Der Exzessor
Koks, Schnaps, Golf und Flittchen. Willkommen in der kaputten Welt des John Niven. Sein Stoff: Narzisstische Zombies, zugedröhnte Musikbosse und irre Ganoven . Ariadne von Schirach trank mit dem Autor der Bestseller „Kill Your Friends“ und „Coma“ eine Nacht in London.
Ich betrete den Members-only-Bereich des „Quo Vadis“ und sehe John Niven aufstehen. Er gibt mir die Hand, John, Äriädne, sein Gesicht ist gebräunt, er trägt einen feinen dunklen Kaschmirpullover, in dem ein weißes Hemd steckt, und glänzende dunkle Schuhe. Seine Begrüßung ist von ausgesuchter Höflichkeit, sein dunkelblondes Haar, das struppige Bärtchen, die unruhigen Hände – er hat etwas von einem freundlichen Hamster. Nur die Augen – die sind wach und klar und kalt. Wie der Martini, der uns kurze Zeit später serviert wird, er nimmt ihn gerührt, lässt eine Olive ins Glas fallen und knabbert an den beiden anderen. Neben uns spielt jemand Klavier, vor einer Vitrine mit Nippes und Totenköpfen unterhalten sich leise zwei Frauen, die Kellner lungern an der Bar herum.
Wie das ist mit dem Schreiben? Warum schreibt man wohl, ist doch immer das Gleiche, es geht darum, was es heißt ein Mensch zu sein, jetzt, in der Gegenwart. Und warum sind seine Helden derart abgefuckte Exemplare? Er zuckt mit den Schultern und erzählt, dass es kaum etwas Schwierigeres gäbe, als über einen sympathischen weißen Mann zu berichten, aber die Verkommenen, die schrieben sich fast wie von selbst. Wenn das wahr ist, müsste Steven Stelfox, narzisstischer Psychopath und Hauptfigur in Nivens zweitem Roman „Kill Your Friends“, geradezu aufs Papier gedrängt haben. Der junge A&R (Artist & Repertoire) Manager arbeitet für ein großes Label und soll musikalisches Talent entdecken, unter Vertrag nehmen und so umfassend wie möglich verwerten. Leider stehen Talent und Erfolg in vollkommen undurchsichtigen Zusammenhängen. Stelfox lässt sich bei neuen Bands von zwei simplen Kriterien leiten: Entweder die Künstler lösen eine Art Fickwunsch aus, oder er sieht brennenden Ehrgeiz in ihren Augen und die Bereitschaft, alles zu geben für Erfolg und Ruhm. Damit liegt er in einem von zehn Fällen richtig, und das macht ihn zu einem verdammt guten A&R, Meister der ungewissen Navigation. Niven beschreibt das Musikbusiness als sexistische Hölle aus Porno, Drogen und Verachtung, aufgelockert durch monatliche Konferenzen an wohltemperierten Orten. Jedes Wort wahr, sagen Insider. Das Buch wurde durch Mundpropaganda zum Bestseller.
Niven selbst hat nach dem Studium englischer Literatur in Glasgow zehn Jahre lang als A&R gearbeitet und nach seinem Ausstieg sein mittlerweile drittes Werk veröffentlicht, „Coma“, über einen Golfer mit Tourette-Syndrom. Seine letzten beiden Bücher sind zynisch, brutal und extrem komisch – kaputte Spiegel einer kaputten Welt.
Noch ein Martini. Und wie geht’s weiter, neues Buch? Sure, er ist ja gerade aus Antigua zurückgekommen, gerade gestern, good lord, sehr professionell, das erklärt die Bräune, einen Monat ist er da gewesen mit seiner Freundin, der kleinen gemeinsamen Tochter und anderen Freunden, jeden Morgen schreiben, dann Strand und Essen, er klopft auf seine Wampe, aber so kann man ja auch nicht leben, er nicht, er vermisst die Stadt, das Gefühl, in der Mitte des Geschehens zu sein, noch einen Martini, bitte.
Und das neue Buch? Ist schon halbfertig; es geht um die Wiederkehr von Jesus und die Tatsache, dass im Himmel alle bekifft sind, und vor allem möchte er damit die amerikanische Fundamentalisten schockieren. Seine Augen glänzen vor Vergnügen. Immer wieder knabbert er an einer Olive, wir sind bei unserem dritten Martini und er erzählt von der amerikanischen Filmwelt, gegen die das Musikbusiness hochmoralisch und von guten Menschen bevölkert ist; gerade hat er das Skript zu „Kill Your Friends“ beendet, sie diskutieren noch den Hauptdarsteller, was ich von diesem Robert Pattinson halte?
Nicht viel für diese Rolle, sage ich, der ist nicht slick genug, schon eher Zac Efron, aber ich glaube, der kann nicht schauspielen. Ich hätte gerne einen Engländer, sagt er, hast du „Control“ gesehen, ich nicke, ja, den, Sam Riley. We will see.
Die Musik hat aufgehört. John greift nach einer Schachtel „Marlboro Lights“ und macht eine fragende Bewegung. Ich sage ja, und dann stehen wir draußen in der Kühle und er teilt seine letzte Zigarette mit mir. Wir reden über Berlin, er hatte Spaß bei seinem letzten Besuch, White Trash, 8-mm-Bar, und dann erzählt er von dem Ramones-Museum in Mitte, dessen Betreiber ihn im kommenden April zu einer Lesung eingeladen hat. Er mag die Deutschen, vor allem ihren mangelnden Patriotismus. Und sie kaufen seine Bücher, wie verrückt, warum bloß?
Vielleicht, weil es in unserem kleinen vergreisenden Land so wenig Literatur gibt, die kulturell relevante Realität abbildet?
Ich dachte, die stehen einfach auf Gewalt und Porno?
Kann auch sein.
Auch in „Kill Your Friends“ gibt es einen Deutschen, Rudi Gertschlinger, der einen Technoclub in Hamburg hat, wo er seine durch Ausbeutung der Jugend entstanden Dance-Scheiben vor Ort testet. Musikfabrik. Im englischen Original beschreibt Niven dessen Gesicht als an einen wohlgenährten KZ-Kommandanten erinnernd, eine Rolle, die einige seiner Vorfahren wahrscheinlich eingenommen hätten. Das wurde in Deutschland zensiert, erzählt er gleichmütig, ebenso wie Stelfox Vision von „Arbeit macht frei“ über dem Glastonbury-Festval. Er spricht es genüsslich deutsch aus: „Arbeit mascht frei“. Versteh‘ einer diese Deutschen. Stelfox ist ein rassistisches antisemitisches Schwein, und das einzige, was er wirklich gerecht verteilt, ist sein Menschenhass. Für „Kill Your Friends“ ist eine Fortsetzung geplant, die soll im Fernsehen spielen mit Stelfox als Jurymitglied in einer dieser Talentshows, so ein Dieter Bohlen, nur in echt. Mit Ausbeutung, emotionaler Erpressung und der allgemeinen Lust an Demütigung, für die bei uns kaum jemand treffende Worte findet.
Doch Niven ist kein Ankläger. Er ist nur ein brillanter Beobachter der Verhältnisse. In „Kill Your Friends“ geht es ihm darum, was in einer Gesellschaft passiert, die Ambition über Talent stellt. Und in der alle berühmt werden wollen. Werteverfall, sage ich, was bleibt, wenn es nur noch Bilder gibt und solche, die abgebildet werden wollen? Er zuckt mit den Schultern, ach, Werte, das ist doch viktorianisch. Aber wie geht es weiter, wie sähe eine Lösung aus? Selber machen, sagt John bestimmt, den Vertrieb in die eigene Hand nehmen, gerade haben die Majors die Hoheit über die Distribution verloren, aber eines ist sicher: Die erholen sich irgendwann. Und die Musikindustrie im Allgemeinen? Ist die nüchtern geworden? Ich bin jedenfalls froh, dass ich dort raus bin, sagt er, und ich denke an meine Freundin A. die vor ein paar Wochenvon der MIDEM in Cannes zurück kam und von den Zombies erzählte, die nach drei durchgekoksten Nächten von großen Deals mit längst gestorbenen Musikern daherfaseln. Some things never change.
Die Musik perlt vor sich hin, während John die Rechnung bestellt, ein beachtlicher Betrag für sechs kleine Drinks. Nachdem er meinen latent schockierten Gesichtsausdruck bemerkt hat, legt er seine Kreditkarte dazu; diese exzessive Spesenverbrennung, von der „Kill Your Friends“ berichtet, ist längst vorbei, erst recht bei den Schreiberlingen. Doch auch er hat etwas zu feiern, endlich, back in the city, und vor allem: Es ist schön, großzügig zu sein.
Draußen schlägt das Herz der Stadt, und es schlägt schnell. Montagabend und die Luft brennt, Gruppen aufgetakelter Touristen hasten vorbei, Menschen drängeln sich vor einem Eingang, flirrende Lichter. Auf dem Weg zu einer nahe gelegenen Bar drückt er zwei Bettlern Kleingeld in die Hand, ich bemerke das, er will, dass ich es bemerke, an accomplished gentleman, Mr John Niven, über den sein Freund James Dean Bradfield von den Manic Street Preachers sagte, er sei ein Junge aus der Arbeiterklasse mit einer erstklassigen Ausbildung. Er ist der erste seiner Familie, der die Universität besucht hat, seine Mutter, die noch in Schottland lebt, sieht gerne Talentshows im Fernsehen, sein Vater ist schon gestorben, ein passionierter Golfer, dem Niven in seinem dritten Buch ein Denkmal setzt. Nichts ist ungesagt zwischen uns, bemerkt er über seine Familie, und als ich ihn frage, wie er seinen Sohn aus erster Ehe erziehe, sagt er, seine Eltern hätten ihm selbst alle Freiheiten gelassen. Erziehen, wozu? Es muss doch eh jeder selbst herausfinden, wo er hin möchte im Leben. Das einzige, was wirklich zählt, ist Bildung. Golf hat er seinem Sohn natürlich beigebracht, obwohl er selbst ein genauso miserabler Golfspieler ist wie der Held von „Coma“, bevor der von dem Golfball getroffen wurde.
John hält mir die Tür auf. Die Bar ist klein und voll, wir stehen an einem langen Tisch, ein schnelles Bier, der Tisch im „Bocca di Lupo“ ist schon reserviert. Gesprächsfetzen ziehen vorbei, die Wände sind bedeckt mit alten Fotos und Widmungen, es sieht französisch aus. John erzählt, dass Karl Marx mal über dem „Quo Vadis“ gewohnt hat, er selbst hat für die Zeitung „Socialism“ geschrieben, sein Herz schlägt links. Was ihn nicht davon abhält, das Geld, in das er seine Worte verwandelt, zu genießen. Er zitiert seinen Freund, den schottischen Schriftsteller Irvine Welsh, der „Trainspotting“ geschrieben hat. Welsh sei von einem Journalisten ob seiner Verbürgerlichung verspottet worden und habe erwidert, dass sei ein großes Missverständnis, er lebe eher wie ein Adliger, den Morgen mit Schreiben und Korrespondenzen verbringend, überall hinreisend, wo er nur wolle und umgeben von allem, was das Leben erträglich mache. Schöne Dinge, edle Stoffe und fantastisches Essen. La dolce vita, ihr Kretins.
Wir gehen durch die Straßen, schnellen Schrittes, John zündet sich eine weitere Zigarette an. Wusch, weggeraucht. Sein schwarzer Mantel ist exquisit geschnitten, um den Hals trägt er einen lila-blau gestreiften Schal, er gehört hierher, in die Mitte dieser Stadt.
Dort, wo es ums Geschäft geht, um Geld und Macht und die vorderen Plätze. Die sensiblen Britboys, die ihre zerwuschelten Frisuren in die Pubs von East-London tragen sind hier ebenso falsch wie die besoffenen Teenagermädchen, die in viel zu kurzen Röcken pöbelnd durch die Straßen ziehen, Soho ist Männerland; brutal und elegant durchqueren die großen Tiere ihr Revier mit mächtigen Schritten, power is sexy, you know.
Im „Bocca de Lupo“ sitzen sie dann alle und zerbeißen mit ihren Kiefern die Welt, ein Kauen und Mahlen so gewaltig und beständig wie die Gezeiten, die das alte Empire umspielen.
Das ist gerade der beste Italiener, sagt John, eine Frau führt uns zu unserem Tisch, es ist voll und riecht nach teurem Aftershave und Holz und Gesottenem. Ich bestelle Champagner, sagt er nach einem Blick auf die Karte, das geht extra, ok? Ich sage danke, gerne, ich übernehme dann den Rest, und wir blicken in die Karte, die authentisches italienisches Essen anbietet, raffiniert und minimiert. Der Champagner kommt, Bollinger, ein guter Jahrgang, wir stoßen an, auf die Worte und auf den Erfolg. Wie wäre es, wenn wir jeder drei kleine Gerichte bestellen, schlägt er vor, magst du Innerein und son Zeuch, kenn ich nicht, sage ich, und er winkt ab. Wir bestellen, und trinken und gehen ab und zu eine Zigarette rauchen, lässig das Glas in der Hand. Wusch, eine neue Zigarette weg, ein neues Glas geleert, dieser Mann ist schnell und er wird immer schneller, sein Kopf auf der Überholspur und ein Gedächtnis wie ein Elefant.
Ich bin kein Teamplayer, sagt er, war ich noch nie. Ich mag keine Menschenansammlungen, und ich mag es nicht, wenn mir jemand sagt, was ich zu tun habe. Da ist Golf natürlich ein idealer Sport, sage ich, und er nickt, ein Mann gegen den Rest der Welt, das gefällt ihm und er grinst ein wölfisches Grinsen. Man soll sich nicht täuschen. Der talentierte Mr Niven ist ein Mann mit vielen Gesichtern.
Wie ist es denn mit der Liebe, frage ich, gibt es Parallelen zwischen „Coma“, in dem der Held seine egoistische Ehefrau für eine reizende Journalistin verlässt und deinem zweiten Versuch? Er zuckt mit den Schultern, und ich frage ihn, ob er glücklich sei? „Nur Idioten sind glücklich“, sagt er. Wahrscheinlich hat er Recht.
Und was ist mit den Frauen, die allesamt furchtbar schlecht wegkommen in seinem Büchern, eine Ansammlung geschmackloser Schlampen, entweder bloßes Fickfleisch wie in „Kill Your Friends“ oder gierige Hyänen wie in „Coma“? Was macht denn seine Freundin beruflich? Die ist Rechtsanwältin, er mag intelligente Frauen. Aha, sage ich.
Das Essen kommt, beginnend mit einem kleinen Teller roher Meeresfrüchte, die im Mund schmelzen, Muscheln, fein in Butter ausgebacken, und einem von mir irrtümlicherweise bestellten Rohkostsalat, der wirkt, als hätte er sich in der Tür geirrt. Daneben blubbert grüne Sauce in einem kleinen Porzellanofen. Niven tunkt ein Stück Sellerie, schenkt nach, die Flasche ist leer, er ruft die Kellnerin und bestellt Weißwein. Wir stoßen an, schnell, eine Zigarette noch, und schneller, mehr Essen kommt, Polenta mit Parmesan, ausgebackene Foccacia mit Mascarpone und Speck, wir teilen, er schmiert mir ein letztes Stück, während seine Lippen glänzen und die Polenta zwischen seinen Kiefern verschwindet, noch ein Teller, Risotto mit Kaninchen, mehr Muscheln, der Tisch ist überladen, zuviel, zuviel, noch ein Glas, noch eine Zigarette, und die grüne Sauce blubbert weiter vor sich hin. Er sei überrascht, wenn ihn die Leute fragen, ob er Ähnlichkeiten mit Stelfox hat, immerhin ist das ein mörderischer Psychopath, der am Ende des Buches drei Menschen auf dem Gewissen hat. Manchmal werde er auch gefragt, ob er selbst irgendwelche Freunde … Nein, hat er nicht. Die Schilderungen sind einfach unglaublich realistisch, besonders diese Details wie das Geräusch eines brechenden Schädels, oder die kleine rote Zungenspitze, die sich das erste Opfer im Todeskampf abgebissen hat. Und seine Freunde und Kollegen, seien die nicht gekränkt gewesen. Ist ja schließlich nicht schmeichelhaft, das Ganze. Er verzieht den Mund und sagt, dass das Musikgeschäft eine solche Ansammlung von Narzissten sei, dass sich die Leute eigentlich alle geehrt gefühlt hätten. Und da gebe es einen Typen, der denkt, er sei das echte Vorbild von Stelfox; der habe in seinem Büro 30 Exemplare des Buches, quasi als Visitenkarte. Er schüttelt den Kopf. Kranke Welt. Und wie kommt man da wieder runter, wie schafft man den Ausstieg? Ist ja schließlich maximal glamourös das Ganze; diese entsetzliche Verfügbarkeit von Frauen und Drogen und Einfluss, also bitte: Wie wieder Mensch werden?
Ach, geht alles, er habe einfach Abstand gebraucht, um das Buch zu schreiben, nach zuwenig Zeit wäre dabei nur die übliche Sauce raus gekommen, idealistischer Mann wird korrumpiert, ihn habe es gereizt, das Ganze von innen zu schildern, von einem, der ein zynischeres Arschloch ist als alle anderen und am Ende auch noch dafür belohnt wird. Immanente Kritik, die das ruhmessüchtige Gesindel, das sie beschreibt, nur noch geiler macht auf namechecking. Der Stoff wird ihm nicht ausgehen, soviel ist gewiss, er verkauft zudem Drehbücher an Hollywood und schreibt Essays, gerade über Pornografie, für den „Inquierer“. Dabei sei ihm aufgefallen, dass ein Großteil der Kommentare unter den Videos bei YouPorn von Deutschen komme, warum das? Ich glaube, uns ist einfach langweilig, sage ich. Vor uns steht immer noch das ganze Essen, das Risotto unangetastet, ein Teller mit vorwurfsvollen Muscheln, unberührtes Leitungswasser. Lass uns noch in eine Bar gehen, sagt er, und wir bestellen die Rechung, dann stehen wir draußen in der vibrierenden Nacht, und John zieht an einer Zigarette als gelte es, die erste Luft nach einem Erstickungsanfall zu inhalieren. Er ist ja erst gestern zurückgekommen, ein Monat Familie und Karibik, ein Monat ohne Nacht.
Wir rufen ein Taxi und in einer Augenblickslaune sagt er: Lass uns ins „Trader Vic’s“ fahren, dort, wo sie die besten Mai Tais der Stadt machen, wo alles passierte, damals, als es noch so war, wie es nicht mehr ist, und eine leichte Wehmut vermischt sich mit dem Geruch von Rauch.
Das „Trader Vic’s“ ist im Tiki-Style eingerichtet, die schönen Kellnerinnen tragen hawaiianische Gewänder, die Musik ist laut. Der Mai Tai ist riesig und könnte ein Pferd töten, und als ich die ersten Schlucke von meinem getrunken habe, ist John schon fertig mit seinem, zwei neue, Verschwendungswirbel, Bewegung. Wieder geht er zur Toilette, kommt zurück, mittlerweile im Fünf-Minutentakt, vollkommen unbeeinträchtigt vom Alkohol, eine kristallklare uneinnehmbare Festung, die immer schneller rotiert.
Synchronisationsprobleme. Ich frage ihn, warum denn die Indie-Bands so verdammt schlecht wegkommen in seinem Buch, er habe ja früher selbst in einer gespielt, The Wishing Stones. Weil das die Wahrheit ist, weil so das Business läuft, und alle jungen Musiker, die nach seinen Lesungen zu ihm kämen, würden immer nicken, jaja, so isses, und in ihren Augen dieser alte Scheiß-idealismus, dass ausgerechnet man selbst es schaffen würde.
Doch er hat es geschafft, Mr John Niven, einer, der schreibt, was er will und worüber er will. Das steht ihm ausgezeichnet. Noch ein Mai Tai. Noch einer. Die Musik verschwimmt, es wird voller, die Nacht drängt herein. Irgendwann zieht er aus seiner Tasche ein paar Papiere, Bankzeug, und schreibt mir auf eine abgerissene Rückseite ein Zitat aus Warren Zevons Song „Werewolves Of London“: I saw a werewolf drinking pina coladas at Trader Vic’s and his hair was perfect.
Ich weiß, ich weiß. Ich habe ihn auch gesehen.
John Niven
Geboren 1968, im Südwesten Schottlands, ging John Niven für ein Studium der Englischen Literatur an die Glasgow University. Er spielte Gitarre in einer Band und stieg nach seinem Abschluss, Anfang der Neunziger, in die Musikbranche ein. Er arbeitete für ein kleines Dance-Label und wurde 1994 Marketing Manager bei London Records. Für sie nahm er später als A&R Bands wie Mogwai und The Pernice Brothers unter Vertrag. Coldplay lehnte er ab. Nachdem der Stress des Jobs seine Gesundheit in Mitleidenschaft zog, stieg er 2002 aus dem Musikbusiness aus und fing an, über Musik zu schreiben, für Magazine wie „FHM“ und „Q“. 2006 erschien sein erstes Buch „Music From The Big Pink“. Neben „Kill Your Friends“ und „Coma“, schrieb er Drehbücher. Niven lebt mit seiner Familie in Buckinghamshire.