Meinung

Hey Cro, bitte lass das mit dem Pascha-Pop!


Warum Cros neues Video zu „Victoria's Secret“ kein Fortschritt, sondern Rückschritt ist und was das über den Status Quo im Deutschrap aussagt. Ein Kommentar.

Incoming Video Call: Ena. Incoming Video Call: Sara. Incoming Video Call: Cami.

Und Chiara. Und Marina. Und Vanessa. Und so weiter. Und alle wollen sie Cro, klar.

Incoming Call: Chauvinismus ist kein Stilmittel.

„Victoria’s Secret“ heißt Cros neuester Song und leider kommt er mit Video daher. Ein Dutzend hübsche Mädchen, die verliebt in die iPhone-Kamera lächeln, während Carlo Waibel, so Cros bürgerlicher Name, auf der andere Seite der Facetime-Leitung Sixpack und Goldkettchen in Szene rückt.

Verbindung schlecht? Nächste. Ein anderes Girl ruft an? Die davor kann warten.

Okay, Cro videotelefoniert mit leichtbekleideten Girls, und jetzt? Der Bubi-Player-Lifestyle eines Einzelnen mag im großen Maße kaum jucken. Aber das hier ist Cro – Zartheitsrevoluzzer, Deutschpops Cool Kid ohnegleichen, Achillesferse eines jeden Mainstreamverweigerers.

Zeitsprung. Vor etwa zwei Jahren trifft Noisey sich auf ein „Erstes Date“ mit Cro und veröffentlicht ein Interview, das Wellen schlägt: Fast jedes Mädchen in Deutschland sei langweilig; mit „irgendwelchen Schlampen“ zu feiern, sei „wack” und Videos anderer deutscher Rapper, in denen „so ’ne Schlampe in ’nem String da so rumtanzt […] übergeschmacklos“.

Okay, das ist zwei Jahre her. Genug Zeit also, um auf Kritik zu reagieren und sich bestenfalls mit ihr auseinanderzusetzen.

Blind Date: Wir haben mit Cro über Filmsoundtracks gesprochen

„Ich bau‘ mir meine Frau genauso wie sie mir gefällt.“

Zwei Jahre, in denen viel passiert ist, zum Beispiel und in diesem Kontext unvermeidbar: #metoo. Was mit Vergewaltigungsvorwürfen gegenüber Hollywood-Mogul Harvey Weinstein begonnen hat und Millionen von Frauen ermutigt hat, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung zu teilen, was wiederum die nötige Sensibilität im Umgang mit dem Thema allmählich erhöht. Dennoch bleiben die Meinungen gespalten.

Im Juni dieses Jahres lacht sich das Internet kaputt über die Uni Bielefeld. Ihr Allgemeiner Studierendenausschuss verkündet, dass Cro auf ihrem 15.000-Besucher-Festival nichts zu suchen habe. Der Grund: Seine Texte „seien von Sexismus und Gewaltfantasien geprägt“.

Carlo Waibel alias Cro beim „Channel Aid“-Charity-Konzert am 2. Juli 2018 in Hamburg

Ausschlaggebend war vor allem Cros Song „no. 105“, in dem er sich seine „perfekte Frau“ zusammenbastelt („Ich bau‘ mir meine Frau, genauso wie sie mir gefällt“) und „computiful“, in dem er „Maria“ zur „Slut“ degradiert, sobald sie auf sein Interesse reagiert. Mit Texten wie diesen reihe Cro sich „in ein patriarchales Bild ein“, so die Begründung des Ausschusses, das impliziere: „Männer besitzen Frauen“.

Klar, dass die Uni Bielefeld sich mit oben genannter Aktion kaum einen Gefallen getan hat. Wer einen Künstler mit einer derartigen Popularität schlichtweg boykottiert, wird in den Augen der breiten Masse zum Spießer. Dass Cro sich dazu nicht geäußert hat, trägt zum „Was juckt, was die sagen?”-Tenor nur bei.

Beinahe ausnahmslos befindet die Rapszene Cros Album „tru.“ außerdem als „bestes Album seiner Karriere“. Die bekanntesten HipHop-Medien Deutschlands loben in höchsten Tönen, rap.de erhebt es zum „Magnum Opus, von dem jeder Künstler träumt und mit dem aktuell niemand gerechnet hätte“. Und ja, ab und zu kommentiert man das „streitbare Thema“ seines Frauenbildes. Im Nebensatz.

Cro im Blind Date: "Ich würde mich freuen, wenn Casper mal so ein Mixtape wie früher machen würde!"

„Man will sich den schönen, vermeintlich harmlosen Rap nicht kaputtmachen lassen […] Es sind doch nur Worte“, schreibt form in seinem splash!-mag-Kommentar zum „leidigen Thema Sexismus im Deutschrap“ und weiter: „Dass es für die Betroffenen aber nicht nur bisschen nervig und anstrengend ist, […], wird in der Regel nicht gesehen.“

Aber welche Betroffenen überhaupt? Ist doch nur Musik?!

Keinen Fick geben gefällt der jüngeren Zielgruppe – und das propagieren Künstler wie Cro, Rin und Bausa

„Das alles mag im ersten Moment harmlos klingen, schließlich ist es nur ein Popsong mit Ohrwurmpotenzial“, beschreibt „Broadly“ am Beispiel von Robin Thickes „Blurred Lines“, „Der Gedanke dahinter bleibt aber gefährlich: Männer wissen besser als Frauen, was Frauen wollen, Consent ist optional.“

Ein Beispiel, das greifbarer macht, inwiefern Popkünstler ihre jüngeren Fans beeinflussen, hat auch Rin im vergangenen Jahr geliefert: „Machen wir Liebe, Babe, im Bett, dann schreist du: Arrêté!“ säuselt er auf seinem Überhits-Album EROS und gibt seiner Teenie-Anhängerschaft mit, dass ein Nein beim Sex nicht zählt, eher noch zur Romantik beiträgt. „Dass er sich dabei als Vergewaltiger inszeniert, scheint ihm nicht bewusst zu sein“, kommentiert refinery29s Jowa. Vielmehr diene es als edgy Stilmittel.

Trat 2016 bei den „Männer des Jahres“-Awards eines großen Männermagazins auf und gewann auch einen Preis: Cro, damals noch mit „alter“ Maske

Keinen Fick geben gefällt der jüngeren Zielgruppe – und das propagieren Künstler wie Cro und Rin. Auch Bausa. Das ist cool, damit kann sich identifizieren, wer von Eltern, Lehrern und insgeheim dem eigenen pubertären Selbst genervt ist. Und wenn der eigene sexuelle Erfahrungsschatz noch kaum bis gar nicht existiert, orientiert man sich eben an seinen Vorbildern, die im Falle von Rin Zeilen wie „Ich benutz’ kein Gummi, denn ich liebe dich“ („Arrêté“) singen. Oder die implizieren, dass nur ein Mädchen zur Zeit niemals genug sein kann, dass es cool ist, dutzendgleisig zu fahren (siehe „Victoria’s Secret“ oder Bausas „Vagabund“: „Heute hier, morgen da und in jeder Stadt ein Mädchen, das mich liebt und mich vermisst“).

Yung Hurn zählt auch zu diesen Vorbildern. Im September 2018 erlebe ich, wie stumpf sein Casanova-Gehabe aufgenommen und interpretiert werden kann. Auf der Messeveranstaltung eines Versandimperiums hat Tomboy-Königin Princess Nokia das Pech, direkt vor seiner Show in derselben Venue zu spielen. Keine fünf Minuten vergehen bis sich vereinzelte „Yung Hurn, Yung Hurn, Yung Hurn“-Rufe zu besoffenem einstimmigem Grölen zusammenfinden. Unabhängig von diesen Forderungen muss Princess Nokia ihren Auftritt nach wenigen Songs unterbrechen. „My show is a safe space for women“ deklariert sie, als sie bemerkt, dass sich einige Frauen in den vorderen Reihen bedrängt fühlen.

Natürlich ist nicht Yung Hurn schuld daran, wenn ein paar besoffene Idioten Randale machen. Aber auch diese Situation zeigt, dass Textzeilen wie „Sie ist bisschen dumm, doch im Bett ist sie gut“ („Wieso?“) im Falle testosterongeladenen Suffis infantiles Machtgehabe legitimieren (können). Ich kenne keine Frau, die ein ähnliches Verhalten noch nie zu spüren bekommen hat.

Wir haben Deutschrap-Fans von Nazis nach Kommunisten sortiert

Natürlich kann man argumentieren, dass diese Künstler sich ihre Vorbildfunktion nicht ausgesucht haben und dass Heranwachsende nicht von Songs, sondern von Erziehungsberechtigten beeinflusst werden sollten. Dass das Problem tiefer greift, dass Popkünstler es lediglich präsentieren. Dass ein paar sexistische Textzeilen doch niemals dazu im Stande wären, Weltbilder zu erschüttern. Und wenn doch: dass es keinen Unterschied machen würde, wenn ein paar Kiddies mehr oder weniger in Klassengefällen denken.

Aber warum versteckt man sich hinter künstlerischer Freiheit oder angeblichem Nihilismus? Ist das Faulheit oder Ignoranz? Unwissenheit kann nach allem, was in den vergangenen Jahren an die Oberfläche gespült wurde, nicht mehr als Antwort gelten.

Leider hat Cro ein Interview mit uns zu diesem Thema abgelehnt. Es bleibt zu hoffen, dass er lediglich auch in diesem Bereich ein Spätzünder ist.

Die 40 besten Platten des Deutschrap - Teil 1
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Sean Gallup Getty Images for GQ