Der aus dem Rahmen fällt
Mit echt kalifornischem Freigeist und der nässenden Parole zur Zeit hat Beck sich in alle Charts gemogelt. Für den "Loser" hat er nur noch ein Siegerlächeln übrig
So sehen also Leute aus, vor denen Eltern heute wahrscheinlich ihre Kinder warnen. Ein milchgesichtiges blondes Bübchen im Polyester T-Shirt, das mithin Mühe hat, im Supermarkt ohne Personalausweis seine tägliche Bierration zu erwerben, ist Amerikas jüngster Held aus dem Untergrund.
Dabei ist Beck Hansen nicht so jung, wie er aussieht. Im Alter von 23 hat sich der Kalifornier unter die ersten fünfzehn der amerikanischen Billboard-Charts gemogelt. Mit einem Song, dessen Text für sich selbst spricht: „I’m a loser baby, so why don’t you kill me.“
Eine Textzeile, die sich kein Marketingprofi, kein Werbetexter besser hätte ausdenken können. Eine Hymne für Amerikas derzeit liebstes Phänomen, die viel beschriebene Generation X. Für Bürger in den Zwanzigern, für eine Generation, die ohne Krieg aufgewachsen ist, dafür aber den technischen Fortschritt von der Papierwindel bis zum Cybersex verarbeiten durfte. Für Leute, die an der heutigen Gesellschaft zweifeln, an sich selber verzweifeln und konsequenterweise lieber rumhängen als zu arbeiten. Amerika hat ein schönes Wort für sie gefunden: „Slacker“, und Beck kommt regelmäßig sein Frühstücksmüsli wieder hoch, wenn ihn ein origineller Schreiber als deren Sprachrohr entdeckt: „Ich war nie einer von diesen Durchhängern. Ich habe immer versucht, genug Geld zu verdienen, um davon leben zu können, um zu essen und meine Miete zu bezahlen. Und das war nicht immer leicht für mich. Diese ganze Slacker-Scheiße ist für Leute, die es sich leisten können, deprimiert zu sein. Ich hatte nie die Zeit oder das Geld, mich hängen zu lassen.“
Jetzt hat er das Geld. Und die ersten Dollar, die ihm der überraschende Plattenerfolg der Single „I’m a Loser“ und seines Debüt-Albums „Mellow Gold“ einbrachte, hat er sofort sinnvoll investiert: Er hat seine Frühstücksflocken-Sammlung erweitert. Ansonsten, so Beck, habe sich an seinem Lebensstandard nichts verändert. Ruhm und Reichtum, so soll es scheinen, bedeuten ihm nichts. Mit dieser Ideologie und vor allem seinem Werdegang paßt Beck geradezu märchenhaft in den Zeitgeist eben jener Generation, deren Held er nun partout nicht sein will.
Der Legende nach verbrachte Beck Hansen seine Kindheit (solange es anatomisch möglich war) im Rucksack seines Vaters. Selbiger war Strassenmusiker und sorgte so ganz offensichtlich für die frühe musikalische Prägung des Kleinen. Aber natürlich verließ auch dieser unstete Papi seine Familie vergleichsweise frühzeitig (siehe Eddie Vedder, Kurt Cobain). Beck wuchs wechselweise bei seiner Mutter Bibi auf, einer ehemaligen Szene-Frau aus dem Warhol-Umfeld, die ihn und seinen Halbbruder mit einem Bürojob durchbrachte, oder er wurde in Kansas von seinen Großeltern väterlicherseits versorgt, einem presbyterianischen Priesterpaar.
Bei seiner Mutter, die zu Punk-Zeiten in L.A. obdachlose Aussteiger aufnahm [„Punk war das Beste, was ich seit Jahren gehört hatte. Bei mir war für diese Jungs immer ein Erdnußbutter-Sandwich und eine Couch übrig“) genoß Beck den Freisinn des 68er Geistes. Bei seinen Großeltern dagegen unterzog er sich einer strengen religiösen Erziehung, untermalt von sakralen Gesängen. „Die Musik, die ich dort hörte, die Hymnen und Choräle, haben mich sehr geprägt, zumindest unterbewußt. Vor allem ihre seltsamen Texte.“
Doch es waren wohl mehr die kreativen Pausen bei seinem Großvater mütterlicherseits, die Becks Werdegang beenflußten. AI Hansen ist CollagenKünstler in Köln und war in den Sechzigern Teil der Künstlergruppe Fluxus, der damals auch Joseph Beuys angehörte. „Er sammelt Zigarettenkippen und klebt sie zusammen, macht Bilder von nackten Frauen und sprüht das Ganze dann in Silber. Er verarbeitet Müll zu Kunst. Ich denke, so ähnlich mache ich das auch.“
Unsinn mit: Melodie und Methode
Die schärfsten Kritiker von Becks ungeheuerlicher Musikmischung aus Folk, Hip Hop, Noise und Experimental-Trash sind der Ansicht, bei seiner Art der Müllverwertung käme letztendlich nichts anderes heraus als das Anfangsprodukt. Doch die verächtlichen Stimmen über den Westküsten Hipster kommen, wie Beck-Fan und -Freund Mike D. (Beastie Boys) bemerkt, fast ausschließlich von der Ostküste des amerikanischen Kontinents: „…weil die New Yorker ganz einfach sauer sind, daß sie Beck damals nicht selbst entdeckt haben.“ Damals, daß war vor fünf Jahren, als ein
jugendlicher Beck, der erst mit sechzehn begonnen hatte, Gitarre zu spielen, sich mit derselben auf den Weg nach New York machte. „Richtig klassisch, mit der Klampfe unterm Arm Gitarre und acht Dollar in der Tasche, bin ich in den Bus gestiegen, um mein Glück zu suchen.“ Musikalisch war er da schon auf seinem Weg. Frühzeitig dem alten Blues eines Mississippi John Hurt oder auch dem Folk von Woody Guthrie verfallen, hatte Beck begonnen, seine eigenen Blues-Licks mittels mehrerer Kassettenrecorder solange übereinander aufzunehmen, bis sie sich in unkenntlichen Lärm verwandelt hatten. Wenig verwunderlich also, daß eine seiner Herzkammern für Sonic Youth und Pussy Galore schlägt.
Wenn Beck für seine verzerrten Folk-Weisen ein größeres Publikum suchte, spielte er im Park des südamerikanischen Viertels, in dem er damals mit seiner Mutter wohnte. Seine Zuhörerschaft bestand dort weitgehend aus einer feurigen Amateur-Fußballmannschaft, die dem singenden Jungen nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Besser war da schon die Idee mit dem Bus. Manchmal spielte er in fahrenden Bussen, wo er wenigstens verstörte Blicke und ein paar bösartige Beschimpfungen erntete. Ein Umzug schien vonnöten.
Doch ganz im Sinne von Becks privater Philosophie („I’m a loser“) war der junge Mann auch in New York nicht eben vom Glück verfolgt. Seine Freundin, neben der Gitarre ebenfalls mit von der Partie, war schon nach der Ankunft verschwunden. Ein Jahr lang schlug sich Beck in der Lower East Side herum, schlief auf den Sofas aller verfügbaren Freunde, hauste in besetzten Häusern, machte wenig Geld mit absurden Gelegenheitsjobs und trieb sich abends in den angestammten Clubs der New Yorker „Anti-Folk-Szene“ herum. „Dort herrschte der Punk. Und das war gut so, denn Punk war immer mein Ding. Aber ich besaß nun mal nur eine akustische Gitarre, und niemand wollte mit mir spielen.“
Dennoch war es ein Musiker aus New York, der Becks textliche Vorliebe für tiefgründigen Nonsens aktivierte. „Ich saß eines Tages vor diesem Club, und der Typ kam an und sang ein Lied über Kartoffelchips. Da wurde mir klar, daß wirklich alles eine Bedeutung haben kann.“ Im selben Club, dem „Chamäleon“, stellte Beck schließlich eigene Werke vor, die auf seiner neuen Erkenntnis fußten – und blieb erfolglos.
Letztlich trieb es ihn wieder nach Kalifornien zurück. „Ich hatte die Schnauze voll, hatte es satt, immer zu frieren und ständig verprügelt zu werden. Meine Freunde hatte ich alle aufgebraucht. Am Ende ging ich fast jedem auf die Nerven.“ Zurück in Los Angeles, schien Becks Leben zunächst keine besonders dramatische Wendung zu nehmen. Er arbeitete kurzfrstig in einem Videoverleih, freute sich über vier Dollar die Stunde und wurde irgendwann gefeuert. Er bespielte weiterhin Bänder mit eigenen Werken und gab kurze, befremdliche Vorstellungen in den Cafes der alternativen Szene. Zwischen den Auftritten anderer Künstler sprang Beck auf die Bühne (bisweilen trug er dabei eine Star Wars Maske) und gab ein bis zwei Stücke zum besten.
Auf diese Art war es beinahe unvermeidlich, daß der junge Mann Aufmerksamkeit erregte. Tom Rothrock, Rob Schnapf und Brad Lambert, die Betreiber eines kleinen Independent-Labels namens Bongload, entdeckten Beck bei einem seiner Sponti-Auftritte und boten ihm an, bei ihnen eine Platte aufzunehmen. Der Künstler, bis dahin nur als schräger Folk-Vogel bekannt, besann sich auf eine kurze Phase seiner Jugend, die er mit Breakdancing und Skateboardfahren verbracht hatte. Was zu dem Ergebnis führte, daß ihn seine wohlmeinenden Förderer mit dem HipHop-Produzenten Karl Stephenson verbandelten. Dessen Wohnzimmer schließlich wurde zum Geburtsort von Becks erster Hit-Single.
Als der angehende Star via Tonband voller Entsetzen seinen ersten Versuch hörte, einen Text zu rappen, soll er voller Scham auf die entscheidende Refrainzeile gekommen sein. Er selbst erklärt heute: „Damals war es nur ein Spaß von mir und meinen Freunden, uns gegenseitig ‚Loser‘ zu nennen. Trotzdem, daher hat der Song seinen Namen.“
Ein Jahr lang gammelte das Goldstück „I’m a Loser“ vor sich hin, bis die Bongload-Leute bei Beck anfragten, ob sie den Titel als Single veröffentlichen dürften. Sie durften. Und der spätere Millionenseller ging in einer Erstauflage von 500 Stück an den Start. Mit einem Großteil der Platten wurden alternative Radiostationen und Clubs bemustert.
Und die fingen an, die Single wie verrückt zu dudeln. Von Los Angeles aus gelang dem Loser-Lied ein Siegeszug bis hin nach Seattle. In Grunge-City führte der Song im Herbst unangefochten die Hörer-Charts des lokalen Rock-Radios an – und das, obwohl gerade die nicht nur hier lang ersehnte zweite Platte der Lokalhelden Pearl Jam erschienen war.
Das Unvermeidliche nahm seinen Lauf. Plötzlich standen Abgesandte großer Plattenfirmen vor Becks Haustür Schlange. Aber der wußte erst mal nicht, wie ihm geschah. “ Vor einem Jahr wußte ich nicht mal, daß A&-R für Artist &¿ Repertoire steht. Ich hatte immer geglaubt, AB-R-Menschen seien Leute, die für die bekannte Plattenfirma AfrM arbeiteten. Aber da lag meinerseits wohl eine Verwechslung vor.“ Wie dem auch sei: Zunächst mal lehnte Beck sämtliche Angebote ab. „Ich wollte gar keinen großen Plattenvertrag. Wozu auch? Ich war glücklich damit, kleine Bänder für meine Freunde aufzunehmen. Mehr wollte ich gar nicht.“ Am Ende aber erlag Beck doch den Verlockungen des großen Geschäfts. Nachdem ihn ein gewisser Herr Geffen, einer der einflußreichsten Plattenbosse überhaupt, höchstpersönlich umworben hatte, gab Beck nach – und erhielt einen für Newcomer ungewöhnlich großzügigen Vertrag. So darf er neben seinen Arbeiten für Geffen Records uneingeschränkt Material auf beliebigen Independent-Labels veröffentlichen. Noch in diesem Jahr sollen bei den Indie-Firmen Flipside und K-Records Alben erscheinen. Beck selbst sieht’s mit Staunen: „Am Anfang dachte ich, das kann doch nur ein Witz sein. Um so schöner, daß es tatsächlich stimmt.“
In der Zwischenzeit versuchen Plattenkritiker rund um den Globus, „Mellow Gold“ zu beschreiben. Von einer „Mischung aus Beastie Boys, Alex Chilton und Frank Zappa“ ist da die Rede – oder gar aus „Ray Charles, Falco, Rock und Rap“. Beck, der sein Un-Sinns-Konzept mit Freude in Interviews ausbreitet, gab dem „Rolling Stone“ seine eigene Definition: „Mellow Gold ist eine satanische K-Tel Platte, die jemand im Mülleimer gefunden hat. Ein paar Leute haben sie mißbraucht, mit ihr geschlafen, sie halb runtergeschluckt und wieder ausgespuckt. Jemand hat mit ihr Poker gespielt, jemand hat versucht, sie zu rauchen. Dann gelangte die Platte nach Marokko und wurde mit Humus beschmiert. Von dort aus flog sie zu einem Wasserski-Wettbewerb, wo man mit ihr Ski fuhr und Frisbee spielte. Schließlich landete das Werk auf einem Plattenteller, wo das eigentliche K-Tel-Teil ein vollkommen neues Niveau erreichte. Es hatte dieses ganze Freedom-Rock-Ding verinnerlicht, verstehst du?“
Natürlich nicht. Doch ist es genau das, was Beck zur angenehmen Abwechslung im ach so kalkulierbaren Musikbusiness werden läßt. „Nichts macht Sinn in Becks Welt, genau das ist der Sinn,“ konstatierte die L.A. Times trocken. Und deswegen ist er eben nicht, wie andere amerikanische Medien glauben machen wollten, „die aufregendste männliche Neuentdeckung aus der Westküsten-Metropole seit Axl Rose und Perry Farrell“. O-Ton Beck: „Ich mache das nicht aus irgendeinem riesig großen, explosiven, überwältigend transzendenten Rock’n’Roll-Gefühl heraus. Mit meiner Musik sage ich nur, was ich denke. Und das kann im Grunde jeder.“
Nicht jeder allerdings betrachtet die Welt aus Becks Blickwinkel: „Die Leute haben die Schnauze voll von dem ganzen Mist – von all den CDs, all den Fernsehshows und all den Pop-Torten.“ Eine Auffassung, die Becks Klientel zu teilen scheint – und den jungen Wilden dafür liebt, daß er ohne Scham der Schlichtheit frönt. Ein Fan aus Houston/Texas: „Beck ist ein Typ, der einen Song geschrieben hat, der kompletten Unsinn transportiert. Er hat ein Video gemacht, das den Eindruck erweckt, als sei es im Hinterhof der Volkshochschule gedreht worden. Wahrscheinlich hätte er niemals damit gerechnet, daß man ihn auf MTV sehen würde. Und nun nudeln sie ihn rauf und runter, was ihm eine Menge Geld einbringt. Das ist schon ziemlich komisch.“
Derzeit ist Beck in den USA unterwegs. Im Herbst kommt er nach Deutschland. Auch hier wird er vor einem vergleichsweise großen Publikum spielen – dem größten jedenfalls, das er jemals hatte. Dennoch bleibt er stets bemüht, „kein peinlicher Rock-Star zu werden“. Aber hat denn der neue Rock’n’Roll-Lifestyle so gar keinen Spaß in sein zuvor doch eher bescheidenes Dasein gebracht? „Eigentlich doch. Als nächstes werde ich mir beispielsweise einen Toaster kaufen. Den kann ich mir jetzt leisten.“