Das unwirkliche Leben des Michael Jackson
Willkommen in Disneyland, willkommen in einer Welt, die ebenso phantastisch wie unwirklich ist. Von seiner Kindheit an abgeschirmt wie ein kleiner Prinz, ist Michael Jackson in eine verwunschene Traumwelt hineingewachsen, die hauptsächlich von Comic-Figuren wie Mickey Mouse, ET, und Peter Pan bevölkert wird. Seine Lieblingstiere (ein Lama und eine Boa!) haben in diesem privaten Universum noch ihren Platz, ebenso seine allgegenwärtige Familie - und natürlich Musik, Musik, Musik. In der Special Story wirft Uli Güldner einen Blick zurück auf die märchenhafte Geschichte von Michael und seinen Brüdern, die in diesen Tagen ihre LP VICTORY veröffentlichen und die größte Tournee der Popgeschichte in Angriff nehmen.
Wenn ich einen Künstler unter Vertrag nehme, erwarte ich. daß er singt wie Donny Hathaway, schreibt wie Stevie Wonder, tanzt wie Fred Astaire und aussieht wie Adonis…“ (Dick Griffey, Chef des in Los Angeles beheimateten Soul-Labels „Solar“) Wer immer Dick Griffey im Kopf herumspukte, als er diesen Ausspruch tat: Niemand kann seinem Idealbild besser gerecht werden als Michael Jackson. Verglichen hat man Michael Jackson mit allen, die in ihrer Disziplin Meßwerte schufen, mit James Brown und Jackie Wilson, mit Frankie Lymon und little Stevie Wonder. Aber allen geht eine Qualität ab. die Michael auf so extreme Art verinnerlicht – Fiktion. Michael Jackson ist Fiktion. Er kreiert eine Phantasiewelt, er lebt darin, er verkauft sie. Er hat vermutlich genausowenig Bezug zu seinem Erfolg wie zu der realen Welt. Zumindest kann man das aus den Meldungen folgern, die aus dem Inneren der Jackson-Festung herausdringen.
Wie schnell ist man bereit, auf schwerwiegende Neurosen zu schließen, wenn man um Michaels Schwäche für Märchen und Cartoons weiß, wenn man von seinem Lieblings-Spielgefährten, Louis dem Lama, erfährt, oder davon, daß er an ET, Spielbergs bulläugigen Knautschbalg, glaubt? Daß er einmal meinte, er sollte eigentlich in der Lage sein, zu fliegen? Daß er im Londoner Mayfair-Hotel aus lauter Angst vor unsauberem Wasser in Perrier-Mineralwasser badete?
Michael Jackson phantasiert gerne und viel – nicht unbedingt mehr als andere, aber er kann es sich leisten, seine Phantasien wahr werden zu lassen. Er ist nicht der einzige, der von Disneyland träumt, wohl aber der einzige, der sich Designer der Disney-Studios kommen läßt, um sein Heim im kalifornischen Encino mit tanzenden Robotern und gegeneinander kämpfenden Piraten auszustatten.
Zu den Folgen und Begleiterscheinungen seines eigenen Erfolgs fehlt ihm jedwede Perspektive. Gerade das, was er erreicht hat, nabelt ihn von der Welt, die hinter den eisernen Toren von „Jacksonville“ beginnt, ab. Er kann die Tür seines Hauses nicht mehr aufmachen, sagte er einmal, und auch sonst umschließt ihn sein Ruhm wie ein Kokon. „Wo soll ich schon hingehen?“, meinte er. mit einem Anflug von Resignation in der Stimme, bei dem einzigen Interview, das er 1983 gewährte. „Wenn ich einen Club besuche und erkannt werde, gibt der Discjockey meine Anwesenheit bekannt und spielt für den Rest des Abends meine Platten. Und alle umringen mich, bitten um Autogramme … Ich habe es mit Verkleidungen versucht, aber es funktioniert einfach nicht.“
Ein normales Leben hat Michael Jackson eigentlich nie geführt. Wie sollte er auch? Er wurde mit zehn Jahren schon protegiert und privilegiert, mit Leibwächtern und Privatlehrern umgeben. Wie hatte er mit seinen Fans reden können, wenn schon seine Unterschrift und die Haare, die man ihm aus seinem monumentalen Afro zupfte, ein kleines Vermögen wert waren? Wenn man für zwei Dollar sein Soul-Mate werden konnte und sich mit einem brieftaschengroßen Personalausweis ausweisen konnte?
Die Konfrontation mit denen, die zu ihm aufblickten, hat ihn seit jeher verstört und verängstigt. Als ihn seine Eltern einmal – ein einziges Mal, und das auch nur eine Woche lang auf eine öffentliche Schule schickten, jagten ihm seine Fans auch noch in seinem Klassenzimmer hinterher. „Es hat mir Angst eingeflößt“, gab er später einmal zu. „Ich wußte einfach nicht, was all diese Leute von mir wollten.“
Weiß Michael Jackson eigentlich um seine Suggestivkraft? Ist ihm überhaupt klar, wie tief einen seine Stimme trifft? Er ist unter den Augen der Öffentlichkeit aufgewachsen, einer Öffentlichkeit, zu der er eine groteske Beziehung unterhält: Er war nicht älter als zehn, als er mit den Jackson 5 Gefahr lief, an der Brust der größten Massen-Ekstase seit den Beatles erdruckt zu werden.
Die Jackson 5 gehörten vor allem den Mädchen – bunt und blankgewienert, clean und candy-süß – Jungs wären sie etwas viriler und vulgärer lieber gewesen; Erwachsene hätten sich am liebsten ein paar von ihnen gekauft, in die Tasche gesteckt und abends wieder hervorgezogen, um die Freunde zu unterhalten. Ihre Uptempo-Songs waren zweieinhalbminutige Detonationen. Kohlensäurestöße aus einem Pool rasselnder Gitarren, wummernder Bässe und dick aufgetragener Strings: ihre Balladen Tranquilizer für Teenager, für gebrochene Herzen und andere altersbedingte Blessuren.
Familien-Gruppen hatten immer schon ihre Vorteile – denkt man an die Osmonds und die Partridge-Familie. die neben oder wegen der Jacksons groß herauskamen; und auch Michael, Jermaine, Jackie, Marion und Tito zehrten von dem Freibrief familiärer Eintracht. Bloß daß an den fünf nichts manufakturiert, unecht, gehypt oder sonstwie so war, daß man ihnen ihre Millionen hätte neiden können. Alles war pures Talent.
Talent ist ein Begriff, der Michael oft entfährt, wenn er erklären soll, was sich mit Worten eigentlich nur schwer erklären läßt. „Als Gott im Himmel alle, die auf der Erde Entertainer werden sollten, um sich versammelte, um ihnen ihre Ration Talent zu geben… Michael jackson muß sich zweimal angestellt haben…“, wie sich ein Freund von mir einmal ausgedrückt hat. Seine Stimme ist ein Ventil, das alles herausläßt, was sonst unter Verschluß steht, es ist eine Stimme, die scheinbar ohne jeden Kraftaufwand in die exaltiertesten Zonen stößt.
Diese Stimme in Gespräche zu verwickeln, war nie leicht. Beim Abhören des bereits erwähnten Interviews vom vergangenen Jahr (es wurde von einer texanischen Rundfunk-Moderatorin geführt) kann man hören, wie sich Neugier und Nervosität, Unschuld und Unwohlsein in Michaels Stimme mischen, als er eine ganze Serie leerer Standard-Fragen beantwortet (Fällt es dir schwer, dich an deine Roots zu erinnern? „Nein, ich brauche ja nur in den Spiegel zu sehen oder auf meine Hände…“). Er liebt es, über seinen Privatzoo zu reden, über „Star Wars“ und Peter Pan, er legt, kleinlaut und fast ein wenig angstlich, Wert darauf, genauso normal zu sein wie die Person, deren Job es ist, ihn zum Reden zu bringen.
Natürlich ist er das nicht. Er hat einfach kein Recht, es zu sein. Sein Lebensstil wird jedem kardinalen kalifornischen Klischee gerecht von seinem schwarzen Rolls-Royce bis zu der Prominenten-Riege seiner Freunde (Diana Ross. Liza Minelli, Jane Fonda, Quincy Jones). Es ist sicherlich übertrieben zu behaupten, daß ihn sein Erfolg so isoliert hat wie etwa Elvis Presley (den einzigen Solo-Künstler, mit dem er sich noch messen lassen muß). Dazu ist Michael zu diszipliniert, dazu sind die Bindungen zu seiner Religion und zu seiner Familie zu fest. Was ihn dazu veranlaßt, weiterzumachen? „Ich könnte kein Jahr aussetzen, nicht einmal eine Woche“, sagte er bei seinem letzten Interview. „Ich hätte einfach Angst davor, nicht mehr auf dem laufenden zu sein.
Nun, momentan ist er es. Alles, was er anfaßt, wird zu Gold. Er hat eine Traumkarriere hinter sich und je weiter ihn sein Erfolg trägt, desto tiefer taucht er in seine Traumwelt hinab.
An den Ufern des Michigan-Sees, eine knappe Autostunde von Chicago entfernt, liegt Gary, seit den 50er Jahren Zentrum der Stahlindustrie des mittleren Westens. Eine Stadt, die es sich allenfalls lohnt, in Erinnerung zu behalten, weil hier Michael Jackson und Deniece Williams geboren wurden. Schon in den 60er Jahren lag hier die Arbeitslosigkeitsquote weit über dem Landesdurchschnitt, trotzdem blieb die Stadt ein bevorzugtes Ziel von schwarzen Familien aus dem Süden, die sich Chancen auf einen Job in der Schwerindustrie ausrechneten.
Michaels Vater Joseph war einer von ihnen. Er hatte schon mit 16 Jahren geheiratet und kurz darauf eine Stellung als Kranführer bei US-Steel erhalten. Ihre neun Kinder – Maureen, Jackie, Tito, Jermaine, LaToya, Marion, Michael, Randy und Janet – zogen Joe und Katherine in dem Drei-Zimmer-Heim auf, das sie sich kurz vor der Geburt ihrer Kinder leisteten: es gab an sich wenig, was den Jackson-Haushalt von anderen Großfamilien in Garys Black Community unterschied.
Michael hatte von den neun Geschwistern die schnellste Auffassungsgabe; er verstand zu imitieren, was immer er sah und hörte. Schon als Zweijähriger konnte er Jermaines Stimme täuschend echt nachahmen: später schaute er James Brown jedes choreographische Detail ab. (Etwas, das man ihm später bei Motown schnell wieder austrieb!) Vor der Strenge und Autorität von Joseph Jackson duckte sich die ganze Familie. Sieben Stunden Intonationstraining bekamen Michael, Marion, Jermaine, Tito und Jackie (die fünf, die sich unter Joes strengen Augen schließlich für eine Familienband qualifiziert hatten) täglich verordnet. Zeit, sich auf der Straße herumzudrücken, hatten die fünf sicher nicht mehr. „Die ganze Nachbarschaft lachte uns aus“, sagte mir Jermaine später einmal. „In der Schule zogen sie uns auf und unsere Freunde haben wir nach und nach verloren.“ (Damit kann er so unrecht nicht gehabt haben – auf der Cover-Rückseite seines letzten Albums sucht er seinen ehemals besten Freund per Inserat!) Die Jackson 5 – eine Nachbarin hatte sie so getauft – staubten schon um ’65 herum bei lokalen Teen-Jams und Talent-Jamborees ihre ersten Trophäen ab. Später, nachdem sich Joe einen gebrauchten VW-Bus zugelegt hatte, wurden ihre Reisen immer länger, ihre Engagements immer mehr, ihre Gagen immer höher. Ein schwarzes Publikum hat ja oft die Angewohnheit, seine Helden mit Geld zu bewerfen: vor allem Michael schnellte wie ein Pingpong-Ball hin und her, um es aufzusammeln. An manchen Abenden hatte er so viel zusammengehamstert, daß seine Hosen unter dieser Last bedrohlich tief herabrutschten.
Aber gerackert haben die Jackson 5 für ihr Geld wie niemand sonst. Oft verstaute Joe die fünf nach Schulschluß im Bus, fuhr mit ihnen nach New York, wo sie dann in Harlems Apollo-Theatre bis zu sieben (!) Auftritte hintereinander zu bewältigen hatten – morgens, gegen vier, traten sie die Rückreise an. Geschlafen wurde auf dem Rücksitz, und morgens um acht rappelte sie ihr Vater dann vor der Schule in Gary wieder wach.
Wer in den 60er Jahren bei Tamla Motown unterschrieb, brauchte einen Fürsprecher. Gewöhnlich ließ sich Berry Gordy seinen Nachwuchs, wie in einer großen Familie üblich (und Motown pries sich ja als solche), von Bekannten und Verwandten empfehlen. Vor den Jackson 5 erfuhr er zunächst von Gladys Knight. danach war es (der gleichfalls bei Motown unter Vertrag stehende) Bobby Taylor, der die Brüder zu einer von Gordys Parties nach Detroit schleppte, wo sie vor allem bei Diana Ross so gut ankamen, daß sie von nun an die Schirmherrschaft über die fünf übernahm.
Motown befand sich zu dieser Zeit – 1969 – in einem Umstrukturierungs-Prozeß. Der „klassische“ Motown-Sound (von circa 64-67) war am Auslaufen, die Produzenten des Labels rückten – geblendet von der Allmacht des Stax/Volt-Imperiums in Memphis – mächtige Bläser-Riegen in den Vordergrund, versuchten mit Bongos und exotischen Percussion-Instrumenten die starre Architektur des typischen Motown-Songs umzupolen.
Aus eben diesem Klima heraus wird verständlich, warum die Jackson 5 vom Start weg explodierten: Alles an ihnen war anders als bisher, aber eben immer noch 100 Prozent Tamla Motown: ihre Choreographie war rasanter und ungezwungener als die vorgeschriebenen Schrittkombinationen der Miracles oder Four Tops, ihre signalfarbenen. blumenbestickten Outfits eher Sly als Smokey.
Der Einstieg der Jackson 5 bei Motown war unvergleichlich „I Want You Back“ kam im November ’69 heraus, verkaufte zwei Millionen und stürzte ein paar Wochen nach Erscheinen die Beatles von Platz 1 der US-Charts.
Die Brüder folgten „I Want You Back“ mit einem glatten Hattrick weiterer Nr. 1-Singles: „ABC“, „The Love You Save“ und „I’ll BeThere“. Bei „I’ll Be There“ kam das konzentrisch angelegte Arrangier-Geschick der Motown-Corporation besonders gut heraus, jener Autoren und Produzenten-Elite um Freddie Perrin. Fonce Mizell und Hai Davis, die Motown nahezu exklusiv für die Brüder arbeiten ließ.
Die Jackson 5 waren ohne Frage Motowns letzte große Singles-Band. Die Firma dirigierte sie wohl – Hand in Hand mit einer nie zuvor dagewesenen Merchandising-Industrie (es ging bis hin zu Jackson 5-Haarspray) – auf ein Teenybopper-Publikum zu, aber von der Banalität weißer Teen-Idole (wie der sensationell untalentierten Osmonds) trennten sie Welten. Sie sahen nicht nur besser aus, sondern sie tanzten auch besser und konnten vor allem spielen, daß man selbst bei Motown ungläubig die Köpfe schüttelte.
Und niemand machte das Unternehmen so reich. Motown nutzte den Jackson 5-Boom natürlich weidlich aus. Noch 1970, jenem Jahr also, in dem die Brüder auf vier Top-Hits gekommen waren, erschien die gleiche Zahl an LPs: DIANA ROSS PRESENTS THE JACKSON 5, ABC, THE JACKSON 5 CHRISTMAS ALBUM und THIRD ALBUM. Vielleicht trug diese Reizüberflutung mit dazu bei, daß sich im folgenden Jahr jede Single etwas schlechter plazierte als die jeweils vorangegangene: und auch die drei LPs dieses Jahres – MAYBE TOMORROW, GREATEST HITS und GOIN‘ BACK TO INDIANA – erreichten die Rekordmarken ihrer Vorgänger nicht.
Bis Motown Ende 71 mit einem neuen Schachzug verlorenen Boden wieder gutmachte – mit Michael Jackson „Got To Be There“, seine erste Solo-Single, besaß einen Hauch von der melancholischen Unschuld, die den Hörer schon bei „I’ll Be There“ gefangengenommen hatte – und die bei der diskreten Brillanz des Arrangements – sanfte Strings, Glockenspiel, sacht angetupftes Spinett – erst so richtig ausging. Das GOT TO BE THERE-Album trug Michael mit „I Wanna Be Where You Are“ und „Rockin‘ Robin“ zwei weitere Hits ein und übertraf LOOKIN‘ THROUGH THE WINDOWS, die nächste Jackson 5-LP, um Längen.
Trotzdem schwoll die Jackson 5-Manie weiter an. Die Brüder waren Dauergäste in den großen US-Talkshows, hatten ihr eigenes TV-Special, Jackson 5-Comic Strips brachten höhere Einschaltquoten als Bugs Bunny, wo sie auftraten, brachen sie alle Rekorde (allein in Milwaukee zogen sie 115000 Zuschauer), Musikzeitschriften richteten ihnen ein „Fan-Forum“ ein, schwarze Illustrierte konnten sich nicht einen Monat ohne Jackson 5-Feature in den Handel trauen.
Daß die fünf von Motown wie südamerikanische Chinchillas unter Verschluß gehalten wurden, ist dabei sicher nicht ganz unverständlich. Motowns Erziehungs-Kurse (in denen man ganze Interviews mit ihnen durchspielte und ihnen beibrachte, was sie zu sagen hatten und was nicht) schienen auf Michael beträchtlich größere Auswirkungen zu haben als auf seine Brüder. Wenn er in Gary noch dafür bekannt war, bei jeder Gelegenheit laut loszuplärren, neugierig und leutselig zu sein, schien er schon bald nach dem Umzug der Familie nach Kalifornien (wo sich Joe und Katherine für eine Viertelmillion Dollar außerhalb von L.A. ihr neues Heim aus dem Boden stampfen ließen) stiller, scheuer und in sich gekehrter.
BEN, Michaels zweiter Alleingang, bot die von Jackson 5-LPs her gewohnte Mischung aus Originalen und Coverversionen (Motown-Coverversionen größtenteils, was den Vorteil hatte, daß sich die Company die Autoren-Tantiemen via ihres eigenen Publishing-Verlags, Jobete, selbst auszahlen konnte!) und schlug sich nur unwesentlich schlechter als GOT TO BE THERE.
Jackie und Jermaine hatten mit ihren ersten Solo-Sets dagegen weniger Glück; Anfang 73 kamen auch die Jackson 5 ins Schleudern. Ihr SKYWRITER-Album schaffte es nicht einmal mehr ins Spitzenfeld der Soul-Charts, trotz einer atemberaubend guten Single, „Hallelujah Day“, wo sich Michael und Jermaine, von den anderen drei frenetisch angefeuert, zu turmhohen Gospel-Chorälen hinreißen ließen. GET IT TOGETHER, der nachfolgenden LP, verdankten die Jackson 5 dann mit „Dancing Machine“ ihre letzte große Single.
Ihre Zugkraft hatte trotz „Dancing Machine“ nachgelassen – dazu kam, daß auch Motown in dieser Zeit an Boden (und an Bands – Four Tops, Gladys Knight & The Pips, Spinners) verlor. Die Soul-Symphonien aus Philadelphia begannen Motowns Monopol zu unterspülen; vor allem die Gamble & Huff-Acts die O‘ Jays. Billy Paul, Harald Melvin & The Bluenotes, Archie Bell & The Drells, die Intruders und die Three Degrees – stießen die R & B-Charts hinauf. Gemessen an deren Platten klang dann auch das nächste Jackson 5-Album DANCING MACHINE enttäuschend flach und farblos.
Keine Frage, der Stern der Brüder war am Sinken. Selbst Michael, das Musterkind der Familie, fiel mit seinem FOREVER MICHAEL-Album glatt durch. Und obwohl die fünf kurz darauf mit MOVING VIOLATION zumindest nicht um ihre Prominenz in der Soul-Kolonie bangen mußten – das bis 1973 selbstverständliche Aufrollen der Pop-Charts blieb zum wiederholten Male aus.
Im Sommer 75 zog Joe, der seine Söhne vom ersten Tag an gemanagt hatte, die logische Konsequenz und führte die Jackson 5 zu CBS. Alle fünf schienen der Motown-Praktiken eh längst überdrüssig; sie beklagten, daß sie keinerlei Einfluß auf ihr Songmaterial hatten.
Der Label-Wechsel kostete beide Seiten viel. Motown verlor seinen mit über 60 Millionen verkauften Platten – erfolgreichsten Act; die Familie verlor zunächst einmal die Rechte an ihrem Namen (den Motown nicht freigab), mußte sich also von nun an The Jacksons nennen, und … Jermaine!
Berry Gordy spielte bei Jermaines Entschluß, mit seinen Brüdern zu brechen, die tragende Rolle. Er räumte ihm alle Privilegien ein, die er den Jackson 5 vorenthalten hatte (eigene Songs, eigene Produktionen); und die Tatsache, daß Jermaine mit seiner Tochter Hazel verheiratet war, fiel – so wenig Jermaine auch davon wissen wollte – sicher ebenfalls ins Gewicht.
Für die Jacksons ging es nun mit einem Album – schlicht THE JACKSONS betitelt – weiter, das CBS nicht gerade in ihrer Prophezeiung bestätigte, „die fünf“ (für Jermaine war mittlerweile Randy nachgerückt) „so groß wie die Beatles zu machen“. Für die Produktion waren Kenny Gamble und Leon Huff herangezogen worden; und manchmal hatte man doch den Eindruck, daß die Jacksons den reifen und routinierten Philly-Arrangements zuliebe etwas von ihrer prickelnden Frische und Unbekümmertheit aufgegeben hatten.
Auch GOIN‘ PLACES. das nächste Gamble & Huff-produzierte Jacksons-Album, war kaum dazu geeignet, die Enttäuschung zu lindem. Allmählich setzte sich dann eben doch die Erkenntnis durch, daß Philly nicht für die Jacksons geschaffen war – und die Jacksons nicht für Philly.
Kaum war GOIN‘ PLACES vom Tisch, begann sich Michael auf sein nächstes Projekt zu konzentrieren den Film „The Wiz“, in dem er von Diana Ross einen Part vermittelt bekam. Als Film machte „The Wiz“ – trotz seiner verschwenderischen Staffage und einem 60 Millionen Dollar-Budget – nicht gerade Kino-Geschichte, aber dafür entschädigte einen letztendlich der dazugehörige Soundtrack, eine von Quincy Jones prachtvoll produzierte Doppel-LP.
Die Jacksons selbst hatten vor der Veröffentlichung ihres nächsten Albums eine kritische Phase durchzustehen. Schließlich hätte sich auch für CBS – das Unternehmen hatte Millionen in die Band hineingepumpt – alles andere als eine Doppel-Platin-LP, respektive zwei Riesen-Hits, gar nicht rentiert. Und genau die kam nun in Form von DESTINY (als hätten sie’s geahnt!), einem Album, das die Brüder erstmals selbst produziert und – von einer Ausnahme abgesehen – auch selbst geschrieben hatten.
DESTINY bildete eigentlich schon das Fundament für alles, was danach kam: TRIUMPH, OFF THE WALL und THRILLER. Die Platte, eingespielt mit den teuersten Studio-Cracks, bündelte alle Tricks und Tendenzen von chromgleißender Spät-70er-Superdisco und ragte hinauf in die exaltierten Sphären von Earth, Wind & Fires I AM und ALL’N ALL. „Blame It On The Boogie“ und „Shake Your Body“, die beiden Zugnummern von DESTINY, beherrschten im Frühjahr 79 jede Tanzfläche. Aber daß 1979 für die Jacksons letztendlich zum besten Jahr wurde, seit sie bei Motown debütierten, lag vor allem an OFF THE WALL, Michaels erster Solo-LP seit FOREVER MICHAEL.
Und an seinem neuen Produzenten: Quincy Jones. Quincy ist unbezahlbar. Jeder beugt sich seinen Expertisen – heute müssen sich selbst Leute wie Barbra Streisand und Frank Sinatra bei ihm in die Warteliste eintragen. Aber wenn er mit Michael zusammenarbeitet, scheinen sich die beiden wie zwei Kinder gegenseitig anzustecken. Und Quincy, der pathologische Perfektionist mit einem 35jährigen Erfahrungsschatz, wartet an sich nur, bis jede Idee gar ist, nimmt ein paar kleine Korrekturen vor, weiß instinktiv, ob er davon profitiert, wenn er wegläßt, statt dazuzuschießen.
Michael brachte die Platte vier Top 10-Singles ein (Weltrekord, jedenfalls damals noch), einen Grammy und die Genugtuung, die bestverkaufte „schwarze“ LP aller Zeiten (sieben Millionen) zustande gebracht zu haben. Danach ließ er sich die Nase verschmälern, was viel erbärmliches Presse-Gebell zur Folge hatte. Der Platz ist zu schade, um noch weiter darauf einzugehen.
Anfang ’80 waren die Jacksons dann mit ihrem TRIUMPH-Album auf dem Markt. Konzeptionell an sich der logische Nachzieher zu DESTINY, aber leider auch ein Werk, mit dem die Brüder etwas zu früh rausrückten – zu einer Zeit nämlich, in der der Rummel um OFF THE WALL noch längst nicht abgeebbt war.
Natürlich, eine Chance, OFF THE WALL einzuholen, hatte TRIUMPH keine, genausowenig wie das Jacksons Live-Doppelalbum von 1981.
Eigentlich war sich die ganze Welt einig, daß Michael Jackson mit seinem Erfolg im Zenit stand – eben bis im November ’82 THRILLER erschien. Ja, was soll ich noch schreiben? Daß sich, wenn man alle 35 Millionen verkaufte Kopien aneinanderlegt, leicht eine Kette von Frankfurt bis San Francisco bilden läßt? Daß er 1984 der Langspielplatte – die ja eigentlich für Hits und nicht für die Füller zwischen Hits gedacht war – ihren eigentlichen Zweck wiedergegeben hat? Daß sich neben seinen Einkünften die Goldreserven von Fort Knox ausnehmen wie die der Bank von Bangladesh? Sieben Top 10-Singles mit einem Album, sieben Grammies 1984, die bestverkaufte LP in der Geschichte auf Platte gepreßter Musik, die Videos, die-300000mal verkaufte – „Entstehung Der Videos“, der Eintrag ins „Guinness-Buch der Rekorde“, die Stimme, die Pirouetten, die weißen Handschuhe … BEAT IT!!!
Ulli Güldner ist Co-Autor einer Jackson Biografie, die in diesen Tagen im Rombach Verleg erscheint. Aus der Flut der Jackson-Literatur, die in den kommenden Monaten vermutlich auch den deutschen Markt überschwemmen wird, seien zwei weitere Veröffentlichungen genannt: „Das Wunder Michael Jackson“ im Drei Kronen Verlag und die deutsche Übersetzung von „Body And Soul“, der Jackson-Biografie des britischen Black Music-Experten Geoff Brown.