Culture Club


Kurz bevor der Culture Club die Bühne des Tiffanys bestieg, mischte ich mich unter die anwesenden Fans, um ein bißchen Atmosphäre zu schnuppern. Es war keine leichte Aufgabe, in dem Gewühl den richtigen Boy George ausfindig zu machen – jenen Jungen. der kürzlich noch Verkäufer in einer Boutique war und heute einer Band vorsteht, die schon zwei ventable Hits verbuchen kann Die Boy-George-Imitate im Publikum entpuppten sich bei näherer Betrachtung entweder als ausgeflippte Teenybopper oder als überdrehte alte Ex-Hippies Aber egal, wer oder was man war: Kaum hatte der echte Boy George die ersten Begrüßungsworte geäußert, gab’s kein Halten mehr. „Let’s have a party“, schrie Londons derzeitige Kultfigur ins Mikro, während seine Band begann, das Debütalbum KISSING TO BE CLEVER Stück für Stück herunterzuspielen.

Kein Zweifel: Culture Club ist nicht übel, aber die Finesse, die sie auf Platte erreichen, konnten sie bei diesem nächtlichen Club-Gig nicht herbeizaubern. Trotzdem hatte die Menge ihren Spaß: Mädchen, die hilflos kreischten, und Jünglinge, die mit Argusaugen das Make-up von Boy George studierten.

Die Musiker von Culture Club verstehen im Gegensatz zu ihrem charismatischen Sänger nicht die Bohne von Entertainment. Ihnen geht es augenscheinlich nur darum, das LP-Repertoire treu und brav zu reproduzieren, während Boy George wie ein Pfau über die Bühne stolziert und exaltiert mit den Armen fuchtelt.

Überhaupt wies die Bühnenoptik, von der man sich einiges hätte erwarten dürfen, eklatante Mängel auf. Einzig erfreulich war, daß man die selbstentworfene Boy-George-Montur endlich mal aus der Nähe bewundern durfte Seine stimmliche Ausstattung indes war weit weniger überzeugend. In dieser Beziehung erinnerte mich Boy George auf schmerzliche Weise an Sting, dessen Stimme live reichlich miserabel ist. Die von Boy George ist mindestens ebenso dünn, obgleich sein heiseres Belcanto bei „Do You Really Want To Hurt Me“ und „Time“ fast schon LP-Standard erreichte. Gegen Ende der Party jedoch hatte er sich dermaßen verausgabt, daß man ernsthaft um seine Stimmbänder fürchten mußte.

Zuschlechterletzt zerbröckelte dann auch noch seine sorgsam zurechtgemachte Fassade. Immerhin klang zu diesem Zeitpunkt die Band brillant, unterstützt von einer knackigen Bläsersektion und einem zusätzlichen Keyboardmann.

Als Culture Club mit „White Boys“ ihre Karriere startete, habe ich mir als einer der ersten den Mund zerrissen über die große Zukunft dieser Gruppe – ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie’s wohl mit der Live-Präsentation ihrer Musik stehen würde.

Nun weiß ich es. Bleib im Studio, lieber George!