Crosby, Stills & Nash


13 Jahre nach Woodstock wurde das altgediente Flaggschiff der Folkrock-Ära noch einmal see- tüchtig gemacht. Auch wenn der einstige Mitstreiter Neil Young dankend abwinkte, steckt in der menschlichen und musikalischen Kombination von C und S und N noch ausreichend Zündstoff. Sylyie Simmons beobachtete die Reunion der alten Herren in Los Angeles.

Die Leute“, sagte Graham Nash vor der Tournee, „neigten schon immer dazu, unseren persönlichen Beziehungen untereinander zuviel Gewicht beizumessen. Sie sollten mehr darauf achten, was aus diesen Beziehungen kreativ entsteht. Ich gebe zu, daß wir uns an einem Tag geliebt und am nächsten schon wieder gehaßt haben. Aber diese Sprunghaftigkeit kommt ja auch in unserer Musik zum Ausdruck.“

Wenn es bei Nash mit der Musik nicht so gut gelaufen wäre, hätte er als Politiker ein Vermögen machen können – ein Meister des Takts und Diplomatie. Ihm ist’s zu verdanken (auch wenn er niemals den Lorbeer dafür in Anspruch nehmen würde), daß das Schlachtroß der Country-Folkrock-Ära —- Crosby, Stills & Nash – wieder in den Kampf zieht.

Seit der ersten Trennung 1970 – oder wenn man es sich leichter machen will, seit sie sich 1975 wieder getrennt hatten – gab es zahllose, zögernde Versuche einer Wiedervereinigung. Aber wenn sich Stills und Nash gerade wieder gut verstehen, dann will Crosby nicht spielen. Waren Crosby und Nash ein Team, ist Stills abgehauen, und so weiter und sofort, bis sogar die Plattenfirmen dieses Melodram leid waren und abschalteten. Vor dem neuen CSN-Album DAYLIGHT AGAIN – schockiert entsinnt man sich, daß es sich dabei erst um ihr drittes gemeinsames Studio-Album handelt – arbeitete Crosby an einer Solo-LP, bis Capitol Records ihn ohne viel Federlesens fallenließen. Und Stills und Nash benutzten Nash’s Privatgeld, um gemeinsam ein Album aufzunehmen – bei Atlantic Records war man der Meinung, daß S und N ohne das C in diesen Tagen wirtschaftlicher Schwierigkeiten ein zu großes Risiko sei – sie ließen sich von Leuten wie Art Garfunkel, dem Ex-Eagle Timothy Schmitt und dem beinahe ex-Doobie Mike McDonald die Teile singen, die sie eigentlich für den beleibten, struwwelköpfigen Mann mit dem Walroß-Schnurrbart geschrieben hatten.

Als Nash nach 40 Telefongesprächen Crosby endlich überredet hatte, mal runterzukommen und reinzuhören, da drohte Stills damit, abzuhauen, um mit Neil Young zu arbeiten und stattdessen Buffalo Springfield wieder ins Leben zu rufen. Um nur einige Episoden aus dem Rührstück zu präsentieren: Nash und Stills spielten auf Hawaii, in Nash’s zweiter Heimat, und zwar ein Benefizkonzert für eine Bürgermeister-Kandidatin. Das gefiel ihnen so sehr, daß sie anschließend in Kalifornien in kleinen, abgelegenen Clubs auftraten.

An einem Wochenende war Crosby zufälligerweise mal nicht im Knast (seine häufigen Gefängnisaufenthalte wegen Kokain oder Waffen-Vergehen sind in der US-Presse hinreichend ausgeschlachtet worden) und kam vorbei, um sich’s anzuhören.

Es dauerte nicht lange, da stand er mit ihnen auf der Bühne. Und es dauerte auch nicht lange, da waren sie zu dem Schluß gekommen, daß, wenn sie es in den achtziger Jahren überhaupt noch zu etwas bringen wollten, es nur unter dem alten Banner mit dem Aufdruck „Crosby, Stills & Nash“ möglich wäre.

Nun, schön und gut. Aber wollte sie überhaupt noch jemand? In der amerikanischen Musik war eine Menge geschehen, während sie sich gegenseitig an die Kehle gingen. Sogar der DJ Rodney Bingenheimer, die Radio-Berühmtheit, der man bescheinigt, C S & N 1969 im Wohnzimmer von Joni Mitchell miteinander bekanntgemacht zu haben, spielte in seinen Sendungen, was sie hier draußen „new music“ nennen. Und was hatten C S & N anzubieten?

Graham Nash: „Ich glaube, wir werden besser als Vermittler, besser als Songschreiber, besser als Musiker. Ich glaube, diese Faktoren zusammen haben dafür gesorgt, daß unsere Musik nicht langweilig ist, kein alter Hut, nicht Dutzendware. Wir haben unsere Musik nie schal werden lassen.“

Stills sagte einem Interviewer; „Dieses Album hat mehr Mumm, mehr ‚balls‘ als unsere anderen“, und außerdem sei nicht alles „Sonnenschein“ und mehr als nur schlaffe, weinerliche Balladen. Und „New Wave“, sagt Crosby, „das ist einfach dämlich; diese Bands versuchen alles, nur um Aufmerksamkeit zu erreichen. ‚Legen wir ein Huhn auf die Guillotine‘. Damit wird doch nichts ausgesagt. Musik ist das Schönste, was wir auf unserem Planeten haben. Sie verringert die Entfernungen zwischen den Menschen. „Dieses Neue-Welle-Zeug“, der alte Hippie schüttelt seinen Kopf, „bringt das einfach nicht… Es gibt doch auch noch andere Menschen, und diese Leute mögen Melodie, Harmonie und Wörter, die zählen.“

Das Album mit einer Single, die vom „Blick zurück“ handelt, „Wasted On The Way“, marschierte direkt in die amerikanischen Top Twenty. Die Tournee, die auch diese beiden Abende im Open-Air Auditorium von Irvine Meadows (in einem Vorort von Los Angeles) einschließt, ist restlos ausverkauft.

Das Wunder besteht eigentlich nicht in der Qualität der Shows, sondern darin, daß es ihnen überhaupt gelang, so lange auf der Bühne durchzuhalten. Von Stadt zu Stadt folgten ihnen die Berichte über internen Zank und Streit und allgemeines Chaos. Es ist wahr, daß sie in getrennten Bussen reisen, jeder mit seinem eigenen Tourmanager. Es ist auch wahr, daß sie – außer der Zeit auf der Bühne – so gut wie gar nicht kommunizieren. Nichtmal während der Soundchecks dieses Problem haben sie gelöst, indem sie ganz auf Soundchecks verzichten. Es heißt, Crosby habe sich angewöhnt, die beiden anderen zu Tode zu erschrecken, indem er immer erst eine Minute vor Auftrittsbeginn auftaucht. Stills soll unglücklich darüber gewesen sein, daß Neil Young keine Anstalten machte, sich ihnen anzuschließen. Natürlich ist Nash der Friedensstifter.

Aber während der Show, die ich im Irvine sah, gab es nicht die geringsten Anzeichen fehlender Harmonie. Der Sound war exzellent, sie spielten gut, die gemeinsamen Gesangspassagen kamen exquisit. Es gab Augenblicke zu Beginn der älteren Songs, Augenblicke, in denen jeder, der die Stücke in- und auswendig kannte, wußte, daß gleich ein besonders hoher Ton kommen mußte und ein ganz besonders komplizierter Harmonieteil – und alle waren still, befürchteten das Schlimmste. Und dann kam dieser hohe Ton messerscharf durch die Arena, perfekt, die Harmonien paßten makellos, durchschlagend, und alle waren auf den Beinen und jubelten. Das Publikum hatte seinen Spaß, die Band noch mehr. Wenn Crosby ein Solo übernahm, tätschelte Nash ihm lächelnd die Schulter. Wenn Stills ein besonders feines Gitarren-Riff produzierte, umarmte ihn Crosby. Wenn Nash und Crosby den Harmoniegesang einmal nur mit Mühe zustandebrachten, grinsten sie einander an und schlugen sich auf die Hand, wie es die Schwarzen machen.

Mehr als drei Stunden standen sie da oben, und sie schienen auf alles abzufahren, was sie taten. Wenn das geschauspielert war, dann verdienen sie einen Oscar, und zwar jeder.

Die Show war aufgebaut wie ihre alten Sets anno ’69. Ein langer elektrischer Teil, eine kurze Pause, ein noch längerer akustischer Teil, solo, zu zweit oder alle zusammen, dann am Ende noch mehr elektrische Musik und schließlich das sanfte a capella-Finale „Find The Cost Of Freedom“.

Sogar das Publikum war dasselbe oder sah doch zumindest so aus. Da waren ein paar Teenager, neue Fans, jedoch nicht so viele, wie man bei einem Neil Young-Auftritt findet. Es waren meistens Paare, noch von damals, die in Erinnerungen schwelgen wollten, Leute im Alter von CSN (also 40, außer Stills, der drei Jahre jünger ist).

Die Reaktion war mehr Verehrung als Applaus, denn nach fast jedem Song folgte eine „standing ovation“, und es wurde gejubelt und gejohlt – sogar während der leiseren Songs, so, als sei man bei einem Country & Western-Hootenanny. Während ihre Kids 60 Meilen entfernt beim „US“-Festival waren, machten sich die Eltern hier ein schönes Wochenende. Für das „US“-Festival mag vielleicht mit dem „Geiste Woodstocks“ geworben worden sein, aber der ließ sich eher hier finden, wo sich die reiferen Jahrgänge trafen.

Zuerst kamen die drei allein heraus: Stills wie ein salopper Geschäftsmann, Crosby mit seinem langen zippeligen Haar, seinem Schnurrbart und seinem Schmerbauch, wie ein alter Hippie, Nash ganz in Denim, er sah aus wie ein unscheinbarer Handwerker. Ihre Band (Mike Finnegan, Michael Henna, Effrain Torro, Michael Sturgess, George Perry und Joe Vitale) – folgte später. Der erste, elektrische Teil bestand hauptsächlich aus Stücken der neuen Platte, vermischt mit Oldies wie „Long Time Coming“, „Wind On The Water“, „Love The One You’re With“.

Im zweiten, ruhigeren Set übernahm Stills die Leadstimme bei einer wunderschönen Version von „Blackbirds“ („Ein Song von unserer Lieblingsgruppe, der einzigen außer uns!“), und die beiden anderen sangen gemeinsam über seinem Gitarrensolo, dann Crosby – mit guter Stimme – am Piano („Delta“, vom neuen Album). „Cathedral“ sang Nash solo, oder Stills scheuchte alle von der Bühne, um einen neuen Blues-Song anzustimmen, den er während der Tour geschrieben hatte. Keiner stahl dabei den anderen die Show, und jeder applaudierte den Bemühungen des anderen so laut wie das Publikum, das schlicht aus dem Häuschen war. Man hatte den Eindruck, sich eher auf einem privaten Zusammentreffen (in der Frühphase ihrer Comeback-Plane) zu befinden als bei einem Großkonzert in Kalifornien.

Der Schlußteil präsentierte die alten Standards und wieder die komplette Band – „Suite Judy Blue Eyes“, „Deja Vu“, „Dark Star“, „Wooden Ships“, „Carry On“, alles zum Mitsingen, und eine interessante, langsame funky Version von Buffalo Springfields „For What It’s Worth“.

Und dann zwei Zugaben. „Teach Your Children“ brachte eher die Menge zum Singen als die Band, die sich außerdem um drei ihrer Kinder kümmerten, die auf die Bühne gekommen waren. Und dann „Find The Cost Of Freedom“, ein bewegender Song und weniger eine Knüllernummer, mit der Bands gewöhnlich ihr Publikum nach Hause entlassen. Es gab Gerüchte, daß Jackson Browne, der am Bühnenrand stand, sich zu ihnen gesellen würde, aber es war nicht weiter tragisch, daß er’s doch nicht tat. Crosby, Stills & Nash brachten die drei Stunden auch sehr gut allein über die Bühne.

Ich hörte später, daß ich eine besonders gute Show gesehen hatte. Sogar das Management räumte dies ein. Bald darauf hieß es schon wieder, daß die drei sich bekriegten, aber doch professionell genug blieben, um eine gute Vorstellung abzuliefern. Inzwischen gab Nash beinahe alle Interviews. Wenn Crosby redete, dann nur, um seinen Drogengebrauch und seine ständigen Verhaftungen zur Sprache zu bringen. „Gott und die Welt sitzt mir im Nacken, sagt, ich sei weggetreten, so stoned, so total fertig“, beklagte er sich bei einem Reporter in L.A. „Aber ich war bei jedem Stück Musik, das ich jemals gespielt habe, stoned. Bei jeder Platte, bei jedem Auftritt war ich fast total weggetreten. Wenn die Leute musikalisch etwas Ebenbürtiges zu bieten haben, dann sollten sie auch kritisieren. Aber jeder, der das verdammt nochmal nicht schafft, der hat auch kein verdammtes Recht, mich anzumachen, nur weil ich high bin!“

Die Show im Irvine war in der Tat fesselnd. Aber auf mehr als eine Weise: Crosby wurde in Handschellen abgeführt und ins Gefängnis gebracht, weil er wegen irgendeines Drogenfalls nicht vor Gericht erschienen war. Man entließ ihn rechtzeitig zum nächsten Konzert. Niemand hat behauptet, ein CSN-Revival sei einfach.

Aber allem Anschein nach war es wohl doch die Mühe wert.