Brazil – Robert De Niro in einer SF-Polit-Komödie von Terry Gilliam
Da´eine winzige Fliege über Leben oder Tod entscheiden kann, demonstriert Terry Gilliam in seiner Alptraum-Komödie "Brazil". Ein Zufall hat die lästige Fliege ins Büro von Sam Lowry verschlagen. Der jagt sie mit einer Zeitung und erlegt sie auch. Der Computer in Lowrys Büro spucikt just zu diesem Zeitpunkt den Namen des gesuchten Terroristen Mr. Tuttle aus. Doch die tote Fliege fällt in den Printer - und aus Herrn Tuttle wird Herr Buttle.
Szenenwechsel: Familie Butlle feiert gerade bescheiden das Weihnachtsfest. Da bricht mit massiver Gewalt ein Anti-Terrorkommando über die ahnungslose Familie Buttle herein. Im Handumdrehen ist Herr Buttle zu einem Paket verschnürt und wird abtransportiert. Frau Buttle erhält für ihren Ehemann eine Quittung und darf die Kosten der Polizeiaktion tragen.
Der tragische Fehler, der zum Tod des unschuldigen Buttle führt, ist nur der Ausgangspunkt eines Trips in den Wahnsinn unserer Gegenwart, den Regisseur Gilliam in eine satirische Zukunftsvision verpackt hat.
Die irrwitzigen Gags, mit denen der Film eine total verwaltete und computerisierte Gesellschaft zeichnet, beherrscht Terry Gilliam schon lange perfekt. Schließlich ist der gebürtige Amerikaner seit Jahren einer der führenden Köpfe der britischen Anarcho-Komiker „Monty Python“. „Brazil“ ist freilich keine Gag- und Sketch-Sammlung wie die älteren Monty Python-Filme, sondern ein Spielfilm aus einem Guß – und einer der besten, den es in den letzten Jahren im Kino zu sehen gab Sam Lowry (Jonathan Pryce) will eigentlich nur seine Ruhe haben. Er ist ein kleines Rädchen in einer riesigen Verwaltungsmaschinene. deren Aufgabe die absolute Kontrolle der Bevölkerung ist. Er geht ohne Distanz und Kritik seinem Job nach und träumt zum Ausgleich von einer zauberhaften Blondine.
Der unschöne Zwischenfall mit Herrn Buttle indes bedeutet das Ende dieser sorglosen Existenz: Lowry erkennt mit einem Schlag den Wahnwitz seiner Arbeit. Zum Überfluß trifft er auch noch auf seine Traumfrau Jill (Kim Greist) und den gesuchten Terroristen! Tuttle (Robert De (Mikro), der sich als durchaus sympathischer Individualistentpuppt. Aus dem Schreibtisch-Täter Lowry wird plötzlich ein denkender Mensch. Und der paßt nicht mehr ins System, von dem er bisher nur profitierte. Folge: Die eigene Verwaltungsabteilung macht plötzlich Jagd auf einen neuen Terroristen: Sam Lowry, den Durchschnittsbürger.
Terry Gilliam. der Regisseur von „Brazil“, ist wie alle großen Komiker ein eher ernsthafter und depressiver Mensch. Als er einmal den romantischen Evergreen „Brazil“ aus den 30er Jahren hörte („Brazil, where hearts were entertained in June/ We stooe beneath an amber moon/an softly murmured. Some Day Soon’…“), erschien ihm die Vision eines Mannes, 6erjn einer verseuchten und zerstörten Umwelt an einem schwärzen Strand sitzt, dieses Lied summt und von 1 einer besseren, grünen Welt träumt. Die Grundidee zu dem 1 Film war geboren. Das fertige Ergebnis!“ ist ein schriller Trip durch eine nicht allzu ferne Zukunft, die zwischen New York, Bonn und Moskau ähnliche Ergebnisse zeitigt: Der Raum für das Individuum wird immer‘ enger, die Verwaltung, die fantasielos die herrschen— den Zustände fortschreibt, immer größer und seelenloser. Gilliam ist, wie gesagt, ein Komiker – ein verdammt guter dazu. So ist „Brazil“ kein belehrender Polit-Film geworden, sondern eine bunte Achterbahn, die mit atemberaubendem Tempo durch eine Traumlandschaft donnert, in der rechts und links die Atomminen explodieren. In dieser buntglitzernden Traumwelt, die solche Kinderfilme wie „Krieg der Sterne“ an filmischen Effekten mit links in den Schatten stellt, kommt doch zugleich in satirisch verzerrter Form alles vor. was unser Leben bestimmt: von der UberiMutter bis zum Polizeiminister, von wildgewordenen Anarcho-Bombern bis zum täglichen Kleinkrieg im Großraumbüro. vom Manager-Chef, der um seine Karriere bangt, bis zum Fiasko, wenn man einen Installateur einmal dringend am Wochenende braucht. Terry Gilliam -hat sich unsere Welt genau angeschaut, Stück für Stück den Alltagswahnsinn heraus gefiltert, eine Portion wilde Fantasie dazugemischt und alles mit sämtlichen Mitteln, die dem Kino heute technisch zur Verfügung stehen, kräftig durchgemixt. Das Ergebnis ist ein Cocktail, der einen gleichzeitig auf sanfte Wolken katapultiert – und dem schrillen Kreischen eines Horror-Traums aussetzt. Kinostart: 26. April