CTM-Festival in Berlin: Unbequeme Musik für unbequeme Zeiten
Heute startet das 19. CTM Festival in Berlin. Unter dem Thema „Turmoil“ erforscht das „Festival für abenteuerliche Musik und Kunst“ zehn Tage lang die Grenzen zeitgenössischer Musik von Techno bis Metal und stellt die Frage: Wie schlecht ist es eigentlich um unsere Gegenwart bestellt?
Die Welt ist in Aufruhr. Das Bekannte scheint fremd, ohne Kontrolle oszillieren wir zwischen Stillstand und explosionsartiger Veränderung. Die Anspannung steigt bis zur Zerreißprobe. Der Programmtext zum diesjährigen CTM Festival liest sich wie das Intro zu einem dystopischen Science-Fiction Roman. „Turmoil“ ist das Thema des Festivals für experimentelle Musik und Kunst. Es zeichnet eine Gegenwart in ziemlich düsteren Farben.
„’Turmoil’ ist eine Zustandsbeschreibung. Die ständigen Schocks, die wir durch den täglichen Terror oder Trump erleben, verklingen nicht einfach. Das Wütend-Sein, das Frustriert-Sein, das dauert an“, beschreibt Festivalkurator und Mitgründer Jan Rohlf. Der 42-jährige ist seit der ersten Ausgabe des Festivals 1999 dabei und davon überzeugt: Der Ausnahmezustand darf nicht zur Normalität werden.
„Was können wir als Musik-, Kulturmenschen und KünstlerInnen den Konfliktsituationen und dem chauvinistischen Gehabe der Mächtigen entgegensetzen?“, fragte sich Rohlf und gab sich selbst die für ihn naheliegende Antwort: Musik. „Uneasy times demand uneasy music“, schreiben die Macher – und damit ist nicht etwa die brachiale Noisemusik gemeint, die neben Techno, Ambient, Gabber oder Metal auch auf dem Programm steht. Es ginge darum die eigene, bequeme Filterblase aufzubrechen und sich mit Perspektiven von außerhalb zu konfrontieren.
„Die Welt ist schon zynisch genug“
Eine idealistische Wunschvorstellung? „Die Welt ist schon zynisch genug“, befindet Rohlf schlicht. Zehn Tage lang sollen die etwa 35.000 Besucher aus aller Welt an 13 Spielorte vor allem etwas tun, das im Smartphone-Zeitalter schwerfällt: Zuhören. Für Rohlf ist das CTM daher auch eine gelebte Utopie, die dem Tumult der Welt mit Musik begegnet – auf ganz unterschiedliche Weise.
DAF als Gründerväter der Idee
Da gibt es zum einen die wütende Musik der Post-Metalband Amenra, deren Härte durch die Thematisierung von Trauer und Schmerz gleichsam gebrochen wird. Konzert als Katharsis sozusagen. Künstler wie Boys Noize, Schwefelgelb und Borusiade wiederum nutzen den Dancefloor mit ihrem militanten EBM-Sound zur Mobilisierung. Geshoutete Aufforderungen und das Spiel mit totalitärer Ästhetik verwandeln den Club in einen Ort der Agitation.
Gründerväter dieser Idee sind natürlich DAF, die beim Abschlusskonzert im Festsaal Kreuzberg spielen werden. „DAF sind auch nach fast 40 Jahren noch aktuell“, findet Jan Rohlf. „‚Alle gegen Alle’ besingt sozialdarwinistisch freigesetzte Subjekte, die allein ums Überleben kämpfen. Bei ‚Kebab Träume’ geht es satirisch um den ‚Großen Austausch’ der Völker, das Schreckensgespenst unserer Jetzt-Zeit.“
Dass man dem Tumult auch mit Kontemplation begegnen kann, beweist die französische Musikerin Colleen. Sie wird im HAU1 ihr Ambient-Album „A flame my love, a frequency“ spielen. Darin verarbeitete sie den Schock nach dem Anschlag auf das Bataclan, den sie 2015 in Paris selbst miterlebte und fragt: Wie fragil ist unser Leben und wie viel Kontrolle hat man darüber?
Auch in puncto Musikproduktion und –rezeption geht das CTM über gängige Grenzen hinaus. Bei der ganznächtlichen Performance NOQTURNL im MONOM im Funkhaus kommt zum Allround-Sound noch eine vierte Dimension hinzu: Die Zeit. Es geht darum Innezuhalten und die Aufmerksamkeit zu fokussieren in Zeiten ständiger Erreichbarkeit – auch eine Form des Tumults in uns.
Spannend ist auch der Schwerpunkt zu Künstlicher Intelligenz und ihrem Einfluss auf die Musik. „Das ist ein Krisenmoment unserer Zeit. Es gibt Ängste, Ablehnung, aber auch viel Begeisterung darüber“, sagt Rohlf. Dass KI, ob als Segen oder Fluch, etwas ist, auf das wir reagieren müssen, zeigt Marco Donnaruma mit seiner Performance „Corpus Nil – Eingeweide“. Er tanzt mit Sensoren am Körper, die Signale seiner Muskelspannung an einen Computer senden. Daraus generiert die künstliche Intelligenz Bewegungsabläufe eines zweiten Roboters, den der Tänzer als Prothese am Körper trägt. In einem Feedback-Loop muss er so auf seine eigene Bewegung reagieren, ohne sie willentlich beeinflussen zu können.
Komponist und Improvisationsmusiker George Lewis und Jazzlegende Roscoe Mitchell betrachten KI aus einer historischen Perspektive. Gemeinsam treten sie mit dem „Voyager“ im HAU1 auf, einem in den 1980er entwickelten Computer, der mit Musikern zusammen improvisieren kann.
Realitäten sollen hinterfragt werden
Weitere Highlights sind sicher das Holly Herndon Ensemble, mit dem die kalifornische Produzentin im Festsaal Kreuzberg eine Art Varieté-Show aus experimenteller Musik und Pop inszeniert. Ebenso Hardcore Produzentin Kilbourne, die ihre Erfahrungen als Transfrau mit einem unmissverständlichen „Aggro-Fem“-Sound verarbeitet. Footwork-Produzentin Jlin, die 2017 mit ihrem brillanten Album „Black Origami“ die Rhythmik der Chicagoer Dance-Szene mit der Westafrikas in Dialog brachte, legt im Berghain auf.
„Musik war immer ein Heilmittel gegen die Rücksichtslosigkeit der Welt, sowie ein Mittel, das eigene Sein in der Welt zu verändern“, schreibt Rohlf im Programmtext. Neben großartiger Musik fernab des Mainstreams bietet das CTM Festival somit auch einen Raum dafür, das, was wir als Realität annehmen, zu hinterfragen und neu zu verhandeln.
CTM BERLIN – Festival for Adventurous Music and Art
26. Januar – 4. Februar 2018
Mehr Informationen auf www.ctm-festival.de
Venues:
Akademie der Künste | Berghain/Panorama Bar/Säule/Kantine am Berghain |Club Ost |Festsaal Kreuzberg |Funkhaus Berlin/MONOM |HAU1/HAU2/WAU | Haus der Kulturen der Welt | Kraftwerk Berlin | Kunstquartier Bethanien | Red Bull Studio | Schwuz | YAAM
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