sich ganz danach an. Sein Abstecher zum Kinderlied mit Stücken wie ‚Man Gave Names To All The Animals‘ ist wunderschön – als würde Picasso mit einem Textmarker zeichnen. Picasso ist denn auch der einzige, mit dem man Bob Dylan vergleichen könnte. Und ich liebe diese gelegentlichen Anleihen beim Kinderreim, etwa wenn er auf UNDER THE RED SKY ‚bowl of soup‘ (eine Schüssel Suppe) auf ‚rolling hoop‘ (rollender Spielreifen) reimt. Ich mag aber auch die Lakonie der jüngsten Zeit, jene antimetaphorische Tendenz, die ein wenig an Raymond Carver erinnert.
Mein Lieblingsalbum von Bob Dylan ist BRINGING IT ALL BACK HOME, wegen seiner überschäumenden Vitalität, aber die Liedzeilen, die mir absolut nicht aus dem Kopf gehen, stehen am Anfang von ‚Visions Of Johanna‘: ‚Ain’t it just like the night to play tricks when you’re tryin‘ to be so quiet? We sit here stranded, though we’re all doin‘ our best to deny it.‘ (Das hat die Nacht wohl so an sich, dass sie dir Streiche spielt, wenn du nur Ruhe suchst. Wir sitzen hier, gestrandet, auch wenn wir uns nach Kräften bemühen es abzustreiten.) Unübertrefflich auch wenn ‚Death Is Not The End‘ von DOWN IN THE GROOVE da heranreicht. Das kann einem die Sprache verschlagen. Und ein Lied wie ‚Every Grain Of Sand‘ ist wohl das Äußerste, was sich in der Popmusik erstreben läßt.
1999 saß ich im Publikum, als er in Las Vegas ein Casino eröffnete. Ei strotzte vor Gesundheit und wirkte glücklich – man kennt dieses warmherzige Lächeln, das auf der Bühne manchmal über sein Gesicht huscht. Der Saal war nicht voll. Ich fragte mich, was das wohl für ein Gefühl für ihn sein musste. Und dann sah ich ihn an und begriff, dass es ihn auf einer ganz fundamentalen Ebene überhaupt nicht berührte. Das ist echte Freiheit. Ich hatte ihn vorm Papst spielen sehen und im Casino, und nun wurde mir auf einmal bewusst, hier haben wir sie wieder, die ganz und gar mittelalterliche Idee vom Troubadour: Du zahlst, und ich spiele. Ganz egal, wer kommt und wie viele. Die Musik des Troubadours ist für jeden da, der zuhören will. Für die Heiligen wie für die Verdammten. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich würde ihm seine Sachen auf die Bühne tragen. Und wie meine Kollegen von U2 bestätigen können, reiße ich mich sonst nicht gerade um den alten Krempel.“
Glückwunsch aus Köln
Auch BAP-Chef Wolfgang Niedecken, Dylan-Kenner und -Verehrer, steuert ein paar persönliche Gedanken zum Thema bei: ,,’Blowin‘ In The Wind‘ hielt ich für ein englisches Pfadfinderlied und die Jungs, die mit den schwarzweißen Akustik-Alben rumliefen, für eierlose Klugscheißer. Erst als mir der Sänger dieser Schülerband, in der ich noch Bass spielte, ‚Like A Rolling Stone‘ vorsang, war tatsächlich nichts mehr wie vorher.
Von da ab wollte Ich alles von und über diesen Typen wissen, und was mir meine Deutschlehrer auch nicht mit den imposantesten Erzeugnissen der hiesigen Klassiker – von Goethe bis Brecht – vermitteln konnten, passierte plötzlich von selbst: Ich begann mich für Poesie zu interessieren. ‚Gates Of Eden‘, ‚Sad-Eyed Lady Of The Lowlands‘, ‚Visions Of Johanna‘ und und und… Schriftsteller wie John Steinbeck, Joseph Conrad, Frank O’Hara und Jack Kerouac fingen an, mich zu interessieren, ein komplett neuer Kosmos öffnete seine Pforten. Es war wie ein Rausch, der erst unterbrochen wurde, nachdem ich beschlossen hatte, mich in konsequenter Form meinem Kunststudium zu widmen und alles, was mit Popmusik zusammenhing, als Kinderkram abzutun. Es hat nichts genutzt, denn während meines Zivildienstes fuhr ich ausgerechnet mit einem Dylan-Hardcore-Fan Essen auf Rädern durch Köln, welcher sich gar nicht groß bemühen musste, mir sämtliche inzwischen versäumten Alben schmackhaft zu machen, zumal mit BLOOD ON THE TRACKS und DES1RE soeben zwei absolute Highlights erschienen waren. Was passierte? Ich fing nach sechs abstinenten Jahren wieder an, selbst Songs zu schreiben, ermutigt von diesen herrlich simplen, nachvollziehbaren Arrangements, die rein gar nichts mit dem zu dieser Zeit angesagten Bombastrock à la YES, E.L.P. und Genesis zu tun hatten. Ich war kurz darauf sogar in der Lage, mir meinen Lebensunterhalt mit Selbstgereimtem als ‚Südstadt-Dylan‘ zu verdienen und pilgerte in der Folge natürlich ’78 auch in die Dortmunder Westfalenhalle, um ihn auf seiner ersten Deutschlandtour zu erleben, desgleichen ’81 auf die Loreley. Seither habe ich ihn mindestens einmal auf jeder Tour gesehen. Manchmal in katastrophaler Form wie während der Temples In Flames‘-Tour in Frankfurt oder Anfang der 90er in Essen, wo er mir backstage, rattendicht, fast in die Arme gefallen wäre, im letzten Moment aber dann doch noch die Kurve durchs Catering auf die Bühne kriegte, auf der ich dann, hinter der P.A. leidend, miterleben musste, wie schlecht es ihm offensichtlich ging. Gelegentlich aber war er einfach großartig, wie Mitte der 90er auf dem Balingen Open-Air, wo wir einen Tag nach ihm spielten. Realsatire fand nicht nur in Form seines Kurzauftritts vor dem Papst und beim völlig versiebten, aber dafür weltweit übertragenen Live-Aid-Gig statt, bei dem die heiligen drei Rock’n’Roll-Könige Keith, Ronnie und Bob immerhin als Einzige die Freak-Flagge hochhielten, sondern in viel milderer Ausführung auch beim 98er Rock am Ring, wo das völlig gelangweilte Publikum ausschließlich auf den vermeintlichen Guns N’Roses-Hit ‚Knockin‘ On Heaven’s Door‘ reagierte. Ich war im Madison Square Garden, als sein 30stes Bühnenjubiläum gefeiert wurde, und habe geheult, als ich Wochen später die Live-CD mit der Jubiläumsfassung von ‚My Back Pages‘ mit Harrison, Petty, Young, Mc-Guinn und Clapton zum ersten Mal hörte. Ich habe in einer für mich entscheidenden Phase ein Album mit eingekölschten Dylan-Songs mit der Leopardenfellband aufgenommen, welches mir noch einmal in Erinnerung gerufen hat, wofür ich ursprünglich mal angetreten war.
Ja, ich bin ihm dankbar, kein anderer Kollege hat mich beeinflusst wie er. Er hat vermutlich nicht nur meine Schuhe gemacht, während er selbst weiter barfuss – never ending – um den Globus tourt. Bob Dylan hat den Soundtrack für mein Leben geliefert und mir nebenbei die Basis dafür geschenkt, mich selbst wenigstens halbwegs sinnvoll im ‚Showbusiness‘ zu bewegen. Er hat Türen geöffnet, die danach so mancher bequem passieren konnte, und um die lästigste Frage in diesem Zusammenhang zu guter Letzt auch noch zu beantworten: Ja, kennengelernt habe ich ihn inzwischen auch. Ein gemeinsamer Freund hat uns einander nach seinem letzten Konzert in Köln vorgestellt, und selbstredend war das toll, aber nicht aus irgendwelchen Handauflegungsgründen, sondern weil ich mich aus nächster Nähe davon überzeugen konnte, wie fit der Mann ist. Das lässt hoffen.“
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