David Bowie
Die Diva schminkt sich ab. David Bowie, der mit seinen Masken und Metamorphosen Rock-Geschichte machte, distanziert sich heute von seiner bizarren Vergangenheit. Nach dem großen ME/ Sounds-Interview über den neuen, ungeschminkten Bowie im letzten Heft schildert die Special Story die Stationen einer kuriosen Karriere.
Am 8. Januar 1947 wird Bowie als David Robert Jones im Londoner Stadtteil Brixton geboren. Seine Eltern, Hayward Stanton lones und Margaret Mary Burns, äind zu der Zeit unverheiratet, heiraten aber im September des gleichen Jahres.
Davids erster musikalischer Einfluß ist sein sieben Jahre älterer Halbbruder Terry. Terry Jones ist Jazz-Fan, hört Coltrane, liest die Bücher von Jack Kerouac, Ken Kesey und Allen Ginsberg und ist ständiger Gast in Londons Jazz-Kellern.
Mit 12 Jahren bekommt David sein erstes Saxophon und stürzt sich verbissen in Jazz-Übungen, findet aber auch Gefallen am rauhen, rhythmischen Stil eines King Curtis.
Drei Jahre später spielt er bereits in der Schülerband George & The Dragons auf Schulfesten, wo sie mit einer Band namens The Little Ravens konkurrieren. Bei der Konkurrenz an der Gitarre: Peter Frampton.
Noch im gleichen Jahr – David spielt mittlerweile Saxophon in einer Jazz-Band – wird die britische Musiklandschaft von Erschütterungen heimgesucht, deren Ausgangspunkt Liverpool ist: Beatlemania. Unter Führung der Beatles ergießen sich endlose Merseysound-Gruppen gen London, verdrängen den seichten Pop aus den Charts und liefern einer ganzen Generation neues Adrenalin und Selbstbewußtsein. Resultat: David verläßt die Jazz-Band und gründet seine erste Gruppe, The King Bees.
Bowie: „Meine Teenager-Jahr e verbrachte ich ausschließlich iamil, Masken zu probieren und Rollen zu wechseln. Im einen Moment war ich Musiker und Künstler, im anderen der Mod, der demonstrieren wollte, etwas Besonderes zu sein.“
Die King Bees spielen sechs Monate lang unentdeckt in Clubs, doch gelingt es David, den lokalen Impresario Les Conn an seiner Band zu interessieren, der wiederum den Kontakt zu Decca herstellt und die britische Traditionsfirma überreden kann, sine Single zu produzieren. Die King Bees spielen eine stark am R&B orientierte Beat-Version, und Decca sieht keinen Grund, warum diese Band nicht die zweiten Stones werden sollten.
Im Juni 1964 erscheint die Single „Liza Jane“, die Stones-Ähnlichkeiten aufweist, aber kein Hit wird. David bläst ein heißes Sax, doch sein Gesang wirkt unsicher. Decca verliert das Interesse – and auch die King Bees werfen enttäuscht, das Handtuch.
Doch David Jones profitiert von dieser Erfahrung. Einmal in Kontakt mit der Musik- und Medien-Szene, läßt er sich fortan von einem professionellen Manager betreuen. So gibt es schon im März 1965 eine neue Band und eine neue Single.
Die Gruppe nennt sich The Manish Boys und spielt nach wie vor R&B, doch interessiert sich David nun mehr für den von Georgie Farne oder Zoot Money vertretenen, orgelbetonten Sound. „I Pity The Fool“ ist die Coverversion eines Songs, der durch Bobby „Blue“ Bland bekannt geworden war.
Die B-Seite „Take My Tip“ markiert Davids Debüt als Songwriter, wobei allerdings anzumerken ist, daß der Song stark von Georgie Farne inspiriert ist.
Doch auch The Manish Boys erweisen sich als kurzlebig und bringen es neben einer Flop-Single nur auf einige Auftritte im Vorprogramm populärer Acts wie Gene Pitney, Gerry & The Pacemakers oder den Kinks.
Waren Davids erste Versuche als Pop-Star noch wenig profiliert, so scheinen die Sterne seiner neuen Formation von Anfang an besser zu stehen: Als Davy Jones & The Lower Third präsentiert sich David als zorniger Mod zu einer Musik, die er selbst so beschreibt: „Zunächst einmal waren wir viel zu laut Wir arbeiteten mit Feedback und Sounds und spielten praktisch keine Melodien. Unsere Fans waren eingeschworene Londoner Mods, aber wenn wir außerhalb Londons spielten, wurden wir von der Bühne gejagt“
Davids damaliger Manager Ralph Horton, ein ehemaliger Moody-Blues-Roadie, besorgt der Band ein allsonntägliches Gastspiel im Marquee Club, das von dem Piratensender Radio London gesponsert und gesendet wird. Hauptprogramm an diesen Tagen waren The High Numbers, die sich gerade in The Who umbenannten.
Davids Gruppe, die neben ihm aus Dennis „T-Cup“ Taylor (g), Graham Rivens (b) und Phil Lancaster (dr) besteht, wohnt in einem ausrangierten Notarztwagen, der um die Ecke des jeweiligen Clubs geparkt ist und der Band als Schlafplatz dient.
David, der sich nun Davy nennt, schreibt zwei neue Songs für eine Single, die im August 1965 erscheint. „You’ve Got A Habit Of Leaving“ ist dem Mod-Image entsprechend von den Who beeinflußt.
Doch sollten all diese vergleichsweise bescheidenen Anfangserfolge verblassen, als ein erfahrener, väterlicher Manager ach des jungen Wunderkindes annimmt: Kenneth Pitt.
Kenneth Pitt sieht David Jones zum ersten Male bei einem der Marquee-Auftritte. Pitt erweist sich bereits mit seiner ersten Amtshandlung als Profi: Während er in den USA mit Andy Warhol und den Velvet Underground über England-Projekte verhandelt, kommt ihm zu Ohren, daß eine wöchentliche Fernsehshow der Monkees bevorsteht – und daß der Sänger der Monkees ebenfalls Davy Jones heißt. Pitt ruft sofort in London an und drängt David, sich einen neuen Namen zu suchen.
Mit dem Jahr 1966 kommt ein neuer Name ins Showgeschäft David ßowie. Als Antrittsgeschenk serviert Pitt seinem Schützling einen neuen Plattenvertrag, diesmal mit Pye Records.
Bis zum Sommer 1966 erscheinen mit „Do Anything You Say“ und „I Dig Everything“ zwei Singles, die den Start von Bowies Solo-Karriere markieren, aber dennoch erfolglos bleiben. Kurz daraufplatzt auch der dritte Plattenvertrag – und Bowie findet sich desillusioniert auf Nachmittags Auftritten im Marguee, wo er vor Touristen-Publikum Songs zur akustischen Gitarre vorträgt.
Zu dieser Zeit findet Bowie mehr und mehr Interesse am Buddhismus und erklärt m einem Interview mit dem Melody Maker „Soweit es mich betrifft, halte ich die ganze Idee des ,westlife‘ für falsch. Ich schreibe meine Songs über die Menschen in London und ihren Mangel an wirklichem Leben. Die Mehrheit weiß doch gar nicht, was Leben ist.“
Glanzpunkt von Bowies Bühnen-Repertoire ist tatsächlich ein Song, der diesem Anspruch gerecht wurde: „London Boys“, Bowies bis dato eindeutig bestes Werk, das allerdings erst im Dezember 1966 auf den Markt kommt. Das junge Label des Produzenten Denny Cordell, Deram Records, gab dem allseits geschaßten Bowie eine neue Chance.
Als A-Seite von Bowies erster Deram-Single bestimmt die Firma allerdings „Rubber Band“, einen Lovesong, dem die größeren Chancen eingeräumt werden. Das Ende des Jahres verbringt Bowie mit der Arbeit an neuem Material für seine erste LP, deren Aufnahmen m fünf Tagen abgeschlossen sind.
Während 1967 sein erstes Album und die Single „The Laughing Gnome“ erscheinen, vertieft Bowie seine Buddhismus-Studien; anfangs in einem Kloster in Schottland (wo er nach zwei Wochen wieder abreisen muß, da er sich weigert, heilige Order entgegenzunehmen und sich den Kopf scheren zu lassen), später bei einem Mönch im Londoner Nobel-Stadtteil Hampstead.
Bowie scheint zu diesem Zeitpunkt das Interesse an (seiner) Musik zu verlieren und widmet sich neben seinen Studien einer Tanzausbildung im Floral Street Dance Center, das Lindsay Kemp leitet. Dort trifft er seine erste große Liebe, die Ballett-Tänzerin Hermione Farthingale, mit der er ein Jahr lang eine Wohnung in South Kensington teilt.
Lindsay Kemp ist schon damals ein berühmter Pantomime, und Bowies Zusammentreffen mit ihm steht von Anfang an unter einem guten Stern. Bowie besucht einen von Kemps Solo-Auftritten und ist geschmeichelt, als seine LP in der Pause läuft.
Bowie: „Das Zusammensein mit ihm hat mir ungeheuer viel gebracht. Lindsay führte mich zu Cocteau, zum absurden Theater, Antonin Artaud, der ganzen Idee, den Erwartungen der Leute bewußt nicht zu entsprechen entweder als Schockeffekt oder als erzieherische Kraft.
Durch ihn wurde mir klar, daß man mit der Kunst experimentieren und Risiken auf sich nehmen kann, die man im wirklichen Leben nicht auf sich nehmen würde. So kann man sie als Versuchsfeld für neue Lebensstile benutzen, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen.“
Lindsay Kemp wiederum ist von Bowie beeindruckt; man einigt sich auf eine Tausch-Basis: Bowie schreibt Material für Lindsays Shows und erhält dafür freien Unterricht.
Bowie wirkt zu dieser Zeit auch erstmals in einem Kurz-Film mit, einem mystisch-blutigen Künstlerdrama namens „The Image“, das sich einige Jahre später in einem Porno-Shop von Soho zwischen Sexfilmen wiederfindet.
Musikalisch ist David Bowie 1967 hauptsächlich von dem Musical-Komponisten Anthony Newley sowie Bob Dylan beeinflußt, deren übertriebenen, immer leicht zynischen Vortragsstil er imitiert.
Deram konzentriert sich derweil auf das (vermeintlich) bessere Pferd im Stall, nämlich Cat Stevens. So wird Bowies erste LP wieder nichts und landet schnell in der Grabbelkiste.
Bowies Manager Kenneth Pitt, der die Aktivitäten seines Zöglings mit Beunruhigung verfolgt, finanziert einen Film mit Davids Songs, der „Love You Till Tuesday“ heißt und fürs Fernsehen bestimmt ist.
Doch mit seiner unorthodoxen Kameraführung und den avantgardistischen Darbietungen von Feathers – der Tanzgruppe, die David mit seiner Freundin Hermione und John Hutchinson zusammengestellt hatte – ist der Film den Fernsehstationen einfach zu ausgeflippt.
Trotz des Mißerfolgs ist der Film letztlich ein Glücksgriff, denn Bowie hat einige Songs, die über den Film hinausweisen. Einer davon – inspiriert von Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltall“ – wird im Sommer 1969 Bowies erster großer Hit: „Space Oddity“.
David selbst scheint zum erstenmal völlig begeistert von einem seiner Songs und spielt das Demo-Band sämtlichen Freunden vor, mit denen er in Beckenham das „Arts Lab“ ms Leben gerufen hat. Auch Marc Bolan und Tyrannosaurus Rex gehören fortan zum engen Freundeskreis Bowies.
„Bolan hatte enormen Einfluß auf David. Sie haben viel zusammen gespielt und Nacht für Nach t über Musik diskutiert. David hielt Bolan auf dem Gebiet der Pop-Musik für eine echte Autorität.“
So der etwas eifersüchtige Kommentar Kenneth Pitts, von dem sich Bowie kurze Zeit später trennen sollte.
Dank des hervorragenden Demos gelingt es Pitt noch einmal, Bowie einen neuen Plattenvertrag – diesmal bei Philips – zu besorgen. Im Juli 1969 erscheint „Space Oddity“ und bringt es bei einer Höchstnotierung von Platz 5 auf 13 Chart-Wochen. Produziert von Gus Dudgeon und phantastisch arrangiert von Paul Buckmaster ist der Song bis heute ein Klassiker geblieben.
Für Bowie ist „Space Oddity“ der Versuch, eine philosophischuniverselle Weltsicht auszudrücken: „Am Ende des Songs ist Major Tom völlig empfindungslos, ohne Bewußtsein. Er gibt das Denken völlig auf. Sem Geist ist völlig aufgelöst. Er geht im All auf.“
Aber trotz dieses langersehnten Erfolges endet das Jahr 1969 für Bowie wenig erfreulich; Sein Vater, der David jederzeit unterstützt hatte, wird schwer krank, während David auf zwei Festivals im Mittelmeerraum weilt, und stirbt kurze Zeit später.
So zieht sich Bowie erst einmal zurück und versteckt sich mit seiner neuen Freundin Angie Barnett, die er auf einer King Crimson-Party im Speakeasy kennengelernt hat, in einer Wohnung in der Southend Road, Beckenham, wo er mit ihr die nächsten vier Jahre leben wird.
Während David nicht allzu geneigt scheint, den Erfolg von „Space Oddity“ auszubauen, ist es seine neue Plattenfirma um so mehr: Mit Produzent Tony Visconti, neben Bolan der wohl engste Freund Bowies, schickt Philips ihren angehenden Star ins Studio, um ein Album aufzunehmen. Unter dem Titel DAVID BOWIE erscheint das Album noch im November ’69. Zu dieser Zeit trägt Bowie noch längliche, gelockte Haare, Jeans, T-Shirt und Hippie-Schmuck – und erinnert an eine Kreuzung aus Dylan, Bolan und einem Jungritter an Artus 1 Hof.
Nach der Trennung von seinem langjährigen Manager ist Bowies erster unabhängiger Schritt die Gründung einer Gruppe namens Hype. Dabei sind Marc Bolan, Drummer Woody Woodmansey, Tony Visconti am Baß und ein Neuling namens Mick Ronson, der noch bei den Rats Gitarre spielt. Die Band gibt einige Konzerte, doch bleibt die Single „The Prettiest Star“ die einzige Aufnahme der kurzlebigen Supergruppe.
Am 20. März 1970 heiratet Bowie Angela Mary Barnett. Die Zeremonie findet im engsten Kreise statt; nach ihrer Beendigung zieht man nach Hause, schaut Fernsehen und raucht Hasch.
1970 gibt David so gut wie keine Auftritte und konzentriert sich auf die Vorbereitungen eines neuen Albums und die Suche nach einem neuen Manager.
Als THE MAN WHO SOLD THE WORLD fertiggestellt ist, trifft David Bowie auf Tony De Fries, den Mann, der ihn zum Superstar machen wird. Die Aufnahmen zu THE MAN WHO SOLD THE WORLD hatten Bowie an den Rand des Ruins getrieben; das Album ist für ihn eine Do-Or-Die-Affäre. Die LP ist in jeder Hinsicht ein massiver Fingerzeig auf Dinge, die noch kommen sollten. Das Original-Cover (heute als „Dress“- oder „Drag“-Cover bekannt) zeigt Bowie in eigens für ihn entworfener, stark femininer Kleidung, ausgestreckt auf einem blauen Chaiselongue Mercury USA, das Label, das Bowie in den Staaten berühmt machen will, besteht auf einer Änderung und bringt die LP mit dem Cowboy-Cartoon-Cover des alten Bowie-Freundes George Underwood heraus. Obwohl die LP in England später doch noch im Original-Cover erscheint, will Bowie mit dieser Firma nichts mehr zu tun haben.
In Tony De Fries (und seiner Mainman-Organisation) hat Bowie einen Manager gefunden, mit dem seine Ideen weitgehend übereinstimmen. Bowie schickt De Fries auf die Suche nach einem neuen Plattenvertrag und stellt derweil seine neue Band zusammen. Tony Visconti ist zu sehr damit beschäftigt, Bolan zu produzieren; und so kommt Trevor Bolder als neuer Bassist zu Mick Ronson und Woody Woodmansey, den Spiders From Mars.
De Fries, ein echter Hustler, bringt Bowie binnen kürzester Zeit bei RCA unter; der Rest des Jahres 1971 sieht die Geburt von Bowies Sohn Duncan Zowie Hayward, einige Bowie-Konzerte und Arbeit an dem Album HUNKY DORY. Als HUNKY DORY im Januar 1972 auf dem Markt ist, kommt De Fries die Erleuchtung, daß man sich als Star so zu verhalten hat, als gäbe es keinerlei Geldprobleme. Bowie erhält die umfangreichste und ausgefallenste Garderobe, die die Pop-Welt bisher gesehen hat. Mit futuristischen Kostümen und einem leuchtend orangen Haarschopf ändert sich Bowies Persönlichkeit über Nacht.
Zur gleichen Zeit bringt der Melody Maker eine Titelstory unter dem Titel „Oh you pretty thing!“, in der Bowie u. a offen über Bisexualität spricht. Ob Bowie jemals homo- oder bisexuell war, ist bis heute unklar geblieben.
Entscheidend ist jedenfalls, daß Bowie es ist. der zum richtigen Zeitpunkt ein lange im Untergrund gärendes Thema ins Gespräch bringt – ein geniales Tuning, das viele Bowie-Biographen Tony De Fries zuschreiben Auch weiß der Manager, daß es zu einem solchen Zeitpunkt am günstigsten ist den Star möglichst abzuschirmen um so die Nachfrage künstlich zu erhöhen Auch das klappt in Bowies Fall vorzüglich Mit De Fries guter Planung und dem Geld der RCA geht David Bowie mit neuer Show auf Tournee und spickt das Programm mit schreienden Farben und sexuellen Gimmicks wobei Gitarrist Mick Ronson der mit seinem Engelshaar und seinem linkischen Macho-Gehabe wie eine echte Tunte aussieht, den passenden Gegenpart zu Bowies künstlerischer Distanziertheit spielt.
ZIGGY STARDUST AND THE SPIDERS FROM MARS bringt Bowies Karriere zu ungeahnten Höhen. Von 1972 bis 1973 hat er mit „Starman“, „John I’m Only Dancing“. „The Jean Genie“ und „Drive-In Saturday“ einen Single-Hit nach dem anderen feiert sensationelle Tour-Erfolge und landet mit ALADDIN SANE seine erste Nr 1-LP Auch werden die beiden Philips-Alben DAVID BOWIE (als SPACE ODDITY) und THE MAN WHO SOLD THE WORLD bei der neuen Firma wiederveröffenlicht.
Das Bowie-Fieber geht so weit, daß jeder andere Act, für den David Bowie als Produzent oder Songwnter tätig wird, fast automatisch zu Popularität aufsteigt: Lou Reed mit seiner LP TRANSFORMER Iggy & The Stooges RAW POWER und besonders augenfällig Mott the Hoople’s ALL THE YOUNG DU-DES, wo Bowie einer absterbenden Band buchstäblich wieder Leben einhaucht.
Am Schluß der darauffolgenden England-Tour, am 4. Juli 1973, tritt Ziggy Stardust vor den Fans im Londoner Hammersmith Odeon öffentlich zurück „Of all the shows on the tour this one will remain with us the longest because not only is it the last show of the tour but it’s the last show we’ll ever do „
Im Oktober 1973 erscheint noch das Album PIN-UPS, das Bowie in der entspannten Atmosphäre des Chateau D’Herouville aufnimmt und das einen ausgeruhten Bowie zeigt, der seine Lieblingssongs aus den Sechzigern covert.
1974, nach PIN-UPS die mit größter Spannung erwartete „echte“ neue Bowie-LP „Die Platte hat ein Thema Sie ist ein Rückblick auf die 60er und die 70er und sehr politisch. Mein Protest… Das Album ist mehr von nur als alles vorherige. „
Die Vorab-Single „Rebel Rebel“ wird sofort ein Hit, doch das Album erhält gemischte Reaktionen Bowie hatte DIAMOND DOGS zunächst als 1974-Konzeptalbum geplant, doch bleibt dieses Konzept bei der Schnelllebigkeit von Bowies Ideen ein Torso Unterm Strich bleiben einige Horrorvisionen, eine Reihe schneller, rauher Rock-Nummern und die Gewißheit, daß Bowie auch ohne feste Band arbeiten kann Tony De Fries ist mit Bowies Auftritts-Stop überhaupt nicht einverstanden, da besonders in Amerika noch lange nicht alles erreicht zu sein scheint Nach einigen harten Geschäftsgesprächen ist Bowie überredet, eine Mammut-Tournee durch die Staaten zu unternehmen, die unter dem Banner „The Diamond Dogs Tour“ läuft Hinsichtlich der Brillianz der Show und der Klasse des Materials ein künstlerischer Erfolg sondergleichen, auch wenn Bowie auf dem Cover der in Philadelphia mitgeschnittenen DA-VID-LIVE-Doppel-LP aussieht wie Irisch aus dem Sarg. Bowie:
„So habe ich mich gefühlt. Die Platte hätte eigentlich den Titel tragen sollen: David Bowie is alive and well and living only in theory.“
Bowie lebt nun schon einige Zeit in den Staaten, und die vagen Soul-Ansätze auf DAVID LIVE finden ihre Weiterentwicklung in seinem „Blue-eyed-Soul“-Album. YOUNG AMERICANS spielt auf fast überkokette Weise mit den Klischees der amerikanischen Soul-Factory Philadelphia. Das Album klingt formal perfekt, doch gleichzeitig völlig kalt und entfremdet.
Während der letzten Sessions in New York trifft Bowie John Lennon, der einige Gitarrentracks beisteuert. Beide zusammen spielen eine neue Version des Beatles-Songs „Across The Universe“ ein, und Lennon rät dem Star angesichts dessen äußerst schlechter Verfassung, sich von De Fries‘ Management freizumachen.
Bowie befolgt diesen Rat, muß aber mitansehen, wie De Fries die Rockszene als reicher Mann verläßt. YOUNG AMERICANS trägt als letztes Bowie-Album das Mainman-Logo, die Mainman-Büros in New York und London werden geschlossen, die Welteroberungs-Pläne von De Fries Organisation sind gestoppt.
Zu dieser Zeit hat sich der Presserummel um Ziggy Stardust und dessen spektakuläres Ende fast völlig verzogen; geblieben ist der selbstsichere Künstler David Bowie, der sich von nun an aufsein ureigenes Talent verläßt. Zwar leistet er sich gleich zu Beginn dieser Phase einen fauxpas, als er anfängt, öffentlich über die Ästhetik des Faschismus nachzudenken – und wird prompt aufgrund seiner ultrakühlen Erscheinung als Sympathisant verdächtigt.
Im Januar 1976 liefert Bowiemit STATION TO STATION ein geniales Album, das alle seine Kritiker mit einem Schlag verstummen läßt. Eindeutig inspiriert von seiner gerade abgeschlossenen Fümarbeit an „Der Mann, der vom Himmel fiel“ (Regie: Nicolas Roeg) präsentiert sich Bowie als zeitloser Sciencefiction-Star.
Die anschließende Welttournee bringt Bowie zum ersten Mal nach Deutschland, wo er eine überzeugende Show als Thin White Duke, dem Thomas Jerome Newton aus „Der Mann, der vom Himmel fiel“, auf die Bühne bringt.
Als Bowie im Mai 76 nach London zurückkehrt, kommt er gerade recht zur Punk-Revolution. Doch es sollte ihn nach Berlin weiterziehen, denn frustriert vom US-Rock, Kokain und Los Angeles hatte David sich in Brian Eno’s ANOTHER GREEN WORLD verliebt und somit europäisch-intellektuelle Klänge wiederentdeckt.
Bowie bezieht überraschend eine Wohnung im Berliner Stadtteil Neukölln, einem Sanierungsgebiet mit überwiegend türkischer Bevölkerung.
Gemeinsam mit seinem alten Freund Iggy Pop zieht Bowie im Glück der Anonymität durch Berliner Straßen, Puffs und Kneipen und verarbeitet die kulturellen Eindrücke für das Album LOW, das im Januar 77 erscheint.
Zur gleichen Zeit produziert Bowie die Comeback-LP von „The Ig“: THE IDIOT zeigt Iggy Pop weitgehend auf Bowie-Kurs und bringt mit „The Passenger“ ebenfalls einen Hit. Auf Iggys anschließender England-Tour sitzt Bowie im Hintergrund an den Keyboards, singt aber nur wenige backmg vocals Im Oktober 1977 erscheint bereits eine neue Bowie-LP; ihr Titelsong „Heroes“ dürfte Bowie zu dem gemacht haben, was er heute ist. eine Kategorie für sich. So kann seine Firma vor Englands Punk-bewußter Öffentlichkeit gefahrlos mit dem Spruch „There’s Old Wave, there’s New Wave. and there’s David Bowie!“
werben.
Bowie wohnt der Beerdigung bei und fliegt darauf in die Staaten, um in der Weihnachts-Show des amerikanischen Schnulzenkönigs Bing Crosby aufzutreten. Ein makabrer Zufall will es, daß Crosby. noch bevor die Show gesendet wird, ebenfalls verstirbt.
Seit HEROES gehört Bowie zum festen Kern des internationalen Musik- und Medien-Jet-Sets. Den Eintritt in das Video-Zeitalter schafft er wie gewohnt ohne jedes Problem, und böse Zungen behaupten gar, er würde überhaupt nur noch Songs schreiben, um die entsprechende Musik für seine Video-Ideen zu haben. Seme Alben LODGER (1979) und SCARY MONSTERS (1980) bringen eine Reihe von Hits, die ihren Erfolg auch der glänzenden Umsetzung in das neue Medium verdanken.
Bowies so verheißungsvoll gestartete Filmkarriere war durch den Ausrutscher „Schöner Gigolo, Armer Gigolo“ ins Stocken geraten; so konzentriert er sich zunächst auf-die Video-Kamera die Clips von „Ashes To Ashes“ oder „Let’s Dance“ sind das überzeugende Ergebnis semer Video-Kunst. Seine schauspielerische Leistung in den jüngs’ten Filmen „Hunger“ und „Merry Christmas. Mr. Lawrence“ allerdings dürften ihm auch in diesem Metier alle Türen offenhalten.
War Bowie bei Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit schon auf „Major Tom“ gestoßen, den er in „Ashes“ Wiederaufleben ließ, so war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er auch wieder auf den Rhythm & Blues stoßen würde. Sein enges Verhältnis zu dieser Musik zieht sich von den King Bees über die Spiders zu „Jean Genie“, PIN-UPS und „Rebel Rebel“, hinzu kommt YOUNG AMERICANS als „schwarzes“ Element.
Was die von Bowie hervorgehobene Spontaneität und Urwüchsigkeit des R&B angeht (s.ME/Sounds-Interview 6/83), so sei ein New Yorker Studiomusiker zitiert, der berichtet, daß David seine Platten bewußt in aller Schnelle mit dem dazugehörigen Risiko einzuspielen schien, selbst die strengen, intellektuellen Werke im Stile von LOW. Bowies Fähigkeit, spontan und direkt mit Musikern und Musikstilen in Kontakt zu treten, ist kennzeichnend für seinen gesamten künstlerischen Ansatz für seine Spontaneität, für seine Risikofreude, für seine Unberechenbarkeit.