Cool Boom
Jazz? Ja, aber nicht nur. Was derzeit in trendbewußten Dance-Clubs abläuft, ist vor allem eins: cool. Musik, Mode, Selbstverständnis — die Hipster entwickeln eine neue Sprache. Und Galliano ist das Sprachrohr.
London, Islington. Ein sonniger Samstagnachmittag im Frühling. Gestern noch war die Stadt ein trübes, graues Stück Dreck. Heute ist Samstag, und die Uhren ticken anders. Wie in wollüstiger Zeitlupe schlängelt sich das Leben durch den Tag. Fast scheint es, als würden die Taxis einen Tick langsamer um die Ecke biegen, würde der magere Inder seine Imbißtische ein wenig behäbiger polieren. Auf dem Flohmarkt am Camden Place verkaufen ein paar Pakistanis erstklassiges Hasch — und heute drückt sogar die Polizei ein Auge zu. ¿
Ein paar Straßen weiter öffnet sich eine schwere, silbrig glänzende Metalltür. Dumpf pumpt ein Baß in Richtung Nachbarschaft. Und wenn man sich in das Dunkel des Studios wagt, kann man dort ein paar junge Männer mit eigenartigen Barten und karierten Hosen sitzen sehen, die an einem Soundtrack arbeiten. Sie sprechen in Mikrophone, drücken schwarz-weiße Tasten, schieben Regler rauf und runter und springen wie Kinder am Abend vor ihrem Geburtstag herum.
Der Name der Band ist Galliano — und der Film zum Soundtrack spielt draußen vor der Tür. „Natürlich bin ich ein Sonnenkind“, sagt Rob Galliano und grinst. „An einem Tag wie heule fiihl! man schon morgens beim Aufstehen den richtigen Vibe. Man beginnt ein wenig zu schweben. Und alles läuft besser. Auch die Musik. „
Bedächtig nicken Constantine, der schwarze Rapper mit dem beeindruckend gestutzten Ziegenbart, und Spry, Percussionist mit jamaikanischen Wurzeln und riesenhafter Statur zu den Worten von Rob „Galliano“ Gallagher, ihrem ersten Rapper. Namensgeber und Bandgriinder. Ein bemerkenswert fetter Joint macht die Runde, und Constantine orakelt:
„Wir haben im Winter begonnen, die neue Platte einzuspielen; es ist beinahe Sommer, wenn wir sie abgeschlossen haben werden. Wir suchen nicht bewußt nach einem Sound zu einer Jahreszeit oder gar dem Sommerhit. Doch der Sommer ist unsere Jahreszeit. Also gehört unsere Musik auch dahin. Mann, es gehl um den Vibe. „
Dicke Schwaden ziehen durch den Raum. Vom Vibe war die Rede, vom Vibe. Und langsam, ganz langsam laufen die Gedanken durchs Hirn und machen einem klar, worum es wirklich geht bei Galliano. Diese Band will nicht mit virtuosen Fingerübungen glänzen, es geht ihr nicht um den Hype und auch nicht um irgendwelchen Glamour. Das einzige Ziel von Galliano ist es, für eine Weile auf die große „Stop“-Taste zu drü’kken und der wildgewordenen Welt eine kleine Auszeit zu verpassen. Zeit, sich vom Baß ein wenig die Bauchdecke streicheln zu lassen; Zeit, die schweren Düfte des Sommers einzusaugen; Zeit, nachzudenken und trotzdem den Hintern zu bewegen. Langsam, ganz langsam — denn das steigert die Ekstase.
Wenn also Constantine, Spry oder Rob Galliano vom unverzichtbaren Vibe schwärmen oder ihr vierter Mann, der kleine, kauzige „Vibe Controller“ auf der Bühne seine Schilder mit der Aufschrift „Vibe Alive“ in die Höhe hält und immer wieder ein verzücktes, Vibes‘ ins Mikrophon bellt, ist das keineswegs die Macke von ein paar Verrückten, sondern nichts anderes als das Konzept dieser Band. Und genau das ist es auch, was ihr Publikum verstanden hat, was es liebt und warum Galliano-Konzerte als hipster Tip der europäischen Clubszene gelten. Coole Abzocker, größenwahnsinnige Popstars und langweilige Virtuosen gibt es schon genug: Galliano brauchen ihr Publikum.
„Wir machen die Musik“, erklärt Percussionist Spry, „weil wir Spaß daran haben. Wenn wir wirklich bloß aufs Geld scharf wären, würden wir Gas geben, bloß noch Richtung Dancefloor schielen und abkassieren. Doch wir wollen etwas anderes: unser Lebensgeßhl, das ziemlich laid-back ist, in Musik umsetzen und trotzdem die Energie einfangen, die zu spüren ist, wenn wir gemeinsam spielen. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht.“
Als Galliano vor einem Jahr das erste Album „In Pursuit Of The 13th Note“ herausbrachten, trafen sie exakt ins Schwarze. Der Jazz-Hype sprang gerade von London auf das europäische Festland über und wurde zum heißen Gesprächsstoff der Feuilletons. Mit der cleveren Mischung aus Jazz-Harmonien, Hip-Hop-Grooves und Reggae-Bässen, über denen Rob Galliano und Constantine ebenso elegante wie eloquente Wort-Kaskaden rapten, lagen sie bravourös im Trend. Das britische Hip-Blatt „The Face“ schrieb euphorisch: „Galliano ist kein Designer und trotzdem modebewußt, kein Cocktail aber eine Mischung, die zu Kopfe steigt, kein Jazz, kein Rap, keine Dichtung, aber ein bißchen von allem — vermischt mit einer Menge Bewußtsein. „
Die Band wurde schnell zum Aushängeschild der gesamten Jazz-Dance-Bewegung, die sich vom Hamburg bis München, von Paris bis Madrid breitgemacht hatte. Singles wie „Nothing Has Changed“ oder „Little Ghetto Boy“ wurden zu kleinen Hymnen und sorgten in den Clubs für volle Tanzflächen.
Doch die Band kam ins Schleudern. Denn mit Jazz wollten sie eigentlich gar nicht so viel zu tun haben. Die liebevolle Umarmung der jazzverrückten Trendpropheten wiesen sie bescheiden zurück. „Klar gehört Jazz zu meinen Einflüssen“, erklärte Rob Galliano damals. „Und ich verehre Musiker wie John Col¿
träne, Pharaoh Sanders oder Roy Ayers. Doch fiir mich sind Reggae, Soul oder HipHop genauso bedeutsam wie Jazz. Ich bin mit all diesen verschiedenen Stilen aufgewachen und so finden sich auch all diese Stile in meiner Musik wieder. „
Die Band konnte reden, definieren und einordnen, soviel sie wollte: Jazz war hip, Galliano war hip, also war Galliano Jazz. Eine nervige Situation für Rob, Constantine und Spry, denen es allmählich stank, Hipster genannt zu werden und mit all den Mode-Schwätzern aus den Metropolen und den Rollkragen-Gauloise-Weltschmerz-Existentialisten, die sich des Jazz bemächtigt hatten, in einen Topf geworfen zu werden. Doch Gilles Peterson, der alte Kumpel von Rob Galliano, Boß vom „Talkin Loud“-Label und kluger Stratege in Sachen Jazz, der schon seit Jahren als DJ in Londons Clubs fiir den Crossover zwischen John Coltrane und Public Enemy, zwischen Gang Starr und Curtis Mayfield gesorgt hatte, gab die richtige Devise aus: ducken und abwarten.
Und prompt geschah, was Peterson und Galliano erhofft hatten. Eine Schwemme an Produktionen im Windschatten von Galliano begann die leidigen Grenzen zu verwischen. Bald schon wunderte sich niemand mehr, wenn zu schwer pumpenden HipHop-Beats plötzlich ein wildgewordenes Saxophon seine Skalen abfuhr oder der Klang eines Kontrabaß mit hartem Rap vereint wurde.
„Das Publikum ist offener geworden. Und das ist sehr angenehm firuns“, freut sich Constantine. „So haben wir endlich den erwünschten Freiraum. Was wir machen, ist nichts Außergewöhnliches, nichts Neues mehr fiir die Trend-Späher. Es gibt keinen Hype mehr. Sondern was zählt, ist die Musik, der Vibe.“
Galliano nutzen den neugewonnenen Freiraum aus. Ihre neue Platte wird „A Joyfull Noise Unto The Creator heißen und ist deutlich entspannter als der Vorgänger. Was beim Debüt noch zickig und ein wenig altklug daherkam, erscheint nun souverän und ausgereift. Die Gründe sind offensichtlich.
„Bei unserem ersten Versuch“, erklärt Constantine, „hatten wir noch massive Probleme mit der modernen Studiotechnologie. Hinzu kam, daß wir als Band längst nicht so eingespielt waren wie heute und weder Selbstbewußtsein noch eine Art von Konzept entwickelt hatten. „
Auf „A Joyfull Noise Unto The Creator“ versuchen Galliano gar nicht erst, mit modischem Studio-Schnickschnack den Trends hinterherzuhecheln, sondern vertrauen auf genau das, was sie inzwischen als ihre Stärke erkannt haben: die Atmosphäre, den Vibe. Die Bässe sind noch fetter, die Beats noch schmutziger — die warmen Klänge riechen verführerisch nach Sommer. Die Band bleibt sich treu und verfolgt die thematischen Fährten weiter, die das erste Album ausgelegt hatte. Die Texte reflektieren das Leben, sind nicht selten zynisch, stecken aber immer voller Kraft.
Anstatt für großes Geld einen großen Namen als Produzenten zu verpflichten, vertrauen sie lieber Keyboarder Mick Talbot, der schon live den Sound der Band mitgeprägt hatte. Anstatt dem Geschwindigkeitsrausch der Dance-Charts Tribut zu zollen und die bpm-Zahlen drastisch hochzuschrauben, haben Galliano das ohnehin schon lockere Tempo eher noch entschärft. Der Rap von Rob Galliano ist ein wenig in den Hintergrund gerückt, die erste Single „Skunk Funk“ verläßt sich statt dessen voll auf den sensationell sonoren Baß von Constantine, der erfolgreich seinem Vorbild Sly Stone nacheifert.
Rob Galliano zwirbelt sein feines, braunes Bärtchen, das von der Unterlippe gen Kinnpartie zu wachsen beginnt. Er zieht seine hohe Stirn in Falten und kriegt den glasigen Blick des Predigers. „Ich bin es allmählich leid“, schimpft er, „immer wieder als respektloser, beliebiger Hipster deklariert zu werden, nur weil ich als weißer Brite schwarze Musik liebe und mit ihr arbeite. Das halle ich fiir genauso dumm und rassistisch, wie wenn z. B. einem schwarzen Musiker verboten würde, Rockmusik zu spielen. Ich bin, genauso wie alle anderen in der Band, zwischen Soul, Hip-Hop, Jazz, House und Reggae aufgewachsen. Diese Musik gehört zu mir Ich verbinde nicht künstlich ein paar unterschiedliche Genres, sondern spiele ganz einfach die Musik, die ich in mir spüre.“
Die Zeiten enger Grenzen und klarer Stile sind auch in der Musik endgültig vorbei.
Der Austausch der Ideen und Einflüsse findet inzwischen weltweit statt, die Genres beginnen zu verwischen: Jazz mit HipHop, HipHop mit Reggae, Reggae mit Jazz — die Kreise beginnen sich zu schließen. Galliano beweisen mit „A Joyfull Noise Unlo The Creator“, daß sie ihren Weg erkannt haben. Und wieder mal ist der Weg das Ziel. Denn das Ziel heißt: Vibes.