Der Hit mit dem Herrgott
„Kyrie eleison —- Herr erbarme dich, auf dem Weg, den ich gehen muß …“ Jedem Sängerknaben hängen solche Zeilen irgendwann einmal zum Halse raus. Und dann kommen da plötzlich ein paar Studiocracks von der amerikanischen Westküste und intonieren engelsgleich den Himmelschor im Powerplay über die Ätherwellen der westlichen Hemisphäre. Sind Mr. MISTER wirklich so religiös, oder tun die bloß so? „Irgendeinen Gott wird’s schon geben“, meint Richard Page, Bassist, Sänger und Sprecher der kometenhaften Aufsteiger-Band, „aber deswegen muß ich doch kein orthodoxer Christ sein. Aber als Kind war ich im Kirchenchor, zu Hause in Phoenix/Arizona; mein Vater hat da dirigiert und Mutter saß an der Orgel. Jetzt halten wir diese Songidee — und erst viel später wurde uns bewußt, was wir da eigentlich von uns geben!“
Die Folgen dieser „Bewußtlosigkeit“ sind der Band selbst nicht ganz geheuer. Einerseits ist ihnen da ein ausgewachsener Überraschungseffekt gelungen —- Eucharistie meets Top Ten, andererseits pilgern dann daraufhin gewisse Leute nach ihren Gigs hinter die Bühne, um mit einer Bibel unterm Arm und glänzenden Augen von Gott und der Welt zu schwärmen. Richard: „Ich glaube, Jesus würde sich totlachen, könnte er manchen dieser Schwärmer zuschauen.“
Es hatte immerhin zehn lange Jahre gedauert, bis Richard Page dort angelangt war, wo er immer hinwollte. „Broken Wings“, als erste Single aus dem zweiten Mr. Mister-Album WELCOME TO THE REAL WORLD ausgekoppelt, schob sich ein halbes Jahr nach Veröffentlichung (!) an die Spitze der Billboard-Charts — und es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn die Refrainzeile aus der Liturgie nicht ebenso dort landet. „Wir haben immer daran geglaubt, daß wir es irgendwann mal schaffen. Aber wenn jemand wie Quincy Jones oder David Foster zur Session ruft, sagst du auch nicht ,nein‘. Nebenbei konnten wir da auch gut trainieren…“
Die große Gefahr bei diesem Sideman-Dasein läge darin, so Richard weiter, daß man sich viel zu schnell zur Bequemlichkeit verleiten ließe. „Du verdienst gut, hast dein Haus, kannst dir deinen BMW leisten und gehörst zum erlauchten Kreis der Musiker. Da wirst du leicht fett!“