Boy George
Es ist nicht nur seine Haarfarbe, die ständig wechselt.
Pop-Primadonna Boy George ist dafür berüchtigt, ein ebenso exzentrisches wie widersprüchliches Ego koordinieren zu müssen. Der ideale Kandidat also für ein psychoanalytisches Puzzle: Statt eines Interviews gaben wir ihm Worte vor, zu denen er frei zu assoziieren hatte. Professor Siegmund in Hülsen,
ALT WERDEN
„Ich habe keine Angst vor dem alt werden, darüber mache ich mir wirklich keine Gedanken. Ein notwendiges Übel, bei dem man keine Wahl hat; entweder du stirbst jung – oder du wirst alt. Und wenn du dann alt wirst, sollte man es mit Anmut und Würde tun.“
FITNESS
„Es gibt gewisse Dinge, die man seinem Körper nicht zumuten sollte, wie Rauchen, exzessives Trinken, Drogen. Wenn man bedenkt, was alles mit deinem Körper falsch laufen kann, wieviel Unfälle passieren können, dann ist man ganz schön dumm, diese Risiken noch durch Rauchen und Drogen zu vergrößern.
Ich glaube aber auch, daß man fett und trotzdem glücklich sein kann; für mich sind Muskeln und trainierte Körper nicht die Garantie für ein perfektes Leben! Den Körper sollte man zwar nicht vernachlässigen, wahre Befriedigung aber kann man sich nur mit dem Geist holen.
Was meinen Geist, meinen Kopf betrifft, bin ich hyper-aktiv; physisch hingegen gar nicht. Ich spüre kein Verlangen, durch Wälder zu rennen oder Gewichte zu stemmen. Es gibt Menschen, für die der Zustand ihres Körpers ebenso wichtig ist wie der Geisteszustand – ich gehöre nicht dazu! Fitness-Programme haben auf mich nie einen Reiz ausgeübt; ich könnte zu mir niemals jeden Morgen sagen – wie eine Art Big Brother -‚Steh auf! Mache deine Übungen!'“
BÜCHER
„Ich bin in meinem ganzen Leben nie ein Bücherwurm gewesen. Das einzige Buch, das ich je ganz gelesen habe, heißt TALLULAH DARLING und ist die Autobiographie von Tallulah Bankhead. Wenn ich Bücher lesen müßte, dann bitte nur Biographien; denn für mich sind Bücher nur dann interessant, wenn darin über Menschen berichtet wird – für Romane habe ich überhaupt nichts über!“
Stil „Stil ist für mich eine persönliche Angelegenheit, während Mode ein soziales Phänomen ist: Jeans sind Mode, ebenso T-Shirts – Mode ist eben das, was von den Massen getragen wird.
Dagegen ist das, was ich trage, nicht gerade besonders modisch; meine Kleidung ist eigenwillig und exzentrisch – obwohl die meisten exzentrischen Dinge mit der Zeit zur Mode werden.
Stil ist für den Menschen sehr persönlich. Die einzige Möglichkeit, stilvoll zu sein, liegt im Ignorieren der Ansichten, die andere Leute haben. Man kann eigentlich alles tragen und dabei stilvoll aussehen, solange man sich nicht um die Meinung der anderen kümmert und stark genug ist, sich durchzusetzen.“
NORMALITÄT
„Wenn man aus seinem Leben nichts herausziehen will, wenn man im Grunde genommen nur existieren will, ohne irgendein Risiko einzugehen, ohne etwas zu wagen – dann ist ein Mensch für mich normal! Ich würde aber nie eine Verbindung ziehen zwischen Anderssein und Normalsein, denn jemand kann normal aussehen und trotzdem außerhalb der Norm stehen.“
VERANTWORTUNG
„Wenn man beispielsweise ein Gedicht schreibt, dann hat man kein Recht, anderen Menschen mitzuteilen, welche Bedeutung dieses Gedicht hat. Ein Gedicht bekommt doch eigentlich erst Leben durch die Person, die es liest! Man würde den Leuten ihren Song, ihr Gedicht wegnehmen, ihre eigenen Ideen zu dem Song, wenn man ihnen eine Bedeutung aufzwingen würde.
Verantwortung – nun, als Künstler macht man doch nicht Musik, weil man sich verantwortlich fühlt, sondern weil du Spaß an der Kunst hast!
Im Verlauf der Karriere gibt es verschiedene Punkte, an denen man fühlt, daß bestimmte Schritte notwendig und wichtig für die eigene Kunst sind; den „War Song“ z.B. habe ich doch nicht geschrieben, weil ich Verantwortung für den Rest der Welt verspürt habe. Das Lied ist nichts weiter als die Meinung einer einzigen Person.
Es gibt gewisse Dinge, für die ich mit Culture Club verantwortlich bin: Wir haben gezeigt, daß eine mehrrassige Band wie Culture Club harmonisch zusammenarbeiten kann; das führt bei den Leuten zu einer Anerkennung der verschiedenen Kulturen. Hierin sehe ich meine Verantwortung als Künstler, ebenso auf dem Gebiet des Sexuellen: Ich versuche, die Leute dahin zu bewegen, liberaler und offener zu sein.“
GELD & ERFOLG
„Erfolg und Geld sind zwei unterschiedliche Dinge: Erfolg ist ein Geisteszustand! Die Gesellschaft, in der wir leben, erzieht uns zu dem Glauben, daß Erfolg Geld bedeutet. Aber man kann auf jeder Ebene erfolgreich sein, das hängt von der Struktur der eigenen Persönlichkeit ab. Die Verbindung von Geld und Erfolg scheint unvermeidbar, denn in unserer Gesellschaft sagt jeder: Wenn man erfolgreich ist, dann muß man auch eine Menge Geld besitzen.
Wenn ich jemandem einen Rat geben sollte, dann diesen: Du kannst eine erfolgreiche Hausfrau sein, ein erfolgreicher Müllfahrer, ein erfolgreiches Schulkind – ohne dabei das sein zu müssen, was die anderen von dir erwarten! Geld ist okay, Erfolg ist okay, wenn du beides nicht zum Statussymbol machst, wenn sie nicht zum Aushängeschild deiner Persönlichkeit werden.“
Liebe „Liebe ist ein weiter Begriff: Man liebt Sex, man liebt seinen Hund, man liebt seine Mutter. Aber es gibt einen Aspekt der Liebe, der immer auftaucht: Liebe, das ist das Verlangen nach dem monogamen Zusammensein mit einer Person, nach dem dauerhaften Zusammenleben, bei dem man der betreffenden Person auch vertraut, wenn sie nicht in der Nähe ist.
Ich glaube, daß Sex und Liebe einander sehr ähnlich sind viele sagen ja, daß Sex etwas anderes als Liebe ist. Für mich ist Sex ein wichtiger Bestandteil der Liebe, denn du mußt deinen Partner dazu bringen, daß er Spaß mit dir hat.“
NEID
„Neid und Eifersucht sind die schlimmsten Dinge, die es gibt. Beides sind Killer! Unsere Gesellschaft hat eine Situation geschaffen, in der jeder denkt, daß nur der Stärkste überlebt. Und wenn jemand nicht genauso reich ist wie der Nachbar, dann entsteht Neid. Ich hasse es, neidisch zu sein und versuche es zu vermeiden, ebenso die Eifersucht.“
Eltern „Eltern sind wie alle anderen Menschen auch. Ich liebe meine Eltern, und wenn das nicht so wäre, würde ich das auch sagen und mich entsprechend verhalten. Denn es ist ein Fehler, seinen Eltern gegenüber einen Schuldkomplex zu haben.“
KINDER
„Viele meiner Songs haben mit Kindern zu tun. Mit Stücken wie Mistake No. 3, The War Song oder Unfortunate Thing will ich deutlich machen, daß die Kinder die Zukunft der Welt sind; Kinder sind die nächste Generation! Viele meiner Songs sind an Kinder gerichtet, denen ich sage: Seid nicht wie alle anderen, wenn ihr erwachsen werdet! Um eine Gesellschaft zu verändern, gibt es nur einen Weg: Die Kinder müssen mit einer anderen Einstellung erwachsen werden. Wenn die Kinder genauso aufwachsen wie bisher, dann wird die Welt weiterhin ein aggressiver Ort bleiben.
Krieg „Ich glaube, daß Frankie Goes To Hollywood den Krieg für den letzten, größtmöglichen Orgasmus halten! Für mich ist Krieg ein riesen Reinfall, eine einzige Enttäuschung!“
AUF NUMMER SICHER GEHEN
Was meinst du damit? Ich weiß schon, was du meinst, aber … dieser Ausdruck ist Scheiße! Das ist ein typischer Begriff, den Musikjournalisten gebrauchen. Wenn eine Band keinen Erfolg hat, dann wird sie von allen geliebt; sobald die Gruppe aber viel Geld verdient, sagt jeder: Sie geht auf Nummer sicher. Für mich ist dieses Wort Scheiße! Es bedeutet gar nichts! Es ist Mist!
Letzte Woche hat mir jemand gesagt, daß Culture Club auf Sicherheit geht, während Deep Purple die Musik bis an ihre Grenzen ausdehnt; darüber konnte ich nur lachen.
Ich glaube, die ganze Welt geht doch auf Sicherheit, jeder will bei den Gewinnern sein und das führt zu dem ganzen Ärger, zu all den Problemen, die es in der Welt gibt.
Aber ich würde diesen Ausdruck nie mit Musik in Verbindung bringen! Auch Musik geht immer auf Sicherheit. Es gibt Leute, die glauben, Gruppen wie Frankie Goes To Hollywood oder die Sex Pistols wären da anders – aber für mich ist Musik nie rebellisch gewesen! Zugegeben, es gab Momente in der Geschichte, wo es Rebellion gab, die Sex Pistols waren in gewisser Weise rebellisch, weil sie die Musikindustrie verändert haben, aber letzten Endes sind sie doch zum Bestandteil einer Institution geworden.
Alles, was am Anfang nicht auf Sicherheit geht, wird letzten Endes doch sicher und brav also hat das Wort auch keine wirkliche Bedeutung. Es ist nur ein schlaues, geiles Wort im Mund der Journalisten.“
ÖFFENTLICHES EIGENTUM
„Man kann nicht so berühmt werden wie ich es bin und der Culture Club, ohne sich dabei in gewisser Weise eingeengt zu fühlen. Das muß man eben akzeptieren. Lady Diana hat in diesem Punkt auch keine andere Wahl! Man muß nur lernen, mit anderen Menschen umzugehen, man muß nur energisch und stark sein.“
FLYING PICKETS (Fliegende Streikposten)
„Wer ist das? Die Gruppe? Oder die Leute, die vor den Kohlezechen stehen? Ich glaube, daß jede Regierung im Grunde genommen schlecht ist – und ich bin mir in der Sache der englischen Bergarbeiter nicht sicher: Die eine Hälfte von mir sagt, daß die Bergarbeiter mehr Geld bekommen sollten und daß sie ausreichend zu essen haben.
Meine andere Hälfte sagt: Nun, es gibt da eine Menge Kinder, die an Krebs, an Leukämie sterben, es gibt viele Menschen, die in Krankenhäusern sterben – und sie alle haben überhaupt keine Chance! Ich würde den Bergarbeitern kein Geld spenden, denn ich würde es lieber den Leuten geben, die überhaupt nichts haben.
Natürlich muß man für das Recht auf Arbeit kämpfen, für die eigenen Rechte, aber ich habe da meine Vorbehalte; obwohl ich für ihre Situation Verständnis habe, sage ich, daß, je länger die Bergarbeiter streiken, desto mehr Geld England verlieren wird; letzten Endes wird es für niemanden einen Vorteil geben.
Unsere Gesellschaft bombardiert uns mit Normen, die völlig sinnentleert sind. In einigen östlichen Ländern gibt es Menschen, die haben ein TV-Gerät, aber nichts zu essen. Die Welt hat sich auf dem Gebiet der Technologie weiter und weiter entwickelt, während der Mensch wie ein vorsintflutlicher Bauer lebt. Da gibt es die Bergarbeiter, die sich untereinander bekämpfen, die einander umbringen, und da gibt es gleichzeitig Kinder, die mit Computern arbeiten – das ist doch eine bizarre Situation. Die Technik entwickelt sich nach vorne während die Welt zurückgeht. Der Bergarbeiterstreik ist doch wie eine Hexenjagd aus dem Mittelalter, eine wirklich prähistorische Angelegenheit.“