Das ‚Week To Remember‘ Festival in Los Angeles


Als einziger Musik-Journalist aus dem deutschsprachigen Europa besuchte ME-Redakteur Lutz Wauligmann das 'Week To Remember' Festival in Los Angeles. Eine Woche lang traten dort Abend für Abend jeweils ca. drei Gruppen bzw. Solisten auf. Neben einigen berühmten Namen wie John McLaughlin's Mahavishnu Orchestra, Loggins & Messina oder Dr. Hook & The Medicine Show stellten sich Interpreten vor, die zwar in Amerika schon bekannt, in Europa aber bislang noch vor dem erfolgreichen Durchbruch stehen. Auf diesen Seiten und in der folgenden ME berichtet Lutz exklusiv von dem nicht alltäglichen Ereignis:

It never rains in Southern Califonia

Nach einem zwölfstundigen Trip im Jumbo-Jet landete ich schliesslich auf dem Flughafen von Los Angeles. Während des Fluges hatte ich unerwarteterweise Gelegenheit, mit Mickey Finn (T.Rex) zu plauschen. Mickey flog nach L.A., um dort neue Stücke für die nächste T.Rex-LP aufzunehmen.

Die Presse-Manager von CBS-International, Mike und Marcus, hatten für den nächsten Morgen eine Beach-Party am Strand von St. Monica organisiert. Dort traf ich neben einer Anzahl dufter West-Coast-Girls die angereisten Journalisten-Kollegen aus Japan, England, Frankreich, Spanien und Luxemburg sowie den Anglo-Amerikaner Albert Hammond. Hammond ist bei uns erst kürzlich mit seinem Hit ‚It Never Rains In Southern Califonia‘ bekanntgeworden. Showbusiness-Spezialisten kennen ihn auch als vielseitigen Komponisten für andere Stars.

Treff mit McLaughlin

Nachmittags fuhr ich zusammen mit den anderen Journalisten zum Ahmanson Theatre, einer modernen Konzerthalle mitten in L.A., wo wir den, wie Kenner meinen, besten Gitarristen unserer Tage auftrieben: Den Mahavishnu John McLaughlin. Mit einem weissen Anzug bekleidet, trafen wir ihn hinter der Bühne, auf der er gerade zusammen mit dem Mahavishnu Orchestra den ‚Sound-Check‘ beendet hatte. Auf Anhieb kam McLaughlin mir vor wie ein schüchterner junger Dorfkaplan. Kein Hauch eines Superstar-Image war an ihm zu entdecken. Er begrüsste jeden von uns persönlich und erkundigte sich nach unseren Herkunftsländern. Während wir in ein ruhiges Zimmer gingen, radebrechte er ein wenig auf französisch mit den Presseleuten aus Spanien und Frankreich. Das anschliessend aufgenommene ME-Exklusiv-Interview mit dem Mahavishnu erscheint aus Platzgründen erst im folgenden Musik-Express. Jetzt sei nur soviel gesagt: John McLaughlin wird in grossem Masse von seinem indischen Guru inspiriert – so kann man sich seinen kurzen Haarschnitt, seine Bescheidenheit, aber auch seine enorme musikalische Ausdruckskraft erklären.

Loudon Wainwright III

Bevor das Mahavishnu Orchestra abends auf die Bühne kam, wurde der Sänger/Gitarrist Loudon Wainwright III angekündigt. Es ist wirklich nicht leicht, Wainwright’s humorgeladene Rock’n’Roll-Balladen zu beschreiben. Sein Auftritt erschien mir eine gelungene Mischung aus Bob Dylan, Insterburg & Co. und John Sebastian. Sich selbst beschrieb Loudon auf einem Presse-Meeting am folgenden Morgen als einen ‚aristokratischen Beatnik im post-psychedelischen Zeitalter.‘

Mahavishnu in Concert

Nach der Pause an diesem ersten Abend der Festival-Woche erhob sich der Vorhang dann endlich für das Mahavishnu-Team. Stürmischer Applaus. Als es ruhig wird, tritt McLaughlin ans Mikrofon und begrüsst das Publikum. Bewusst spricht er sehr leise und langsam, beinahe feierlich: „Ladies’n’Gentlemen, Brothers’n’Sisters, vielleicht sollten wir, um das uns erwartende Musik-Erlebnis besser aufnehmen zu können, eine Minute lang vollkommene Stille in diesen Konzertsaal eintreten lassen. Alle Musik kommt aus der Stille, ich bin sicher, ihr versteht, was ich meine…“

Langsam tritt er vom Mikrofon zurück. Im Saal hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Eine Minute. McLaughlin hatte bereits mit seiner Ansage das Publikum in seinen Bann gebracht. Ganz leise meldete sich schliesslich ein anschwellender Orgelton aus dem Nichts. Der Mahavishnu griff zu seiner speziell gefertigten Kombination aus einer sechs- und einer zwölfsaitigen E-Gitarre — dann konnte die Post abgehen. Neben dem Ex-Flock-Violinisten Jerry Goodman gehören der Pianist Jan Hammer, der Bassist Rick Laird und der Drummer Billy Cobham jr. zum Mahavishnu Orchestra.

Auf der von CBS-Columbia veranstalteten Riesen-Party nach dem Konzert konnte man neben McLaughlin unter den mehreren hundert geladenen Gästen auch Cat Stevens und George Harrison mit Frau Pattie entdecken.

Neue Soul-Stars

Am folgenden Montagabend bestand nicht nur das Publikum aus vornehmlich schwarzen Zuschauem, auch das was auf der Bühne geboten wurde, war durchweg Musik des schwarzen Amerika. Den Anfang machten die Jackson Sisters, eine in Zukunft sicher ernstzunehmende Konkurrenz für die Jackson Five. Sie sind zwar nicht verwandt mit den männlichen Jacksons, aber genau wie diese befinden sich die Jackson Sisters noch im besten Teenager-Alter. Ihre Musik ist enorm funky und wenn nicht alles täuscht, haben diese fünf Mädchen absolut das Zeug dazu, die gegenwärtig laufende Teenybopper-Welle in progressivere Bahnen zu lenken.

Unbestrittener Höhepunkt war an diesem Abend das Konzert des Jazz-Rock-Sängers Billy Paul und seiner Band. Billy Paul ist ein musikalisches Schwergewicht von der Klasse eines Curtis Mayfield. Mit seiner für den Herbst geplanten Europa-Tournee wird er sicher auch bei uns viele neue Freunde gewinnen. Bislang kennt man ihn hier ja nur von seiner Hit-Single ‚Me And Mrs. Jones‘. Ich fragte ihn während eines Interviews am folgenden Morgen, ob sein recht kommerzieller Hit ihn nicht als einen Onkel-Tom-Typen abstempeln würde. Billy Paul zeigte auf diese Frage keine Spur von Verlegenheit: „Ich bin mir darüber im Klaren, dass die Single ziemlich kommerziell geraten ist, aber ich bin froh darüber, denn ich will keine rassistische Musik nur für Schwarze machen. Auf meiner Europa-Tournee wird das Publikum bei euch schon merken, dass ich nicht von gestern bin, right?“

Jaja, so ist Billy Paul eben, selbstsicher, ein Black-Is-Beautiful-Typ, und ein Musiker, der alle Menschen, unabhängig von deren Rasse, antörnen möchte.

Bob Dylan Inkognito?

Spätestens am Dienstagabend wurde es mir so langsam klar, dass Amerikas Nachwuchs an talentierten Rock-Stars unerschöpflich ist. Da erschien ein gewisser 24 jähriger Bruce Springsteen mit seiner Band auf der Bühne des Ahmansons Theatre. Bruce am Piano. Ich dachte, na, das wird schon schiefgehen, noch so’n Amateur auf dem Elton-John-Trip. Als er schliesslich zur akustischen Gitarre griff, bekam ich eine Gänsehaut. Das ist doch nicht die Möglichkeit. Ein irrer Gedanke schoss mir durch den Kopf: Vielleicht ist das gar nicht Bruce Springsteen, vielleicht ist das Bob Dylan inkognito. Das Publikum schien genauso überrascht zu sein wie ich, schliesslich kam Bruce aus New Jersey, und das war am anderen Ende von Amerika – auch in Kalifornien musste sein Name noch so gut wie unbekannt sein. Den letzten Teil seines Auftritts bestritt Springsteen mit seiner E-Gitarre. Obwohl seine Stimme mich noch immer an Dylan erinnerte, merkte ich sehr deutlich, dass dieser unbekannte Bruce Springsteen den Weg zu seiner eigenen Musik ohne jeden Zweifel bereits gefunden hat. Sein erstes Album heisst übrigens ‚Greetings From Asbury Park‘.

Dr. Hook & The Medicine Show

Nach den zwei Superhits ‚Carry Me‘ und ‚The Cover Of The Rolling Stone‘ gibt es für Dr. Hook und seine Band kaum noch eine freie Minute. Nachmittags wurden sie nach Los Angeles eingeflogen, eine halbe Stunde nach dem abendlichen Konzert sassen sie bereits wieder im Jet, um in der gleichen Nacht ein paar hundert Meilen weiter noch ein Konzert zu geben. Der Auftritt dieser Rock ’n’Roll-Band mit Country & Western-Einschlag machte auf mich einen enorm professionellen Eindruck – das klingt vielleicht verrückt angesichts der Tatsache, dass die Show wie ein wildes Durcheinander über die Bühne ging, Dr. Hook & The Medicine Show ist eine der wenigen Gruppen, die es in Minutenschnelle schaffen, einen Konzertsaal, mag er noch so gross sein, in eine riesige Party zu verwandeln. Das Geheimrezept dieser Band ist, dass man sie weder kommerziell noch progressiv nennen kann sie ist einfach ein grosser Spass – right on!

Jam-Session

Um ehrlich zu sein, muss ich eingestehen, dass mich die letzte Gruppe an diesem Dienstagabend nicht so sehr fasziniert hat wie die beiden vorangegangenen. ‚The New Riders From Purple Sage‘ wurden zwar vom amerikanischen West-Coast-Publikum stürmisch gefeiert, aber Bluegrass-Musik ist nun mal nicht nach meinem Geschmack. Als kleine Überraschung am Rande wurden die ‚New Riders …‘ an diesem Abend von den Grateful Dead-Mitgliedern Bob Weir, Keith Godchaux und Donna Godchaux unterstützt. ‚Dead-Head‘ Jerry Garcia stand zwar hinter der Bühne, er hatte aber keinen Bock, in die Jam-Session einzusteigen.

Jazz & Blues

Mittwoch war der grosse Jazz-Tag dieses Festivals. Miles Davis liess sich für 25 Minuten auf der Bühne sehen. Als dann das Mikrofon streikte, blinzelte der grosse Meister kurz mit den Augen und verschwand auf Nimmerwiedersehen hinter den Kulissen. Die bei uns nicht so bekannten Earth, Wind & Fire sowie der Pianist Ramsey Lewis waren die weiteren Interpreten dieses Abends. Pop, Blues und Rock stand am Donnerstag auf dem Programm. Albert Hammond, über den ich bereits sprach, stellte etwa eine halbe Stunde lang seine selbstgeschriebenen und auf Popmusik getrimmten Folksongs vor.

Gefreut habe ich mich über den alten Blues-Hasen Taj Mahal, der im Anschluss daran auftrat. Mit Tönen, die er auf einer Art Zigarrenschachtel mit aufgespannten Gitarrensaiten fabrizierte, riss er das Publikum gleich zu Beginn seines Sets zu Beifallsstürmen hin. Was soll man viele Worte verlieren, ihm steckt der Blues ganz einfach in den Knochen. Einen Gospeieinschlag bekamen seine Songs, als ihn die Pointer Sisters, eine vierköpfiger Mädchen-Chor, begleitete.

Loggins & Messina

Als Publikumsmagnet erwiesen sich an diesem Abend Loggins & Messina. Sie präsentierten gekonnten und ausgefeilten Country-Rock. Mir wurde klar, dass diese Band in Amerika bereits zu den Supergroups gehört, nicht zuletzt, weil Jim Messina sich bereits mit Poco, die inzwischen aufgelöst sind, einen Namen gemacht hat. Kenny Loggins hat früher einmal Songs für die Nitty Gritty Dirt Band geschrieben. Bisher kennt man Loggins & Messina bei uns nur von ihrer Hit-Single ‚Your Mama Don’t Dance‘, aber ich bin sicher, wenn sie in naher Zukunft mal ihre erste Konzert-Tournee durch Europa unternehmen, wird man auch hier merken, dass in ihnen grössere Idole heranwachsen, als, sagen wir, Creedence Clearwater Revival es jemals gewesen sind.

Soweit mein Bericht über die ‚Week To Remember‘ in Los Angeles. Nachdem ich diese geballte Ladung Musik halbwegs verdaut hatte, machte ich mir einen freien Tag und fuhr nach Disneyland. Einen besseren Platz zum Relaxen kann man sich kaum vorstellen. 24 Stunden später sass ich bereits wieder im Jet; schliesslich wollte ich in New York noch Paul Simon (Ex-Simon & Garfunkel) interviewen. (Siehe Seite 41).