„Deine Homegirls“: Ein Interview-Podcast über HipHop und die großen Sinnfragen
Die HipHop-Expertinnen Josi Miller und Helen Fares liefern in ihren über 100 Podcast-Folgen zeitgemäße Künstler*innen-Gespräche über Selbstakzeptanz, Sozialisierung und Rassismus.
Wieso ist Credibil der Hoffnungsträger des deutschen Rap? Wie kommt die Antilopen Gang auf ihre Reime? Wie bleiben sie individuell? Warum vertont eine Popsängerin einen Rammstein-Song? Und wie unangenehm ist eigentlich Tschernobyl-Tourismus auf Instagram? Die zwei Podcasterinnen Helen Fares und Josi Miller werfen jeden Sonntag einen kritischen Blick auf das Treiben im HipHop-Kosmos und noch weit darüber hinaus. Im Dialog mit Künstler*innen umkreisen sie in „Deine Homegirls“ alles, was die Szene bewegt, rührt und erschüttert – vom Feminismus bis hin zur Depression. Während die Journalistin und studierte Psychologie-Expertin Helen in ihrem eigenen Videocast auf das Seelenwohl der Fans achtgibt, hat sich Josi Miller längst als HipHop-DJ in die Herzen zahlreicher Hörer*innen gescratcht. Vor diesen Hintergründen gelingt es den Frauen gemeinsam eine Brücke zwischen frenetischem Abfeiern unserer Popkultur und scharfem Gesellschaftskommentar zu schlagen. Oder: ein Podcast, der vom ersten bis zum letzten Moment Flow hat.
Der Podcast geht über reine Musikpromo hinaus
Den Rhythmus des Podcasts geben aber vor allem die geladenen Musiker*innen vor, denen viel daran liegt, nicht einfach nur Selbstpromotion in dem Format zu abzufrühstücken. Mal ist da Rapper Disarstar, der in seiner Utopie Geld komplett abschaffen will, mal berichtet Sängerin Joy Denalane über Alltagsrassismus am Bahnsteig. Viele der Podcastgäste reden über das Leben außerhalb ihres Berufs – wenn es dieses denn überhaupt gibt. In Jubiläumsfolge 100 kommt zum Beispiel im Gespräch mit Fynn Kliemann heraus, das er zwischen Musikmachen, Doku und Bauprojekt auch noch Zeit findet, Corona-Masken in gigantischer Stückzahl zu basteln. Schön sind hier die Einblicke in die verrückte Welt des Alleskönners. Im Gedächtnis bleibt dann aber die Frage, inwiefern Kliemanns Arbeitswut mit dem Pflegen sozialer Kontakte in der physischen Welt vereinbar sind? In Zeiten, in denen uns alle möglichen Social-Media-Kanäle mit dem aufpolierten Alltag Medienprominenter konfrontieren, lässt einen Kliemanns Antwort grübelnd zurück: „Ich habe gerade keine Kumpels, mit denen ich herumhänge. Ich habe keine Freizeit. Ich habe niemanden in meinem Kosmos, mit dem ich viel Zeit verbringe, der nicht mit mir zusammen an irgendwas arbeitet.“
Gewissenhafter Backgroundcheck, der unterhaltsam ist
Zuhörer*innen finden bei „Deine Homegirls“ ein Sammelsurium an Hintergrundinfos zu den vorgestellten Artists. Um das spannend zu finden, muss man nicht mal HipHop mögen. Im lockeren Sprech lassen Josi und Helen auch immer wieder persönliche Erzählungen in die Geschichten der Gäste einfließen, sodass sich jeder gut informiert und top unterhalten fühlt.
Haltung statt Zeigefinger
Trotz klarer Haltung (so würden die Homegirls laut eigener Aussage nie Rapper Gzuz, der zuletzt vor allem mit Frauenverachtung und Gewaltfantasien um sich geschmissen hat, einladen), ist der Podcast nie belehrend. Gerade weil die Hosts auf den erhobenen Zeigefinger verzichten, bekommen die Folgen über Identität und soziale Ungleichheit eine ungewohnte Wirkung: man hört endlich mal zu. In Zeiten, in denen HipHop ein leider gern genutztes Ventil für Sexismus und Rassismus bleibt, braucht es genau so einen Podcast, der es schafft, alle einzubinden.
Eine neue Folge von „Deine Homegirls“ erscheint jeden Sonntag. 100 Folgen gibt es schon. Für die einzelnen Episoden solltet Ihr im Schnitt etwa eine Stunde und zehn Minuten einplanen.