Camel – Für den Erfolg gingen sie meilenweit… nach Amerika


Peter Bardens ist einer von denen, die nicht oft zurückschauen. Er meint, damit würde nur Zeit verschwendet, die man gegenwärtig besser nutzen könne. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn diese Vergangenheit belanglos und unwichtig wäre. Aber gerade in einer Zeit, in der sich täglich irgendwelche Oldtimer-Bands wieder zum Comeback vereinen, verwundert es, daß es Leute gibt, die nicht mit ihrer, in diesem Falle echt glorreichen, Vergangenheit hausieren gehen. Hausieren mit erschlafften Musikanleihen und vertrockneten Neuauflagen ruhmreicher aber eben alter Formationen.

Peter hat das alles nicht nötig. Er spielt in einer ausgezeichneten und zeitgemäßen Gruppe, die sich auch ohne das Herausstellen seiner frühen Tage inzwischen einen Namen gemacht hat. Trotzdem sei der Fairnis halber kurz auf sie eingegangen. Anfang der sechziger Jahre gab es da eine Band namens „Them“, in der Peter neben Van Morrison, dem heimlichen Superstar der letzten Jahre, mitwirkte. Sie brachten schon anno ’63 „schwarze“ Musik, ähnlich der der Yardbirds und der Spencer Davis Group und gehören, ebenso wie diese beiden Gruppen, zu Englands legendären musikalischen Neuerern. Später nahm Bardens zwei Solo-LP’s auf, bei denen unter anderem Peter Green von Fleetwood Mac in die Saiten griff. Aber er hat recht: Reden wir von Camel und nicht von längst vergangenen Tagen.

Ein Songwriter-Team

Neben Peter besteht Camel aus Andy Latimer, dem Gitarristen, dem Bassisten Doug Ferguson und dem Drummer Andy Ward. Peter selbst spielt eine Unzahl von Tasteninstrumenten vom Piano bis zum Synthesizer. Komponiert wird allein von zwei Leuten: Bardens/Latimer. Sie haben festgestellt, daß, wenn jeder in der Band drauflos schreiben würde, sich niemals ein einheitlicher Stil entwickeln würde. Also hat sich die Rhythmusgruppe mit kleinen Ideen und Arrangementvorschlägen zu begnügen. Daß sich Andy und Peter oft genug beim gemeinsamen Komponieren in die Wolle geraten, stört sie nicht besonders. Im Gegenteil: „Wir sind beide über-kritisch, was die Arbeit des anderen angeht. Das ist zwar oft frustrierend, das Endresultat jedoch fällt dadurch um so besser aus. Während ich mehr Heavy-Riffs verwende, liegen Andy eher die lyrischen Passagen, und die ‚Snow Goose‘ ist das beste, was wir je gemacht haben.“

Die Schneegans

Die „Snow Goose“ ist Cameis dritte und neueste LP und ein Konzept-Album. Die Story basiert auf einer Kurzgeschichte von Paul Gallico, die Camel ohne den geringsten Gesangsbeitrag, rein instrumental, zu einem unvergleichlich schönen und packenden Musikwerk verarbeitet hat. Die beiden Komponisten können sich nur dazu beglückwünschen. Die Stimmungen sind derart vielschichtig, mächtig und beeindruckend, daß man erst nach wiederholtem Hören einen vollständigen Überblick von der Fülle der „Gans“ bekommt. Mit dieser Scheibe rührte sich, quasi über Nacht, das Interesse von Fans und der Presse. Zuvor war Camel eine relativ unbekannte englische Gruppe, die nach Meinung einiger „Insider“, die’s ja immer besser wissen müssen, lediglich von Bardens verflossenen Lorbeeren zehrte.

Erster US-Erfolg

Das Debutalbum „Camel“ (damals im Musik-Express Platte des Monats) und dessen Nachfolger „Mirage“ waren vom Stil her zwar bereits eigenständig, aber irgendwie nicht so recht einheitlich, und härteres Material dominierte. Erst mit der „Snaw Goose“ schworen sie diesem Konzept ab, womit sie, wie der plötzliche Erfolg beweist, auch richtig lagen. Selbst die erste US-Tour verlief besser als erwartet und war für die Gruppe noch dazu sehr nützlich und lehrreich: „Amerika hat uns total verwandelt. Die Tourneen durch Europa und England waren dagegen kleine Fische. Drüben kamen wir uns vor wie ein riesiges Schlachtschiff, das ständig auf den nächsten Angriff wartet. Wirklich ein hartes Business … Seitdem denken wir über viele Dinge anders.“ Zur Zeit bereiten sich die Vier auf den zweiten USA-Aufenthalt vor, und diesmal soll es, da sind sich alle einig, in jeder Beziehung besser werden.

Begleiter von Philip Goodhand-Tait

Im Frühling ’72 hätten sich Doug und Andy noch nicht träumen lassen, daß sie mal in den Staaten touren würden. Damals nannten sie sich noch Strange Brew, nach dem Eintreffen von Andy aber kürzten sie den Namen auf Brew. Sie hatten schon einige Erfahrungen als die Begleitband von Philip Goodhand-Tait gesammelt, auf dessen zweiter LP sie auch mitwirken. Während eines Auftritts stießen sie dann auf Peter, der sich ihnen freudig überrascht, auch gerne anschloß. Bis heute kennen sie keine Besetzungsprobleme. Sie kommen glänzend miteinander aus und können stolz voll hinter ihrer Musik stehen. Doug meint erfreut: „Camel hat sich von Anfang an haargenau dahin entwickelt, wie wir es uns vorgestellt hatten.“ Einen Chef gibt es nicht, und Peter, der seine langjährigen Business-Lektionen gut gelernt hat, sagt es so: „Wir sind eine wirklich kooperative und demokratische Band. Ein Leader bekommt zwar mehr Geld, mehr Publicity und oft mehr Mädchen, am Ende aber steht er unverhofft alleine da, und die Gruppe spielt ohne ihn weiter“!

Die Gans wird vorbereitet

Um die „Festtags-Gans“ gebührend vorzubereiten, zogen sich Peter und Andy zwei Wochen lang in ein abgelegenes Landhaus zurück. Wie sie erst viel später erfuhren, schrieb dort auch Paul Gallico seine Kurzgeschichte. Sollte das etwa nur ein Zufall sein!? Nach dieser Klausur trafen sie sich im Studio, wo dann die einzelnen, noch „warmen“ Stücke direkt aufgenommen wurden. Diese Methode war neu für sie, denn früher hatten sie sich erst nach unzähligen Auftritten für eine Anzahl Songs für die Platte entscheiden können. David Bedford, der momentan führende englische Orchesterleiter (für Rockmusikalisches), sorgte für eine Streicherbegleitung, die ihresgleichen sucht, und ohne den das Opus wohl kaum so ausgereift und harmonisch geworden wäre. Von den ohnehin schon seltenen Ausnahmen, ein Konzept-Album ohne Texte zu bringen, gehört die „Snow Goose“ noch zu den gelungensten Beispielen. Ein, im ersten Moment, kaum vorstellbares Unternehmen.

Zu prätentiöse Musik?

„Hätten wir zu dieser komplexen Musik auch noch Texte verwendet, wäre es ein zu prätentiöses Werk geworden. Wir wollen aber auf keinen Fall zu den „Pomp-Rockern“ gezählt werden. So folgt also nur die Musik dem Fluß des Buches, was man schnell herausfindet, wenn man mitliest. Wir haben vorher alle eventuellen Risiken besprochen, wie zum Beispiel die Gefahr, ein fünfzig Minuten langes Stück ohne jeden Gesang ‚live‘ zu spielen. Das kann einigen Leuten ganz schön auf die Nerven gehen, aber bei Pink Floyd hören die Leute ja schließlich auch zu … Inzwischen haben sich unsere Bedenken aber Gott sei Dank als unbegründet erwiesen, denn wir hatten deshalb noch kein einziges Mal Schwierigkeiten gut anzukommen.“ Neben der orchestralen Richtung können die Vier mitunter auch ganz schön kräftig „reinklotzen“. So wird wohl erst ihr nächstes Album zeigen, wohin sie ihr Weg führt. Vermutlich wird er sich aber ganz gewaltig von der „Snow Goose“ unterscheiden. Kontinuität ist nun mal nicht ihre starke Seite.