„Das hat nichts mit Kunst zu tun“
Eigentlich wollte man nur über Musik sprechen, doch wenn am selben Tag in Japan AKWs havarieren, muss man sich vielleicht doch auch kurz über Politik streiten: Ein Gespräch mit Maike Rosa Vogel und Sven Regener über Folk, Fukushima und falsch verstandene Texte.
Maike Rosa Vogel ist noch nicht so berühmt wie Sven Regener. Aber wenn es nach ihm geht, soll sich das bald ändern. Regener hörte Vogel das erste Mal im vorletzten Sommer in einem kleinen Club und war begeistert. Dass es eigentlich um sie ginge heute, die Folksängerin, deren Debüt Golden 2008 einen auserwählten Kreis verzückte, betont er beim Gespräch in einem Kreuzberger Café immer wieder. Denn Maike Rosa Vogel hat ein zweites Album aufgenommen: Unvollkommen, und das wurde von Sven Regener produziert. Ein Album, das einem außerordentlich nahe geht, wenn man es denn zulassen kann.
Frau Vogel, gibt es eigentlich viele Menschen, die bei Ihren Konzerten weinen?
Maike Rosa Vogel: Nicht, dass ich es von der Bühne aus sehen würde, aber mir wird hinterher öfter mal davon erzählt. Ich finde das total cool, aber ich weiß nicht, ob es cool für die Leute ist.
Die Menschen können ja kaum noch weinen. Sagt man.
Sven Regener: (lacht) Man darf nicht vergessen, dass Folkmusik wenig Möglichkeiten bietet, sich zu entziehen. Beim Rock schreit man dem Nachbarn ins Ohr: „Ich geh mal eben aufs Klo, soll ich dir noch ein Bier mitbringen?“ Ein klassischer Rockkonzertsatz. Ich liebe das. Beim Folk sitzen die Leute.
Und halten sich an den Händen.
Regener: Und alle sagen: „Pssst“. Man kann sich nicht bewegen und es gibt keine Möglichkeiten der Triebabfuhr. Deswegen wird auch mehr geweint. „Das wird mir jetzt zu rührselig, ich geh schnell aufs Klo.“ Das geht da nicht.
Vogel: Es gibt Leute, die meine Musik nicht aushalten. Und es gibt Leute, die das gerne aushalten. Aber es hat wirklich mit aushalten zu tun.
Herr Regener, Sie schrieben über Maike Rosa Vogel: „Künstler wie Maike gibt es nicht viele. Man kann sie nicht machen und man kann sie nicht formen, sie sind da und sie sind perfekt.“ Große Worte!
Regener: Normalerweise schreibe ich solche Texte nicht mehr, aber wenn man der Produzent ist, ist es schon nicht verkehrt, sich dazu zu verhalten. Deswegen bin ich heute auch hier. Nervt mich fast schon, dass ich jetzt rede.
Vogel: Für mich ist meine Musik natürlich nicht perfekt. Deswegen war es auch gut, Sven bei den Aufnahmen dabeizuhaben. Er hat mir gesagt, wann es gut klingt. Man selber findet den Zeitpunkt ja meist nicht.
Regener: Perfekt stimmt natürlich nicht. Es ist eher eine klare künstlerische, ästhetische Vorstellung, die ich meine und da ist Maike einfach schon sehr weit.
Sie sind mir das erste Mal mit ihrem Stück „So hab ich Dich bei mir“ aufgefallen. Ein Liebeslied, das Leben retten und zerstören kann. Und dennoch hat es nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die es verdient. Warum hat es deutsche Musik so schwer?
Regener: Hat sie ja gar nicht.
Vogel: Wenn ich auf Englisch singen würde, würde es niemanden interessieren.
Und dennoch lösen bei den um die 30-Jährigen eher ausländische Bands Begeisterung aus.
Regener: Es ist glamouröser, Artikel über Bands zu schreiben, die woanders herkommen.
Das stimmt nun wirklich nicht.
Regener: Für viele ist das glamouröser, wenn jemand über Tulsa, Oklahoma singt, als über Paderborn. Die wissen nicht, dass Tulsa nicht annähernd so glamourös ist wie Paderborn. Und Paderborn ist schon nicht an der Spitze der glamourösen Städte. Englischsprachige Musik hat den ganzen Weltmarkt zur Verfügung. Dänischsprachige Musik hat es aber noch schwerer.
Im Internet schrieb jemand, Maike Rosa Vogels Musik sei „unpeinlich“ obwohl sie auf Deutsch gesungen sei.
Vogel: Allerdings gibt es auch ganz viele, denen meine Texte unangenehm sind.
Regener: Ich finde, es gibt sehr viele gute deutsche Texte, aber vielleicht bin ich auch recht schmerzfrei, was das betrifft, oder nicht sonderlich anspruchsvoll. Mir reicht es, wenn die Leute beim Bügeln mitpfeifen. Das meine ich nicht kokett. Das Problem, das wir mit deutscher Musik haben, ist umgekehrt. Die Leute achten eher auf den Inhalt und weniger auf den Klang. Die Wörter müssen aber gut klingen, sonst taugt das nichts.
Etwas mehr als guten Klang sollte Musik aber schon bieten.
Regener: Klang hat doch auch eine Botschaft. Es ist wie bei Shakespeare, viele von den Monologen kreisen endlos um das gleiche Thema, aber sie klingen wunderbar.
Auf Ihrem Album wechseln Sie auch manchmal in die englische Sprache, hat das auch mit dem Klang zu tun?
Vogel: Es gibt Stücke, die ich zuerst auf Englisch geschrieben und später übersetzt habe. Und dann sind ein paar Sätze übrig geblieben, weil sie nicht übersetzbar sind oder so gut klingen.
Regener: Auch die Amerikaner haben viel, was bei uns nicht läuft. Glaubt mir, ich war zur gleichen Zeit im Studio wie Faith Hill. Sie ist dort ein Megaübersuperstar. Kennt hier kaum jemand.
Frau Vogel, Sie haben Ihre Musik mal Elektro-Folk genannt.
Vogel: Ja, den Elektro haben wir nun aber weggefegt. Nun ist es Folk. Ich glaube, es funktioniert jetzt viel besser. Die Musik kommt eher da an, wo sie hingehört. Beim Homerecording macht man manchmal zu viel, schon weil man die Musik nicht so gut hört wie im Studio. Dort muss man nicht so viel flickschustern, und man hat auch keine Zeit, sich zu verzetteln.
Regener: Die Entscheidung des Sounds ist bei Maike damit gefallen, dass sie alleine mit ihrer Gitarre auftreten will. Da kann sie schlecht Elektro-Folk mit Bandimitation machen.
Sie könnte noch mit dem Zeh etwas anklicken.
Regener: Klar, man kann daraus auch eine Karaoke-Show machen und die Backing Tracks von der Harddisc kommen lassen, aber ich glaube, das ist nicht Maikes Ding.
Vogel: Für mich war es total erleichternd, eine Platte aufzunehmen, die so klingt, wie ich auch live auf der Bühne klinge. Man steht doch sonst immer mit einem schlechten Gewissen vor den Leuten. Entweder kennen sie die CD oder du hast ein schlechtes Gewissen, wenn du sie ihnen nach dem Konzert verkaufst. Du kommst dir eigentlich immer vor wie ein Hochstapler.
Sven Regener versucht an sein iPhone zu gehen. Es lässt sich aber nicht entriegeln. Er haut auf den Bildschirm.
iPhone-Besitzer scheinen eine gespaltene Beziehung zu ihren Telefonen zu haben.
Regener: Scheiß Gerät, es ist scheiß Technik.
Frau Vogel, der „Rolling Stone“ hat Ihre Musik mit der von Element of Crime verglichen.
Vogel: Ich finde nicht, dass wir ähnliche Musik machen.
Regener: Ich auch nicht. Es wäre auch okay, wenn Maike mit Element of Crime nichts anfangen könnte. Ich meine, ich hab ja auch Subway to Sally produziert, das ist auch eine ganz andere Baustelle. Wie die Element of Crime finden, darüber wage ich gar nicht zu spekulieren.
Ist es ein Unterschied, ob man als Mann oder Frau auf der Bühne steht?
Vogel: Mir wird natürlich immer das Mädchen-Ding angehängt. Aber Klischees gibt es für jedes Geschlecht. Es ist nicht so wie im Fußball, wo sich für Frauenfußball kaum jemand interessiert. Natürlich wirkt man unterschiedlich auf Männer und auf Frauen. Aber wir haben es nicht schwerer und es ist nicht so, dass das Publikum andere Erwartungen hat.
Aber man gibt Ihnen schneller mal einen Stempel wie „Neue Deutsche Gefühligkeit“.
Regener: Die Beschreibung finde ich saudoof. Das Genre ist doch einfach so. Man kann es jetzt schlecht mit Rammstein vergleichen, Maike ackert einfach auf einem anderen Weinberg.
Wir sitzen hier, reden über Musik und in Japan passiert gerade Weltbewegendes. Hat man als Musiker das Bedürfnis, dazu etwas zu sagen?
Regener: Ich geh mal aufs Klo. Maike, das kannst du ja eben kurz beantworten.
Vogel: (lacht) Ich möchte als Mensch etwas dazu sagen, aber nicht als Musiker. Ich habe keine direkten politischen Themen in meinen Texten, bei mir läuft es eher über die emotionale Ebene. Aber ich habe nicht das Bedürfnis, das jetzt Erlebte künstlerisch zu verarbeiten. Noch nicht.
Regener: Wir können ja jetzt alle wieder „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“ singen, aber was nützt das? Es gibt doch keinen Zusammenhang zwischen Politik und Kunst. Niemand will, dass in der Politik gesungen wird.
Aber will man beim Texten nicht, dass es auch reale Bezüge hat?
Regener: Krebs, Strahlenmedizin, Lungenemphysem – singt man selten drüber. Ein großes Blutbild ist jetzt nicht unbedingt ein gutes Songthema, obwohl ein Viertel des Bruttosozialprodukts für Medizin draufgeht. Ich rede gerne über Politik, aber ich singe nicht darüber. Mach ich nicht. Warum schreiben die Feuilleton-Journalisten nicht im Politikteil? Haben sie keine Lust zu, aber sie wollen dauernd, dass wir über Politik singen. Na ja, manche wenigstens. Das nervt.
Vogel: Es gibt politische Themen, die in die Musik einfließen, weil sie den Alltag berühren.
Streichen wir politisch, aber die Texte von Ihnen beiden sind doch schon sozialkritisch.
Regener: Aber was heißt denn sozialkritisch? Was ist denn mit dem Sozialaffirmativen?
Ich sage doch nur, dass …
Regener: Sie wollen, dass sich die Kunst der Politik unterordnet. Das ist Blödsinn, denn es sind beides Überbauphänomene. So wenig, wie ich von Angela Merkel etwas anderes erwarte, als dass sie ein Kunstbanause ist, genauso wenig kann man von uns erwarten, dass wir über das dritte Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz singen. Benutzt euer Gehirn selber. In der Politik will ich Verstand und Vernunft. Und Kunst ist nur Kunst, wenn sie mit den Gefühlen der Menschen zu tun hat.
„Benutz dein Gehirn selber“, genau das ist doch der Punkt.
Regener: Sie verstehen mich falsch, ich habe ein ganzes Buch geschrieben, das sich mit der Bundeswehr beschäftigt („Neue Vahr Süd“, Anm. der Red.) Aber es ist ein Roman. Wenn Sie allerdings Agit-Prop-Literatur wollen, die eine politische Absicht befolgt, ok. Aber meiner Meinung nach will niemand Polit-Rock hören. Zu Recht. Niemand braucht Politisches auf der Schwachsinnsebene runtergereimt.
Ich frage mich nur, wenn man ein Sprachrohr hat, wie nutzt man es in Zeiten wie diesen?
Regener: Ich will doch nicht, dass die Leute meine Meinung haben, weil sie meine Songs gut finden.
Immer wenn Sie Gegebenheiten umsingen, werden die doch damit für andere deutlicher.
Regener: Das ist ja alles richtig, aber das hat noch nichts mit Kunst zu tun. Das ist das Instrumentalisieren. Damit geht man davon aus, dass Kunst keinen Wert an sich hat. Zu Beginn des Golfkrieges haben wir gerade Damals Hinterm Mond aufgenommen, da hab ich schon überlegt, ob ich ein Lied dazu schreiben soll. Aber ich bin froh, dass ich es nicht getan habe. Das Lied wäre heute so alt wie die Tageszeitung von gestern. Gefühle in der Politik sind Manipulation und Populismus. Gefühle sind individuell, Politik ist eine kollektive Geschichte.
Aber in der Liebe gibt es auch Manipulation und Populismus.
Regener: Wie bitte?
Na ja, wenn jemand von einer Liebe singt, dann könnte das auch Gefühle manipulieren.
Vogel: Es geht doch um Allgemeingültiges. Wenn jemand meine Liebeslieder gut findet, dann deswegen, weil er sich darin wiederfindet.
Man kann sich auch in Lena Meyer-Landrut wiederfinden, bei Ihnen beiden geht es doch etwas über das Allgemeingültige hinaus.
Vogel: Es ist doch immer subjektiv, hat aber auch ein verbindendes Moment. Und wenn man so etwas versucht zu verarbeiten, wie den Störfall in einem Kernkraftwerk, dann kann es nur über eine Mitteilung von Gefühlen funktionieren, bei dem der Hörer denkt: genauso fühlt es sich an. Es kann kein Lied sein, das politische Prozesse beschreibt.
Ich will doch gar nicht, dass Sie in Gorleben auftreten …
Regener: Warum ich so aggressiv werde, ist, weil mit diesem Anspruch die Kunst herabgewürdigt wird. Das nervt mich. Die Kunst braucht das Zweideutige. Deswegen singen wir „Ich“ und nicht „Wir“.
Reden wir über etwas Einfacheres. Sie haben gerade ein Filmmusikprojekt abgeschlossen.
Vogel: Ich habe Musik gemacht für einen Dokumentarfilm von Michael Glawogger über Prostitution in Mexiko, Bangladesch und Thailand.
Auch kein einfaches Thema …
Vogel: Es gibt drei Teile und für einen habe ich die Musik geschrieben, also neue Texte und Musik. Die anderen beiden Teile wurden von Coco Rosie und PJ Harvey vertont.
Regener: Ansonsten tut mir die Sache mit Japan auch sehr leid. Aber ich höre mir das alles jetzt länger als 25 Jahre an.
Es wäre doch aber komisch gewesen, heute hier zu sitzen und nicht darüber zu sprechen.
Regener: Wir wollen Menschen mit Kunst glücklicher machen. Wir sind nicht der verlängerte Arm der Volkshochschulen. Politik ist nicht die Basis, das ist falsch verstandener Marxismus.