CAN – Rite Time


Deutschlands kreativstes Musik-Kollektiv der 70er Jahre meldet sich zurück - mit einer stilsprengenden Kollektion zwischen Rock, Jazz, Hörspiel und Lautmalerei.

Schon gut zwei Jahre war es im Gespräch: das Comeback von Can. Und es kommt, nimmt man den Album-Titel beim Wort, zur absolut richtigen Zeit. RITE TIME – eingespielt von der Ur-Besetzung – belegt, was der Canner längst weiß: Das Individualisten-Quintett war in seiner Schaffensperiode zwischen 1969 und 1979 das Innovativste, was Musik-Deutschland zu bieten hatte. Und was man nicht für möglich hielt bei dieser hochgelobten, mit zahlreichen Preisen dekorierten Kult-Kapelle: Sie bauten hie und da auch eine Brücke zur breiten Masse, so z.B. mit „Spoon“, der Titelmelodie des Durbridge-Straßenfegers „Das Messer“. Doch an Chartpositionen – „Spoon“ notierte seinerzeit auf Platz acht – waren die kreativen Can-Chaoten nicht interessiert. Ihr Stil hieß vielmehr Anarchie, improvisierte Gebilde, Songs genannt, als kultivierter Wildwuchs. Ob Free Form – Jazz oder bulliger Rockrhythmus, ob Ethno (lange vor dem Trend), Pop oder Orientalisches, ob respektlose Klangexperimente oder zugängliche Film-Titel – Can füllten den oft mißbrauchten Begriff Avantgarde mit neuem Leben. Personelle Umbesetzungen und das am Ende zum Scheitern verurteilte Bemühen, weiterhin originell, möglichst simpel und naiv sein zu sollen, führten schließlich zur Trennung. Abgesehen von einigen Ausrutschern kann das gesamte Frühwerk auch heute noch als seiner Zeit voraus bezeichnet werden.

Und was hat Can anno 1989 auf RITE TIME zu bieten? Der Kenner ist sofort im Bilde und erkennt (wieder): die in stundenlangen Sessions erzeugten magischen Momente, die hypnotische Dichte, die fast schon gespenstisch anmutende Atmosphäre, die kruden Stilbrüche und minimalen Tonskizzen. Malcolm Mooney, der seinerzeit von Damo Suzuki ersetzt wurde, zerkaut förmlich seine Textzeilen, brüllt und grunzt sich in seltsame Ekstasen. Mal tönt’s nach Hawaii oder Alleinunterhalter („Below This Level“), dann wieder nach simplem Rocksong mit Jazz-Einlagen. Mal werden aus der Tiefe des Raumes kleine Hörspiele eingeblendet (sogar das legendäre Papst-Sample von Czukay ist erneut zu hören), dann wieder läßt Karoli seine unverwechselbare Gitarre knödeln.

Harmonie und Dissonanz, Annäherung und Distanz – sich auf Can einzulassen, bedeutet meditative Vivisektion – das unmittelbare Erlebnis eines Entstehungsprozesses, der Weg wird zum Ziel. Denn: Wen interessiert schon anzukommen?

INNER SPACE STUDIO – DAS CAN-SOUNDLABOR

Weilerswist ist ein Nest in der Eifel, ungefähr 50 Kilometer von Köln entfernt. Das immergleiche Bild: Tankstellen, Geschäfte, eine Zweigstelle der Sparkasse, ein Zeitungsladen – kurzum: die Geometrie ländlicher Langeweile. Wenn da nicht, im Hinterhof versteckt, ein Studio mit Namen „Inner Space“ wäre. Das ehemalige Lichtspielhaus war und ist das Kreativ-Zentrum des Kölner Ensembles Can. Böse Zungen gehen gar soweit und behaupten: genau die richtige Zuflucht für solche Freaks.

Oder anders betrachtet: Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre war’s ein Novum für eine bundesrepublikanische Formation, sich ein eigenes Studio zu leisten. Sei’s drum, die fünf Musik-Egomanen bastelten ihre Geniestreiche fortan dort, in exzessiven, sprich nächtelangen Sessions und gemeinsamen Improvisationen, von denen dann, sorgsam selektiert, die besten Takes auf Vinyl landeten.

Wilde Gerüchte ranken sich ums Studio, seit 1984 im Besitz des Schweizer Produzenten Rene Tinner und des letzten, noch in Köln lebenden Can-Kouz Holger Czukay. „Inner Space“ – der Name deutet auf eine Art musikalisches Stonehenge hin, auf Innenräume und mystische Welten. Inzwischen liest sich die Liste der Mieter wie das Goldene Buch einer Stadt: Marius Müller-Westernhagen, der dort kürzlich erst seine HALLELUJAH-LP einspielte. Haindling, Trio, Black Fööss, Rheingold, Jocco Abendroth, Stefan Remmler, David Sylvian, Joachim Witt… – sie alle schätzten und schätzen die Abgeschiedenheit der ausgemusterten Filmvorführstätte, den trockenen Humor von Rene und die inspirierende Eifelluft. (th)