Chuck D über Rassismus
Fragwürdiges Krisenmanagement in New Orleans und Aufstände in Frankreich haben Rassismus und Diskriminierung wieder zu einem vieldiskutierten Thema gemacht. Der Chef von Public Enemy empfing uns zu einem Gespräch in Paris, während dort in den Vororten noch Autos in Flammen standen.
Einem Millionen-Publikum blieb im September der Mund offen stehen, als der Rapper und Produzent Kanye West in einer Sendung über die Katastrophe in New Orleans plötzlich vom Script abwich, um folgendes Statement abzugeben: „Ich hasse es, wie wir in den Medien dargestellt werden. Wenn man eine schwarze Familie sieht, heißt es, sie plündert. Sieht man eine weiße Familie, dann sucht sie nach Essen, […] George Bush sind Schwarze egal.“ Obwohl NBC nach diesem brisanten Kommentar hastig zu einem anderem Interviewpartner schaltete, entflammte doch in den Tagen und Wochen danach in den USA eine Diskussion über Rassismus, wie sie in dieser Heftigkeit lange nicht mehr geführt worden war. Dabei belegen unzählige Studien Jahr für Jahr, daß Rassismus in Amerika zur Tagesordnung gehört. Allein die Tatsache, daß Schwarze noch immer unverhältnismäßig oft zum Tode verurteilt werden, da sich weiße Geschworene von Vorurteilen leiten lassen und die Angeklagten nicht selten zu arm sind, um gute Anwälte zu bezahlen, verdeutlicht die Brisanz der Thematik. Chuck D, dessen politische Texte seit 1988 entscheidend dazu beigetragen haben, daß Public Enemy als wichtigste Rap-Gruppe aller Zeiten gilt, empfing uns Mitte November in einem von Krawallen erschütterten Paris. Kurz nach unserem Gespräch kündigte Innenminster Nicolas Sarkozy die kompromißlose Ausweisung ausländischer Randalierer an.
Während wir dieses Interview führen, brennen Autos in den Vororten von Paris. Sind Krawalle ein probates Mittel, um auf Diskriminierung zu reagieren?
Aufstände sind destruktiv, wenn du dein eigenes Viertel in Brand steckst. Du bezeichnest dich als Soldat, bist aber Teil einer unorganisierten Armee. In so einer Situation passiert es schnell, daß du nur ans Kämpfen denkst und dabei zum Beispiel die Ärzte vergißt. Wer für etwas kämpfen will, braucht Logistik.
Wie ist die Situation in den USA? Rassismus wurde vor dem Hurrikan Katrina nicht mehr oft thematisiert.
Rassismus trägt heute ein anderes Gewand als in den 50ern, den 20ern oder den 1870ern. Er beeinflußt nun das Leben von Menschen, die ihn gar nicht mehr wahrnehmen, die aber noch immer unbewußt davon überzeugt sind, daß sie minderwertig sind. Rassismus ist am gefährlichsten, wenn er so unterschwellig abläuft, daß die Menschen mit ihrer Situation zufrieden sind und ihrer Regierung ganz und gar vertrauen. Dann macht sich niemand mehr die Mühe, unter die Oberfläche zu schauen.
Nach den Überschwemmungen in New Orleans hast du den Song „Hell No We Ain’t All Right“ geschrieben. Im Text sagst du, daß die Nochrichten rassistisch sind und die Berichterstattung generell oft einseitig ist…
Mach einfach mal hier den Fernseher an: Die Franzosen sehen weit weniger Bilder von brennenden Autos als die Amerikaner. Die ganze Welt bekam auch mehr Bilder aus New Orleans zu sehen als die Menschen in den USA. Außerdem sind die Medien in Amerika rassistisch, da sie dazu tendieren, die Mehrheiten zu bedienen. Schwarze werden als Minderheit betrachtet.
Was ist durch deinen Kopf gegangen, als du die Bilder aus New Orleans gesehen hast?
Ich fühlte mich bestätigt. Ich hatte nicht erwartet, daß sich die Regierung schnell und engagiert um New Orleans kümmern würde. Mein Vater war unglaublich wütend auf George Bush – bei uns ist ein nationaler Notfall eingetreten und die Soldaten, die hätten helfen können, mußten im Irak für eine höchst dubiose Sache kämpfen und sterben.
War das lange Zögern von Bush beim Einsatz von Hilfskräften ein Zeichen von Rassismus?
Das System ist rassistisch, und Bush steht an der Spitze dieser Strukturen. Es muß nicht sein, daß er in seinem Herzen Rassist ist. Nun, vielleicht war es ihm einfach nur scheißegal, was dann doch wieder rassistisch ist. Aber die USA sind derzeit auch nicht in der Lage, adäquat auf Katastrophen zu reagieren, da sie sich damit übernommen haben, auf der ganzen Welt Propaganda zu verbreiten. Ein Land nach dem anderen soll in die Vereinigten Staaten eingegliedert werden…
Ist es heute noch möglich, ein so mächtiges Statement zumachen, wie es Rosa Parks 1955 getan hat?
Ja, auch wenn sich die Umstände geändert haben. Kanye Wests Kritik an Bush war ein Schritt in die richtige Richtung, denn er weiß, daß er das nicht tun muß. Es war mutig, denn es wird seiner Karriere schaden. Auf einer anderen Ebene wird er aber davon profitieren.
In einem Interview hast du gesagt, daß die Sklaverei fast irreparablen Schaden angerichtet hat. Welche Auswirkungen sind heute noch spürbar?
Die Sklaverei hat für Schwarze vor allem bedeutet, an einen Ort gefesselt zu sein. Seit 150 Jahren heißt es: „So, Nigger, jetzt kannst du gehen, wohin du willst.“ Natürlich hatte das erst mal Haken: Niemand hatte einen Paß, niemand war einer Fremdsprache mächtig, und wenn du so in ein anderes Land gekommen bist, wurdest du schnell wieder zum Opfer einer Gesellschaft gemacht, die sich einen Dreck um dich scherte. Bis heute haben nur 18 Prozent der Amerikaner einen Paß – und das in einem angeblichen Weltstaat. Das ist ein Zeichen von Arroganz. Eine solche Mentalität verhindert physische und mentale Beweglichkeit.
Du hast bemerkt, daß ein Schwarzer in den USA in den Medien fast nur als Athlet oder Entertainer Gehör findet. Ergibt sich daraus eine besondere Verantwortung?
Ja. Dein Arsch ist nur deshalb plötzlich so groß im Fernsehen, weil du gewissen Leuten viel bedeutest.
Am häufigsten sieht man die Gesichter von 50 Cent und Snoop Dogg. Bremsen solche Einfaltspinsel die Emanzipation der Schwarzen, indem sie den Jugendlichen suggerieren, daß es cool ist, Zuhälter zu sein?
Es ist kontraproduktiv, daß sie eine so große Plattform bekommen. Wenn ihr Forum in den Medien so viel größer als das von Menschen wie Common ist, die wahrhaftiges Interesse am Wohlergehen ihrer Leute haben, dann muß man sich fragen, wer am Hebel sitzt. Die Menschen haben aber aufgehört, nachzufragen. Wie kann man sich damit zufriedengeben, daß der Ball die Treppe runtergerollt ist, ohne zu fragen, wer ihn geschossen hat? Die Suche nach dem Ursprung ist notwendig, auch wenn sie anstrengend ist. Das geht nicht, wenn man den ganzen Tag vor der Glotze sitzt.
Apropos Fernsehen. In der Serie „24 wird ein Schwarzer zum Präsidenten gewählt. Ist das Utopie?
Was würde es helfen? Ein Präsident, der dunkle Haut hat, würde nicht im Amt sein, um seine Leute zu repräsentieren. Er wird eingesetzt worden sein, um die Menschen ruhigzustellen, die einem rassistischen System gefährlich werden könnten. Auch unter Bill Clinton waren die Leute still. Man nannte ihn sogar „Black President“, weil die Schwarzen so zufrieden waren (lacht). Wenn alle Ruhe geben, wird es schlimmer.
2004 gab es einen schwarzen Präsidentschaftskandidat: Reverend Al Sharpton, der im Intro der neuen Public-Enemy-Platte zu hören ist. Er behauptet nun, daß über seine Kandidatur nicht berichtet wurde, weil die Medien rassistisch sind. Ist es so einfach?
Nein. Viel komplizierter. Aber die Menschen nehmen sich nicht die Zeit, differenzierte Begründungen anzuhören. Da schlafen die ein. Also ist es einfacher, die Rassenkarte zu spielen und den Leuten dann die Wahrheit zu sagen, wenn sie sich aufgeregt verteidigen. „Was?! Rassistisch? Wie meinst du das?“ Dann sind sie gezwungen, nochmal genauer hinzuhören.
Für den LP-Titel It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back siehst du mehrere Deutungsmöglichkeiten.
Millionen von anderen können sich zusammenschließen, um dich zurückzuhalten; oder es bremsen sich Millionen deiner eigenen Leute selbst.
Nutzen Afro-Amerikaner nicht ihr volles Potential?
Nein. Es fehlt an Wissen. Man muß sich in Geschichte auskennen, um zu verstehen, was „Gleichheit“ heute bedeutet. Und wer weiß in den USA schon, daß es in anderen Ländern Minderheiten gibt, die in einer ähnlichen Lage sind? Der durchschnittliche Amerikaner – und das trifft besonders auf die Schwarzen zu – hat vom Rest der Welt keine Ahnung. In der Schule erklärt dir niemand, daß man dieses Wissen braucht, um mit anderen Leuten auf der Welt klarzukommen. Aber muß man mit Menschen in anderen Ländern klarkommen, wenn man in Kansas wohnt? Da heißt es dann: „Die Welt ist verrückt, ich geh‘ hier nicht weg. Überall sind Terroristen. „Das ist Dummheit! Das hält dich zurück.
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