„CDs sind zu billig!“
Helmut Fest, Chef der deutschen EMI Electrola, nimmt zum hundertjährigen Firmenjubiläum kein Blatt vor den Mund.
Der deutsche EMI-Chef, Helmut Fest (48), begann seine Laufbahn in der Firma im Oktober 1968 mit einer Ausbildung zum Industriekaufmann. Von 1979 bis 1986 sammelte er zunächst in Los Angeles, anschließend in London wichtige Auslandserfahrungen. Seit 1987 leitet Fest die EMI Electrola GmbH in Köln als Managing Director.
Wo sehen Sie heute die Probleme der Plattenindustrie?
Das Marketing ist viel zu stark geworden. Man kann eine schlechte Platte nicht dadurch gut machen, daß man sie mit Marketing-Millionen unterstützt. Damit kann man bestenfalls kurzfristig Erfolge erzielen. Ich wünsche mir, daß die eigentliche Musik wieder eine stärkere Rolle spielt. Zudem sind die Kosten explodiert. Man nehme nur die Videoproduktion. Ich glaube, daß 50 Prozent der Singles den teuren Videoclip letzten Endes gar nicht wert sind.
Welche Ziele möchten Sie in den nächsten Jahren mit EMI Deutschland erreichen?
Ich wünsche mir, daß wir mit unserem nationalen Repertoire auch international erfolgreich sind, so wie das schon mit den Scorpions der Fall war. Bands wie Chumbawamba und Be könnten das schaffen. Das ist für uns ein wichtiges Thema, denn der Markt in Deutschland stagniert. Die fetten Jahre, die wir nach Einführung der CD und nach der Wiedervereinigung hatten, sind nun mal vorbei.
Wichtige EMI-Künstler wie Tina Turner, Joe Cocker oder auch BAP und Herbert Grönemeyer sind inzwischen in die Jahre gekommen. Was tun Sie, um neue Acts auflubauen, die langfristig erfolgreich sein können?
Wir tun das jeden Tag, aber es ist verflucht schwer geworden. Viele dieser Acts werden trotz aller Anstrengungen leider öffentlich gar nicht wahrgenommen, weil sie in der Flut der Veröffentlichungen untergehen. Es ist auch deshalb schwer, weil zum Beispiel die Dancemusik nur sehr wenig langfristige Acts kreiert. Die Figuren in diesem Metier sind oft austauschbar. Trotzdem spielt dieses Segment eine wirtschaftlich sehr wichtige Rolle. Ich habe nichts gegen Dance, aber dort wurde lange Zeit das Geld zu leicht verdient. Dadurch wurde die langfristige Förderung von Talent lange vernachlässigt. Wir versuchen, auf unserem Label „spin records“ Künstler über mehrere Alben zu fördern. Allerdings kann das von mir kein Dance-Art erwarten, wenn die Leute möglicherweise noch nicht einmal selbst ihre Platte eingespielt haben.
Hat die Rockmusik angesichts von Techno und Dance noch Zukunft?
Natürlich. Was sind denn Bands wie zum Beispiel Prodigy, die ja Rock- und Dance-Elemente verbinden? Oder hören Sie sich Radiohead an,für mich die beste Platte, die es auf der Welt zur Zeit zu kaufen gibt. Musikalischer Fortschritt ist immer dann gegeben, wenn die Eltern die Tür zuschlagen und sagen, das kann sich doch keiner anhören. Davon hat es in den 80er Jahren leider viel zu wenig gegeben. Damals sind ja drei Generationen zum Tina Turneroder Phil Collins-Konzert gepilgert.
1970 hat eine LP 10 Mark oder mehr gekostet. Heute kostet eine neue CD etwas über 30 Mark – im Vergleich zu anderen Produkten ist das eine geringe Preissteigerungsrate. Sind CDs heute zu billig?
In der Tat, das ist ein Problem. Als ich noch zur Schule ging, habe ich meine Beatles-LP für 22 Mark gekauft, damals kostete aber auch ein VW nur 7.000 oder ein Paar Turnschuhe 19.90 DM. Ich bin durchaus der Meinung, daß man Katalog-Repertoire, also alte Platten, billiger verkaufen sollte als neue, denn bei alten Platten sind die Kosten niedriger. Die Investitionskosten bei neuen Platten sind hingegen sehr hoch. Wenn ich zwei Videos, Studiokosten und Marketing kalkuliere, dann bin ich schnell bei 400.000 Mark. Hinzu kommt, daß Künstler heute erheblich mehr an ihren Platten verdienen als früher, was ich auch für gerechtfertigt halte. Und wenn die Platte dann nur 5.000 Stück verkauft, dann müßte sie eigentlich im Laden 80 Mark kosten. Das geht natürlich nicht. Aber warum sollen alle CDs, nur weil sie rund sind und in der Mitte ein Loch haben, gleich viel kosten? Den Wert eines Buches beurteilt man ja auch nicht nach der Menge des Papiers. Ich meine schon, daß neue CDs durchaus bis zu 50 Mark kosten dürfen.
Wenn Sie sagen, daß Katalog-Repertoire durchaus billig verkauft werden soll, warum sind dann Beatles-LPs so teuer?
Die Frage kommt zu einem guten Zeitpunkt: Erst letzte Woche hatte ich Besuch von Neil Aspinall, dem Vertreter der Beatles. Und wir haben ihn nach langem Kampf und nachdem uns die Anwälte der Beatles jahrelang gezwungen haben, Beatles-Platten zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen, endlich davon überzeugen können, daß es für ihn von Nachteil ist, wenn seine Platten mehr kosten als die von Pink Floyd oder den Rolling Stones. Er sagte nur.- You’re damn right, that’s stupid! Also werden die Beatles-Platten hoffentlich bald zu einem vernünftigen Preis in den Läden stehen.