Das große Geschäft mit der Livemusik


Warum sind Konzerttickets so teuer? Acts wie U2 langen heftig hin und verprellen die Fans, andere indes rocken zum Spartarif. Wie funktioniert das Geschäft mit der Livemusik? Wer muss zahlen? Wer zockt ab? MUSIKEXPRESS klärt auf.

Satte 172 Prozent Teuerungsrate in nur drei Jahren – kein Wunder, dass da mancher an Abzockerei denkt. 1995, auf der „Voodoo Lounge“-Tour, kosteten die Rolling Stones-Tickets für Münchens Olympiastadion mit allen Vorverkaufsgebühren noch gnädige 73 Mark. Nur drei Jahre später, als der Rolls Royce unter den Rockdinos durch Europa tourte, waren für die meist verregneten „Bridges To Babylon „-Spektakel bis zu 137 Mark inklusive, für das Konzert in der Berliner Waldbühne gar stolze 198,50 Mark fällig. Ein Abend mit Spatzenration Bier, fettiger Currywurst und Tourshirt der oft genug weniger haltbaren Sorte schlug da schnell mit vollschlanken 300 Mark zu Buche.

Eine Entwicklung, die nicht nur Fans beunruhigt, sondern Mitte der 90er Jahre auch dem da noch führenden Veranstaltertriumvirat des Landes, Marcel Avram, Marek Lieberberg und Fritz Rau, zu denken gab. Die verdienten Promoter-Pioniere stiegen bei den Verhandlungen im Vorfeld der letzten Stones-Tour aus, sie hielten solcherlei Ticketpreise für nicht durchsetzbar. Peter Schwenkow, Inhaber von CoCo Tours in Berlin, indes sah klarer, riskierte die Rekordsumme von 42 Millionen Mark als Garantie für zunächst acht Shows in Deutschland – und behielt Recht. Heute sind Ticketpreise von 100 Mark und darüber fast schon an der Tagesordnung: Tina Turner lag mit ihrer letzten Tournee darüber (und wurde vom Fan prompt gerüffelt – der maue Besuch ihrer Berlin-Konzerte blieb weit hinter den Erwartungen zurück), AC/DC kosten 99,50 Mark, Tiger Tom Jones kassiert nach gelungenem Hitcomeback 120 Mark Eintritt, und Shopping-Freak Elton John nimmt für seine Solokonzerte im Sommer je nach Platzkategorie zwischen 90 und 160 Mark, für „Golden Circle Tickets“ gar stolze 350 Mark (beste Sitzplätze direkt vor der Bühne, Parkplatz in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsort sowie warmes Buffett im VIP-Zelt mit Sektempfang). Wer U2 im Sommer sehen will, muss bis zu 140 Mark springen lassen, die Eagles verlangen gar bis zu 200 Mark. Nicht anders die Festivalpreise: Das altehrwürdige Roskilde-Festival schlägt mit 210 Mark zu Buche, Rock im Park, Rock am Ring und das Bizarre Festival liegen bei rund 150 Mark. Selbst Livekünstler aus dem zweiten oder dritten Glied langen mit Ticketkursen bis zu 80 Mark deftig hin.

Spätestens seit 1998 ist ein tief greifender Wandel der Branche im Gang. Mit dazugehörigem Generationswechsel der Akteure, versteht sich. Wo früher Impresarios alten Schlages das Feld beherrschten, teilen heute drei Firmen-Konsortien den Live-Kuchen untereinander auf. Nummer 1 ist hierzulande Peter Schwenkow. Die erfolgreiche Stones-Tour verschaffte ihm ein kräftiges Plus an Renommee, der folgende Börsengang seiner Deutschen Entertainment AG einen satten Kapitalschub, der ihm allerlei „Aquisition“ (Pressetext) ermöglichte. So schluckte die DEAG (geplanter Jahresumsatz 2001: 650 Mio. DM) den Kölner Veranstalter Balou Entertainment, erwarb einen 50prozentigen Anteil am weltweit operierenden Londoner Touragenten Marshall Arts Ltd. und nicht zuletzt 70 Prozent an Entertainment One, dem neuen Unternehmen von Schwenkows ehemals größtem Konkurrenten Marcel Avram. Hinzu kommen weitere Firmengründungen sowie ein Joint Venture mit dem ebenso hippen wie erfolgreichen Medienunternehmen Me Myself Eye (Bravo TV, Top Of The Pops, Girlscamp, Pop 2000) zwecks Errichtung des neuen Internetportals ShowNet.de.

Schwenkow hart auf den Fersen ist die CTS Eventim (Umsatzerwartung 2001: 290 Mio. DM). Das 1989 als einer Ticketverkäufer gestartete Unternehnen engagiert sich inzwischen erfolgreich im Live-Markt und hat sich mit Mehrheitsbeteiligungen an den Agenturen von Marek Lieberberg und Peter Rieger sowie Semmel Concerts und Scorpio Konzertproduktionen einige der umsatzstärksten Veranstalter des Landes einverleibt. Hinzu kommt unter anderem ein zukunftsträchtiger Kooperationsvertrag mit MTV online, der den lukrativen Ticketverkauf über www.mtvhome.de sichert.

Die beiden kämpfen zwar derzeit noch miteinander um die Marktführung, werden in Zukunft aber wohl gezwungen sein, gemeinsam gegen einen neuen Gegner zu marschieren. Der amerikanische Veranstaltungs-Gigant SFX (Umsatz 2000: 2 Mrd. US-Dollar) drängt mit Macht auf den deutschen Markt – immerhin den weltweit zweitgrößten in Sachen Live-Entertainment – und hat sich mit der noch jungen Firmengruppe epm Media AG (u.a. Bönisch Concerts, Target Concerts, Megacult, Umsatz 2000: 35 Mio. DM) einen Partner für den deutschen Markt ausgeguckt (s. Kasten S. 39). Die erste Kooperation allerdings war vorbei, bevor sie eigentlich begann: Die vier Deutschland-Konzerte der U2-„Elevation“-Tour sollten zunächst von epm durchgeführt werden. Im letzten Moment jedoch schied epm aus. Die Forderungen des U2-Managements sollen, so ist zu hören, eine vernünftige Kalkulation unmöglich gemacht haben – das soziale Engagement, mit dem sich die Iren so gerne brüsten, wirkt vor diesem Hintergrund nicht eben überzeugender. Letztlich erhielt Schwenkows DEAG den Zuschlag. Und doch brechen mit der Allianz zwischen SFX und epm Media neue Zeiten in Deutschland an, dessen Markt bisher „nahezu protektionistisch von den etablierten Anbietern abgeschottet wurde“, wie SFX listig argumentiert. Wo ein einheimischer Veranstalter früher direkt mit dem Agenten oder dem Künstlermanagement verhandelte, gegen Garantien die Tournee durchführte, die einzelnen Konzerte an örtliche Veranstalter weiter „verkaufte“ und so autonom über Verdienstspannen verhandeln konnte, scheint er jetzt auf Gedeih und Verderb den von SFX diktierten Bedingungen ausgeliefert. SFX schließt seinen Deal direkt mit dem Künstler ab und verkauft die jeweiligen nationalen Tourneen an lokale Veranstalter – zum Festpreis, der, wenn man Insidern glauben darf, bei bis zu 97,5 Prozent der Nettoeinnahmen liegen soll. Skeptiker furchten, dass deutsche Veranstalter bald nur noch als Handlanger des globalen Konzertmultis SFX agieren. Mit kollektivem Aufschrei beschwert sich die Branche nun über das Diktat des SFX/epm-Kartells, der Vorwurf lautet: SFX macht den deutschen Markt kaputt. Eine Argumentation, die im Lichte der von DEAG und CTS forcierten Marktkonzentration ein wenig scheinheilig anmutet. Wie auch immer die Verteilungskämpfe der Zukunft ausgehen werden fest steht: Das große Abkassieren wird von Jahr zu Jahr effizienter. Wer da noch von Rock’n’Roll faselt, romantische Vorstellungen von selbstlosen Musikern, klapprigen Tourbussen und idealistischen Veranstaltern pflegt, darf sich – milde ausgedrückt – weltfremd nennen. Fragt sich nur, wo das viele Geld bleibt, das der Kunde an der Kasse lässt.

Die Bedingungen, unter denen heute Tourneen veranstaltet werden – große wie auch kleine -, sind schwieriger denn je. Vor allem drei Dinge machen eine Tour zum teuren Spaß. Zunächst die örtlichen Kosten. Dazu gehören Stadion- oder Hallenmiete, Stagehands, Catering, Gebühren, Reinigungskosten und alles weitere. Der zweite nicht zu unterschätzende Batzen ist die Ausländersteuer in Höhe von 25 Prozent. Lind dann sind da noch die gerade in den letzten Jahren in Schwindel erregende Dimensionen vorgestoßenen Gagenforderungen, die mancher Branchenkenner schlicht „unverschämt“ nennt. Die Gründe für die Gageninflation liegen auf der Hand: Neben immer aufwendigeren und damit teureren Bühnenproduktionen sowie zunehmender Abzockermentalität der Managements und Agenten sind es, wie könnte es anders sein, die Marktmechanismen, die den Preis in die Höhe treiben. Nirgendwo ist die Konkurrenz unter den Veranstaltern so groß wie hier. Mit Topstars wie U2, AC/DC oder Bon Jovi kann man wegen der exorbitanten Garantiesummen zwar kaum noch Geld verdienen, dafür aber umso mehr an Prestige gewinnen. Ein Insider: „Jeder will die großen Namen haben, bezahlt dafür jede Summe – und kalkuliert oft erst hinterher.“ Eitelkeit hat in diesem Geschäft schon manchen in den Ruin getrieben. Der Fall des Hermjo Klein, der sich 1995 an den Rolling Stones verschluckte, ist in bester Erinnerung. Die Situation erlaubt Gagenforderungen in fast jeder Höhe. Ernst Ludwig Hartz von der Concert Cooperation Bonn, Mitveranstalter des in diesem )ahr zum 15. Mal stattfindenden Bizarre Festivals, erklärt: „Die Amis wissen, dass sie auf dem deutschen Markt praktisch jeden Preis verlangen können. Deutschland ist ein Schlaraffenland für ausländische Künstler, weil es hierzulande relativ viele Anbieter gibt.“ Da passiert es schon mal, dass ein Künstler im momentanen Karrierehoch auch für einen erfahrenen Fuchs wie Hartz unerschwinglich ist: „Wir wollten in diesem lahr noch einmal die Red Hot Chili Peppers haben – aber wir konnten sie uns beim besten Willen nicht leisten, obwohl unser Programm-Budget gegenüber dem Vorjahr um satte 600.000 Mark gestiegen ist.“ Branchenkenner munkeln, dass 112 pro im Sommer absolvierter Show in Europa eine Garantie von einer Million Dollar erhalten und die geplante Madonna-Europatour im Paket gar für garantierte 30 Millonen Dollar über den Tisch gehen soll. Dass es auch anders geht und die Gagen im moderaten Rahmen bleiben können, beweist die allerdings mit kräftiger Finanzspritze vom WDR-Rockpalast gesponserte Osterrocknacht in der Düsseldorfer Philipshalle: Hier lag das Gagenbudget für sämtliche auftretenden neun Bands bei bescheidenen 130.000 Mark. Freilich handelt es sich hier auch nicht um die Backstreet Boys oder Eminem, sondern um rockenden Nachwuchs wie Stereophonics, Ash, Muse, Coldplay und andere. Hinzu kommt als Bonbon für die Künstler die nach wie vor beträchtliche Promotionwirkung durch die TV-Verwertung.

Last but not least ist da noch die berüchtigte Ausländersteuer. Sie besagt schlicht, dass 25 Prozent der Gage eines ausländischen Künstlers vom Veranstalter einbehalten und ans zuständige Finanzamt abgeführt werden müssen (zzgl. 1,75 Prozent Umsatzsteuer, 1,47 Prozent Soli und 3,9 Prozent an die Künstlersozialkasse, alles weitere siehe Kasten S. 37). All das führt zu exorbitanten Ticketpreisen. Beispiel U2: Die vier Deutschland-Shows der Iren kosten je nach Platzkategorie 80 bis 140 Mark Eintritt. So mancher Fan verzichtet da schweren Herzens („Ich hoffe, viele Fans werden es mir nachmachen und die Veranstalter auf ihren Karten sitzen lassen!“ – Zitat aus einem Leserbrief an den MUSIKEXPRESS). Und doch waren die insgesamt 70.000 Tickets, wie DEAG stolz meldet, in der Rekordzeit von nur 57 Minuten bundesweit abgesetzt.

Dabei gibt es auch noch die andere Seite des Mondes, wo das Tagesgeschäft mit den weniger bekannten, ganz und gar nicht Millionen-verwöhnten Acts abgewickelt wird. Aber auch im Indiebereich, wo es tatsächlich noch in erster Linie um die Musik zu gehen scheint, zählt jede Mark. Und wenn die fehlt, stehen die Akteure im Regen. Beispiel: der ehemalige Long Ryders-Kopf Sid Griffin. Der Kalifomier lebt in London, hat dort eine neue Band, Western Electric, mit der er im letzten ]ahr sein erstes Album veröffentlichte. Abgesehen von einem kurzen Festivalauftritt hat sich die Band hierzulande noch nicht live vorgestellt, würde dies aber liebend gerne tun. Nur, wie Griffin frustriert berichtet: „Ich finde einfach keinen Booker, der mit uns eine Tournee machen will.“ Damit ist der Kern des Problems umrissen: One for the money, two for the show, three to get ready – erst dann heißt es: Go, Sid, go. Bands ohne große Plattenfirma im Rücken haben so kaum die Chance, sich live ein Publikum zu erarbeiten. Es sei denn, sie finden einen Veranstalter, der in finanzielle Vorleistung tritt, mit viel Idealismus auf die eigene Spürnase vertraut und eine solche Tour als Investition in eine – dann auch finanziell – segensreiche Zukunft versteht. Die jedoch werden immer weniger. Thorsten Schauf von der Hamburger Agentur Scorpio Concerts: „Wenn du bei solchen Tourneen mit plusminus Null rauskommst, kannst du dich glücklich schätzen.“ Gebucht werden ausschließlich kleine Clubs, deren treues Stammpublikum bei Eintrittsgeldern um die 20 Mark auch schon mal ein Ohr für unbekannte Künstler riskiert. Das nötige Vertrauen müssen die Clubbetreiber mit durchgehend hochwertigem Programm allerdings über fahre erst schaffen. Wenn dann 150 Leute in einem schwäbischen Club vor der Bühne stehen, gilt das als Erfolg. Und sparen lässt sich bei der Durchfuhrung solcher Low Budget-Tourneen kaum etwas. Schauf: „Wenn’s hart auf hart kommt, schicken wir die Bands allein durchs Land, ohne Tourbegleiter, der 400 Mark am Tag kosten würde. Und statt eines komfortablen Nightliners (schlägt mit 1000 Mark pro Tag zu Buche – Anm. d. Red.) darfs auch ruhig ein Kleinbus sein. Wenn man Glück hat, dann zahlt die Plattenfirma schon mal den Tourbus mehr ist aber nicht drin.“ Mitunter springt auch die rührige VW Sound Foundation ein. Neben ihrem millionenschweren Großsponsoring weltbekannter Zugnummern (Pink Floyd, Bon Jovi, Genesis, Stones) kümmern sich die Wolfsburger auch um den Show-Nachwuchs. So bekommen junge Bands durch die Stiftung Tourbusse gestellt. Bedingung: Fünf Konzerte in Folge müssen nachgewiesen werden. Bevorzugt werden einheimische Künstler, ansonsten gilt das Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Agenturen wie Scorpio betrachten Tourneen mit jungen Acts denn auch zunächst als Investition in die Zukunft. Beispiel 69 Eyes. Auf ihrer ersten Deutschlandreise spielten die finnischen Gothrocker vor jeweils einer Hand voll Fans, inzwischen werden sie von Scorpio so eingeschätzt, dass sie auf der kommenden Sommertoumee 300 bis 400 Leute pro Gig ziehen. Für Western Electric, denen Scorpio derzeit eine kleine Deutschlandtour zurechtstrickt, ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Aber bei Scorpio hofft man, dass sowohl Western Electric wie auch 69 Eyes die Aufbauzeit im Erfolgsfall mit der Treue zum Tourveranstalter lohnen.

Bei den Madonnas und Bon Jovis dieser Welt indes ist es mit der Treue nicht so weit her. Da kriegt den Zuschlag, wer das Meiste bietet. Und geboten wird bis zur Grenze des Finanzierbaren. Kein Wunder also, dass die am Rande des Abgrunds balancierenden Tourneeveranstalter das volle Risiko möglichst auf die örtlichen Veranstalter abwälzen. Und die stellen sich angesichts der verschwindend geringen Margen gelegentlich die Sinnfrage. Sabine Woest vom Berliner Örtlichen Coco Tours: „Ein paar hundert Tickets können dir im Zweifelsfalle den Hals brechen.“ Und neben den seriösen Veranstaltern gibt es auch immer wieder schwarze Schafe, die mit allen Tricks arbeiten, etwa Tickets schwarz verkaufen oder Kostenpositionen nach oben frisieren. Dabei schaut jeder jedem misstrauisch auf die Finger. So müssen die Örtlichen ihre Kalkulation dem Tourneeveranstalter und dem Künstlermanagement im Vorfeld vorlegen. Und nach der Show wird in Gegenwart von Buchhaltern mit dem Veranstalter abgerechnet – anhand von Originalbelegen, versteht sich.

Lange vorbei »Ind die Zeiten, als der heute 71jährige Fritz Rau gemeinsam mit Jimi Hendrix im klapprigen VW-Bus durch die Republik schaukelte im Millionenbusiness mit dem Live-Entertainment ist kaum noch Platz für Romantiker. Zumal es sich um eine Branche handelt, die zwar Kultur produziert, im Unterschied zur Klassik- oder Theaterszene aber vom Staat mit keinem Pfennig subventioniert wird. Hier herrscht der nackte Kapitalismus, die Nachfrage bestimmt das Angebot. Fritz Rau bringt es leidenschaftslos auf den Punkt, wenn er feststellt: „Eigentlich hat sich nichts geändert, die Regeln sind dieselben geblieben. Nur das Geschäft ist größer geworden, die Erfolgreichen werden noch erfolgreicher.“ Und die Zeche zahlt, wie immer, der Kunde an der Ticketkasse.