Boz Scaggs – Other Roads


Schwarze Ledermontur, dicke Maschine und ein beziehungsreicher Titel (OTHER ROADS) so stellt sich der Amerikaner Box Scaggs nach achtjähriger Kunstpause wieder der musikalischen Öffentlichkeit.

Von dem 44jährigen Mann aus Ohio stilistische Kehrtwendungen zu erwarten, wäre naiv. OTHER ROADS perfektioniert, was man spätestens seit SILK DEGREES liebte -— niveauvolle Songs zwischen Rhythm & Blues, Rock und Soul, relaxter Gesang, hochkarätiges Spiel, kühles Kochen…

Die Midlife Crisis — wenn es das war, was ihn vom Arbeiten abhielt -— hat Spuren hinterlassen. Scaggs schneidet Themen an, die so gar nicht ins Hochglanz-Bild vom High Life, vom charmanten Ladykiller passen. Allenthalben geht’s um Flucht („Cool Running“), Selbstzweifel („Right Out Of My Head“), Einsamkeit („Funny“), Sinnfragen („What s Number One“), um Vereinzelung, emotionale Vereisung. Selbst das Thema Liebe wird nur im Minusbereich geortet -— als Reminiszenz („Heart Of Mine“), als böse Vorahnung eines baldigen Verlustes („Claudia“) oder als „unmoralische“ Verlockung in der zwielichtigen Welt der Nutten („Crimes Of Passion“). Im Schlußtitel der ersten LP-Seite bricht die Kommunikation dann völlig ab: „I Don’t Hear You“.

Das, was man zu hören bekommt, steht allerdings in scharfem Kontrast zum bedrückenden Inhalt: maßgeschneiderte Radio-Ware, perfekt instrumentiert, perfekt produziert. Schon in der Vergangenheit umgab sich Blues-Fan Scaggs gern mit den Assen der US-Musikszene. Das ist diesmal nicht anders. Rückgrat seiner Begleitmusiker ist Toto-Taktgeber Jeff Porcaro; neben ihm alte Bekannte wie Gitarrist und Arrangeur Dann Huff, Totos Saitenvirtuose Steve Lukather (b), Peter Wolf (keys) usw.

Was diese von Song zu Song wechselnde Mannschaft im Studio zaubert, ist des Guten allerdings manchmal zuviel. OTHER ROADS wirkt stellenweise überproduziert und kalkuliert. Dort aber, wo die Muster variiert oder durchbrochen werden, hat die LP ihre schönsten Momente.

Daß der Sänger Scaggs nichts von seinem Charisma eingebüßt hat, ist von Anfang an klar. Sein nasales Vibrato, das vom Baß-Keller bis hinauf in den Falsett-Speicher klettert, berührt durch seine gewollte Distanz und Unaufgeregtheit, Scaggs überspielt nie. Ihm reichen Andeutungen, um Gefühle darzustellen und zu wecken.

Box Scaggs -— Acht Jahre Pause

Du hast acht Jahre pausiert. Was hast du gemacht?

„Ich bin Motorrad gefahren, habe viel gelesen, aufgearbeitet, was sonst immer liegen blieb und habe zugesehen, was auf diesem rasend schnellen Zug namens ,Musikgeschäft‘ passierte. Wenn man erst einmal innehält, vergeht die Zeit wie im Fluge. Alles verändert sich, wenn man das vorgegebene Tempo der Branche nicht mehr akzeptiert. Ich habe auch viel gefaulenzt und gar nichts gemacht. Sehr wertvoll in der heutigen Zeit.“

Hast du denn acht Jahre lang überhaupt nicht mehr gesungen?

„Nun -— ich bin ein paar Mal in Japan aufgetreten, aber im allgemeinen habe ich innere Emigration betrieben.“

Hattest du nicht Angst, aus der Übung zu kommen?

„Nein, die Stimme ist ein Muskel. Und genau wie andere Muskeln braucht sie Trainings- und Entspannungsphasen. Das war meine Entspannungsphase.“

Warst du beim neuerlichen Gang ins Studio nervös?

„Klar, es war wie beim ersten Mal.

Aber genau das wollte ich ja. Eine neue Herausforderung, nicht wieder eine altbekannte Situation. Irgendwann merkte ich, wie der alte Muskel wieder anfing zu arbeiten, wie die Musik langsam aus meinem Kopf herausgezogen wurde. Es war auch spannend, mit all diesen hervorragenden Musikern zusammenzuarbeiten.“

Wolltest du all diese Studiocracks auf deinem Album?

„Ja, nur die Besten. Die meisten kenne ich ja noch von früheren Produktionen. Newcomer wie Dann Huff habe ich durch andere Alben kennengelernt. Talent spricht sich durch Mundpropaganda schnell herum.“

Welche Musik hörst du zur Entspannung?

„Fast ausschließlich Blues. Im Blues liegen meine Wurzeln. Ich spiele auch nur noch Gitarre, wenn Blues auf dem Programm steht.“

Annie Leibovitz hat dich mit einer LaVerda fürs Cover abgelichtet. Ist das deine Maschine?

„Nein, diese Maschine haben wir für die Fotosession geliehen. Aber ich habe auch so ein Gerät.“

Was bisher geschah..

Der Mann hatte ein Problem: SILK DEGREES. An diesem 1976 erschienenen Masterpiece wurde Scaggs gemessen. DOWN TWO THEN LEFT (1977) nachher -— Boz erreichte nicht mehr die damalige Klasse. Nicht, daß die Nachfolgewerke schlecht waren. Aber gegen klassische Songs wie „Lido Shuffle“ oder „Lowdown“ war halt schwer anzusingen. Schon zu Beginn seiner 25jährigen Karriere litt der in der Öffentlichkeit sperrig wirkende Scaggs unter dem Stigma der Kultfigur. Der weiße Mann mit der schwarzen Stimme galt unter Kollegen zwar als begnadeter Sänger; Breitenwirkung hatten seine Stil-Fusionen damals jedoch nicht. Mitte der 60er zog es den unbeachteten Scaggs mit seiner Band Wigs nach London. Die Hoffnung, im Blues-Mekka an der Themse auf den fahrenden Zug springen zu können, zerschlug sich. Einziges Relikt dieses Europa-Aufenthaltes: das Debütalbum BOZ, aufgenommen in Stockholm. Zurück in den Staaten wurde Scaggs Mitglied in der Combo seines alten Schulfreundes Steve Miller. Zwistigkeiten über die musikalische Richtung beendeten diese Teamarbeit. Es dauerte fünf Jahre und fünf Alben, ehe SILK DEGREES vom Stapel lief. Die Rente war durch diesen Dauerbrenner zwar gesichert, aber der heute 44jährige lief seither dem hinterher. Vielleicht bedurfte es einer achtjährigen Kunstpause, um -— wie diesmal im MÜV -— wieder einmal ganz vorne zu liegen.

DISCOCRAFIE

1. BOZ, 1966

2. BOZ SCAGGS, 1969

3. MOMENTS, 1972

4. BOZ SCAGGS & BAND, 1971

5. MY TIME, 1972

6. SLOW DANCER, 1974

7. SILK DEGREES, 1976

8. DOWN TWO THEN LEFT, 1977

9. MIDDLE MAN, 1980

10. HITS, 1980

11. OTHER ROADS, 1988