Das gute Buch


Runde zehn Jahre ist es nun schon her, da Johnny Rotten alias Lydon und sein Gefolge mit berechtigtem Zorn gegen ein saturiertes, selbstgerechtes Rock-Establishment angetreten waren. „No more Elvis, Beatles or Rolling Stones in 1977“ hieß damals die Parole -— und Bombast, Business und Berufsmusikantentum schon gar nicht.

Jetzt hat sich Dave Rimmer, als „Smash Hits“-Schreiber intimer Augen- und Ohrenzeuge der zweiten „British Invasion“, aufgemacht, um nachzuschauen, was draus geworden ist —- und muß ernüchtert feststellen, daß die Zeit stehengeblieben ist: Der gewiefte New Pop-Entrepreneur Marke Culture Club, Duran Duran oder Spandau Ballet jettet zwischen den Bahamas (Studio), New York (Parties) und Paris (Shopping) umher, um heimatlichem Fiskus und ödem Klima zu entwischen, investiert seine Milliönchen sicher auf dem Immobilienmarkt — und die Backstage-Menüs erreichen auch wieder den Kalorienbedarf einer mittelgroßen Hochhaus-Enklave … LIKE PUNK NEVER HAPPENED!

Zwar behandelt das Buch, quasi als Fallbeispiel, vorrangig Aufstieg und Niedergang derer um Boy George, doch sind Rimmers Beobachtungen scharfsinnig genug, um auch allgemeingültige Schlüsse zuzulassen. Er beschreibt, welche Strategien die verschiedenen Märkte knacken halfen, wie die New Pop-Protagonisten mit dem Stilmittel „Sex“ operierten, mit welcher Vehemenz sich die Fleetstreet-Klatschbasen auf ein zuverlässiges Sensationsrepertoire stürzten und wie die Hauptdarsteller den Schreibern dabei in die Hände arbeiteten.

Doch Rimmer gießt nicht nur Häme aus: So liegt ihm nichts ferner, als im Stil eines elitären Moralisten die Fans von George & Co. zu denunzieren, jene also, die oft stundenlang in irgendwelchen Hotelfoyers rumlungern, nur um vielleicht einen kurzen Blick auf ihr jeweiliges Idol zu erhaschen.

Und nicht zuletzt, abgesehen vom hochinteressanten Material, ist dieses Buch auch ein Lesegenuß: Rimmer weiß mit Sprache umzugehen und Anekdoten auszukosten, er hat Humor und Ironie, kurzum: LIKE PUNK NEVER HAPPENED ist für den New Pop das, was Burchill Parson’s „The Boy Looked At Johnny“ für den Punk und Chapple/Garofalo’s „Wem gehört die Rockmusik“ für den Rock waren -— eine erhellende Pflichtlektüre, bislang leider nur auf englisch. (Faber & Faber, 29.80 DM) Da sich noch kein einheimischer Verlag um die deutschen Rechte bemüht hat, wird ME/SOUNDS voraussichtlich im nächsten Heft einige Auszüge abdrucken.

Weiterhin empfehlenswert: Sweet Mother von Wolfgang Bender. Die erste Veröffentlichung über afrikanische Musik hierzulande besticht durch Materialfülle, sichere Auswahl der Schwerpunkte und eine reichhaltige Biblio-/Discographie, die — ist die Lust am Gegenstand erstmal geweckt —- weitere Nachforschungen ermöglichen. (Tricksier Verlag, 29,80 DM)