Böse Miene, gutes Spiel
Fotos: Dirk Schelpmeier
Vom Nobody zum Rockstar- keine leichte Sache. Die Guano Apes über Erfolg und die Folgen und die Erwartungen an das Leben und ihre neue CD.
KINDERMORDER, KORRUPTE POLITIKER, kalorienreiche Kost, meist aus Kartoffeln gemacht und nach entsprechender Behandlung in siedendem Fett auch Tritten genannt. Doch, Belgien ist ein schönes Lind! Und wenn man mal von den Stereotypen absieht, mit den das kleine Königreich ständig in Verbindung gebracht wird, stimmt das sogar. Anders als ihre deutschen Nachbarn besitzen die Belgier zum Beispiel nicht den geringsten Respekt vor der Obrigkeit. Wäre man unverfroren, könnte man sie auch als Volk von Anarchisten bezeichnen. Und das wiederum passt prima zu dem, was die Guano Apes nach Belgien getrieben hat. In den Galaxy Studios, ein supermoderner Gebäudekomplex in einem abgelegenen Nest namens Millegem, machen sie Musik. Was ja auch so eine Art Anarchismus ist. Nur akustisch eben. Wer die Band aus Göttingen bei der Arbeil an ihrem neuen Album in ebenjenem Millegem beobachten kann, wird das gern bestätigen: sägende Gitarren, vertrackte Rhythmen, Frauenstimmen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das Ergebnis heißt „Don’t Give Me Names“, wird am 2. Mai veröffentlicht und ist das neue neue Album der Apes (Besprechung auf Seite 58). Es ist aber nicht nur das neue Album des Quartetts, sonder auch das zweite. Und das macht die Sache schwierig. Denn das zweite Album ist auch immer das problematischste. Im Fall der Guano Apes sogar das allerproblematischste. Warum? Ganz einfach! Ihr Debüt („Proud üke A God“) war mit 700.000 verkauften Exemplaren dermaßen erfolgreich, dass dieses Ergebnis kaum noch zu toppen ist. Genau das aber erwartet (fast) jede Plattenfirma. 700.000 Verkäufe von Album 1, ja, Donnerwetter noch mal, da müsste mit der Nummer 2 doch glatt die Million zu knacken sein! Schon möglich. Was, ja was aber, wenn den Hauptbeteiligten, den Musikern also, erst mal die Ideen ausgegangen sind? Und genau mit diesem Problem hatten die Guano Apes als Folge ihres kometenhaften Aufstiegs zu kämpfen. Nach Hunderten von Terminen neben Konzerten in ganz Europa die übliche PR-Tretmühle aus Interviews für Presse, Funk und Fernsehen – trat die Band im vergangenen lahr erst mal den Rückzug ins Private an. Drummer Dennis Poschwatta (25): „Nach dem ganzen Stress hatte in Göttingen jeder von uns was Besseres zu tun, als neue Songs zu schreiben. Der Kuchen bei Tante Hilde ¿
kam da besser als das Nachgrübeln über neue Songs.“ Merke: Auch Rockmusiker sind nur Menschen – was einem im Falle der Guano Apes ganz besonders angenehm auffällt. Nein, in dieser Runde lässt keiner den Rockstar raushängen. Im Gegenteil: Zurückhaltung ist angesagt, auch im Familienkreis und unter alten Bekannten. Gitarrist Henning Rümenapp (23): „Für mich gibt’s nichts Schlimmeres als ’ne Familienfeier, bei der ich als Popstar angekündigt werde. Auch bei alten Bekannten ist das so ’ne Sache. Man trifft sich auf der Straße, redet miteinander, und plötzlich stellst du fest, dass sich der Typ, mit dem du sprichst, dauernd umdreht, um auch ja sicher zu gehen, dass er mit dir gesehen wird.“ Und weil Henning Rümenapp sich gerade so schön warmgeredet hat, räumt er auch noch gleich mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf: „Wenn du es in diesem Geschäft zu was gebracht hast, denken die Leute sofort, dass sie es jetzt mit dem Rock’n’Roll-Star von Weh zu tun haben. Dabei ist das völliger Schwachsinn.“ Stimmt. Genauso wie die Tatsache, dass es selbst dem dicksten Denker nicht dauernd gelingt, kreativ zu sein. Es gibt sie, die kreativen Ixkher, aus denen man als Künstler erst mal wieder herausfinden muss.
DIE GUHNO HPES ÜBERWUNDEN IHRE KRERTIUE Krise in Dänemark. Dorthin hatte sich die Band, neben Drummer Dennis Poschwatta und Gitarrist Henning Rümenapp noch Sängerin Sandra Nasic (23) und Bassist Stefan Ude (25), zurückgezogen, um in aller Ruhe an neuen Songs zu arbeiten. Und siehe da: Die Abgeschiedenheit eines Landhauses kam dem gruppendynamischen Kreativprozess massiv entgegen. Henning Rümenapp: „Wir jammten plötzlich wieder wie in alten Zeiten, ergänzten uns dabei hervorragend, und schon nach wenigen Tagen hatten wir einige wirkliche gute Songs, die das Grundgerüst für das neue Album bildeten.“
Nun ist „Don’t Give Me Names“ fertig, und die Band ist zufrieden. Dabei war das selbstgesteckte Ziel nicht eben bescheiden, wie I lenning Rümenapp sich erinnert: „Wir wollten ein absolut amtliches Produkt rausbringen für den internationalen Markt.“ Und was, wenn der Schuss – wider alle Erwartungen – trotzdem nach hinten losgehen sollte. Was, wenn die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurückbleiben sollten? „Dann werden wir eben versuchen, es beim nächsten Mal noch besser zu machen“, gibt Dennis Poschwatta zurück. Nein, ein Weltuntergang wäre es nicht für die Guano Apes, wenn man statt 700.000 Platten diesmal „nur“ eine halbe Million verkaufen würde, ein angenehmer Gedanke, man sieht es ihren Gesichtern an, aber genauso wenig. Immerhin hat man nicht nur Deutschland, sondern den internationalen Markt im Auge. Und da müsste nach menschlischem Ermessen und den Erfahrungen der Vergangenheit einiges drin sein an Verkäufen. Eine ganz besondere Rolle spielt dabei der amerikanische Markt. Schließlich haben die Guano Apes jenseits des Atlantiks bereits erste positive Erfahrungen gemacht. Line im vergangenen Jahr absolvierte achtwöchigelbur mit P.O.D., ein vierter Platz in den Alternative-Charts für den Song „Open Your Eyes“ und sechsstellige Verkaufszahlen für den Album-Erstling „Proud Like A God“ lassen auch für dieses lahr einiges erhoffen. Zumal die Guano Apes sich für „Don’t Give Me Names“ in Soundfragen von einer Koryphäe unter den amerikanischen Klangexperten beraten ließen. Jawohl, kein Geringerer als Producer Bob Ludwig nickte die Eignung des zweiten Guano-Albums für den amerikanischen (in diesem Fall gleichbedeutend mit internationalen) Markt ab.
Was also, ja was soll da noch groß schiefgehen? „Ne ganze Menge kann da noch schieflaufen“, weiß 1 lenning Rümenapp, auch wenn er nicht daran glaubt, dass es so kommt. Eine gesunde Portion Skepsis aber ist, gerade gegenüber dem US-Markt, geblieben: „Wenn man in den Staaten ist, wird man auch zur Kenntnis genommen. Aber wenn man dann wieder weg ist, wird man fallengelassen wie eine heiße Kartoffel.“ Da weiß man doch glatt, was man am eigenen Land hat: „Deutschland ist da auf jeden lall die sicherere Fan-Basis.“ Apropos Fan-Basis: Sind die Guano Apes immer noch eine Band zum Anfassen? Drummer Dennis ist da sehr optimistisch: „Ich denke doch, dass wir nach wie vor ’ne Band zum Anfassen sind. Deshalb nehmen wir auch schon mal Freunde mit zu Festivals oder anderen Terminen. Dann sehen die, was da zum Teil für ’ne Schweine Arbeit drinsteckt und dass die Sache mit Sex’n’Daigs’n’Rock’n’Roll nichts weiter ist als ein saublödes Klischee.“ Auch Henning Rümenapp sieht sein Geschäft eher nüchtern: „Das ist kein großes Mysterium, sondern stundenlange, harte Arbeit. Oder, wenn man das andere Extrem hernehmen will, endlose Langeweile. Dazu kann es beispielsweise beim Videodreh kommen, wenn man zwei Tage einfach nur blöde rumsteht und einem der Himmel auf den Kopf fällt.“
Der Popstar also als Mensch, mit dem man Mitleid haben sollte? Der nur hart arbeitet und kaum Spaß dabei hat? Widerspruch von allen Seiten. Nein, so habe man das ja nun auch nicht gemeint mit dem harten Job. Klar sei man glücklich darüber, dass man es im hart umkämpften Musikbusiness zu etwas gebracht habe. Nur sei man halt dagegen, das Ganze zu mystifizieren. „Auf der anderen Seite“, meldet Sängerin Sandra Nasic sich zu Wort, „ein bisschen Glitzer bleibt immer erhalten in diesem Geschäft. Und ja, wir haben einen genialen lob, trotz der vielen Termine. Mein ganz persönlicher Traum jedenfalls ist wahr geworden.“ Die positiven Signale von Sängerin Sandra verfehlen nicht ihre Wirkung. Plötzlich finden auch Dennis und Henning ihrem Job wieder überwiegend positive Seiten ab. Dennis: „Wenn bei einem Konzert die Leute da stehen, egal ob nun 500 oder 50.000, und die freuen sich darauf, dich zu sehen, da wird unheimlich viel Adrenalin freigesetzt. Und Henning ergänzt: „Man muss auch sehen, dass das ein sehr privilegierter Job ist, den wir da ausüben. Das wollen ganz viele, schaffen am Ende aber nur ganz wenige.“ Trotzdem: Die Schattenseiten bleiben. „Zum Beispiel, wenn man ein tolles Interview gegeben hat und einem dann das
Won im Mund umgedreht wird , wie Drummer Dennis nicht ohne deutliche Anzeichen von erlebtem Frust berichtet. Aber auch innerhalb der Band sind Spannungen unausweichlich. Monatelang fast ständig zusammen, oft auf engstem Raum – klar, dass da auch schon mal die Fetzen fliegen. Dann zum Beispiel, wenn Dennis die Wut packt. Grinsend räumt er ein: „Kommt halt vor, dass bestimmte Sachen nach dem vierten oder fünften Versuch immer noch nicht klappen und Henning dann sagt ‚Komm, wir kriegen das schon noch hin‘ und ich dann antworte ‚Hall doch die Fresse, leck mich am Arsch‘. Im nachhinein tut mir so was dann natürlich leid.“
Auch Sängerin Sandra hat schon mal den Zorn des temperamentvollen Trommlers zu spüren bekommen. Dennis erinnert sich: „Bei den Aufnahmen zu ‚Big In Japan‘ habe ich mich mal böse aufgeregt. Wir haben das Playback eingespielt und waren mit dem Drum-Tape fast fertig und zufrieden. Da kommt Sandra rein, hört das Ganze und nölt Was’n das hier, is‘ doch viel zu langsam.‘ Und ich mich aufgeregt, weil ich denke, „Was ist denn mit dieser blöden Kuh los. Kommt einen Tag später, während wir uns hier den Arsch aufreißen, und meckert dann los‘. Trotzdem, ich hab‘ mich hingesetzt und den Drumpan noch mal gespielt. Und siehe da – er ist richtig gut geworden. In solchen Fällen bin ich dann natürlich hinterher total dankbar.“ Offene Worte, die man so nicht allzu oft zu hören bekommt. Was sagt denn bloß der Image-Berater der Guano Apes zu so viel Ehrlichkeit? Image was? „Haben wir nicht“, erzählt Sandra. Solche Leute hauen auch keine guten Chancen bei uns. Denn im Endeffekt definieren wir uns dadurch, was wir machen. Wenn wir das ändern würden, würde das nicht gut ausgehen, weil es nicht mehr echt wirken würde.“ Kein Zweifel: Echt sind sie, die vier aus Göttingen. Was auch für die Plattenfirma den Umgang mit den Guano Apes nicht immer leicht macht. Henning Rümenapp: „Die Promotionleutewissen natürlich, dass wir vier unterschiedliche Mensdien sind und auch ein bisschen sperrig. Aber vielleicht fordert sie das ja auch.“ Und was, wenn die Guano Apes, abseits ihrer üblichen Aktiväten, mal selbst gefordert würden; zum Beispiel, darüber nachzudenken, was nach der glitzernden Welt des Showbusiness kommen soll? Henning Rümenapp sieht s nüchtern: „Jeder muss für sich selbst entscheiden, was er macht, wenn’s in ein, zwei Jahren mal nicht mehr so gut laufen sollte mit der Band. Bleibt man im Musikbusiness? Macht man ’ne Ausbildung? Macht man was ganz anderes?“
Für Sängerin Sandra keine Fragen, die wirklich ernsthaft zu Debatte stünden: „Ich würde auf jeden Fall im Musikbusiness bleiben, in einer Band oder vielleicht auch alleine. Selbst wenn ich so an die kleinen Reibereien denke – wenn ich mich hinsetze und über mein Leben nachdenke, dann wünsche ich mir nicht eine Sekunde lang, etwas anderes machen zu wollen.“ Trotzdem, Drummer Dennis ist dabei, sich ein zweites Standbein aufzubauen, hat sich selbständig gemacht und engagiert sich „im Bereich Mangement“ – man weiß ja nie. Obwohl, die ganz großen Sorgen müssen sich die Guano Apes schon jetzt nicht mehr machen. Selbst wenn es in der Band eines Tages nicht mehr so laufen sollte, wie es in einer Gruppe nun mal laufen muss, würde bei keinem der Mitglieder eine existentielle Krise ausbrechen. Schließlich hat man ja schon die eine oder andere Mark verdient mit seiner Mucke. Und weil man es bei den Guano Apes mit vernünftigen Menschen zu tun hat, die jede verdiente Mark nicht gleich zweimal ausgeben, wäre im Falle eines Falles zumindest auf absehbare Zeit auch das Überleben der einzelnen Bandmitglieder gesichert. Henning Rümenapp: „Wenn man bodenständig denkt, dann muss man einfach darüber nachdenken, wie lange so ein Erfolg anhalten kann. Und deshalb schmeißen wir die Kohle, die wir bis jetzt verdient haben, auch nicht einfach zum Fenster hinaus und kaufen uns irgendwelche Inseln in der Südsee.“
UON DER SÜDSEE KÖNNEN DIE GUflNO HPES DERZEIT ohnehin nur träumen. Ihr Terminkalender für dieses lahr ist prall gefüllt. Die neue Platte ist da und möchte promotet werden. Außerdem wartet ein begieriges Konzertpublikum auf die vier aus Göttingen. Und mit Auftritten in Deutschland ist es da natürlich nicht getan. Nach dem F.rfolg von „Proud Like A God“ wartet halb Kuropa auf Sandra, Henning, Dennis und Stefan. Dem entspricht auch die momentane Befindlichkeit der Band. Es herrscht Aufbruchstimmung im Hause Guano Apes – allen zeitweiligen Katergefühlen zum Trotz. Sandra Nasic: „Glücklicherweise ist es bei uns so, dass wir gar nicht erst an einen wirklichen Endpunkt gelangen, ob nun menschlich oder musikalisch, denn wir suchen immer wieder den Kompromiss.“
Keinen Kompromiss dagegen wollen die Guano Apes eingehen, wennn es darum geht, ihrem Publikum das Bestmögliche – in diesem Fall die Musik ihres neuen Albums – zu einem fairen Preis anzubieten. Drummer Dennis: „Ein gutes Beispiel sind da unsere Konzerte. Wir versuchen, die Eintrittspreise zwischen 20 und 30 Mark zu halten, was ja im Vergleich zu anderen Bands ausgesprochen zivil ist. Schließlich kann man den Leuten auch für einen annehmbaren Preis eine schöne Show bieten.“ Und was den Preis für den Konsum von Musik angeht, legt Dennis sogar noch einen drauf. Klar, Musik einfach aus dem Internet zu klauen, ohne das Künstler und Plattenfirma auch nur einen Pfennig für die von ihnen erbrachte Leistung zu sehen bekommen, findet auch er „nicht okay“. Aber: „Vielleicht müssten die Plattenfirmen ja auch mal über den Preis der von ihnen angebotenen Ware nachdenken. Ich finde es manchmal fredi, von den Leuten 35 oder 38 Mark für eine CD zu verlangen. Das ist echt zuviel. Und da verstehe ich auch, wenn sich manche für zehn Mark ’ne Gebrannte kaufen.“ Und Henning ergänzt: „Selbst wenn die Musikindustrie über llmsatzeinbußen klagt, so bleibt doch unterm Strich immer noch ein gewalliger Gewinn übrig.“
Das Gespräch ist zu Ende. In den Galaxy Studios wird der Mittagstisch gedeckt. Auch Pommes frites sind im Angebot. Wir sind schließlich in Belgien. ¿