Die 50 besten Platten des Jahres 2019
Wir haben abgestimmt und die (subjektiv) einzig wahre Liste erstellt: Das sind die 50 Favoriten der ME-Redaktion und somit die besten Alben des Jahres 2019. Ha!
Seit dem 12. Dezember ist er erhältlich, der Musikexpress 01/2020. Das Herzstück dieser Jahreswechsel-Ausgabe ist in guter alter Tradition der große Jahresrückblick. Das Herzstück dieses Jahresrückblicks wiederum ist, ebenfalls in guter alter Tradition, unsere Liste der „50 besten Platten des Jahres“. Dafür hatten wir etliche ME-Mitarbeiter nach ihren Top 20 gefragt und ihre Antworten streng demokratisch ausgewertet. Nun, kurz vorm Jahreswechsel, präsentieren wir die einzig wahre Bestenliste 2019 auch online in voller Pracht. Damit keiner sagen kann, er oder sie hätte wichtige Platten verpasst!
Welche neuen Alben 2019 außerdem erschienen sind und 2020 erscheinen werden, könnt Ihr hier nachlesen.
Was außerdem in diesem Jahr geschah, könnt Ihr in unseren „Jahresrückblick 2019“-Specials, Listen und News nachlesen. Online und im Heft.
50. Better Oblivion Community Center – BETTER OBLIVION COMMUNITY CENTER
Dead Oceans /Cargo (VÖ: 24.1.)
Ein Song auf dieser Platte ist ein Ausnahmesong. Er heißt „Dylan Thomas“, wie die Stimmen der bei- den Center-Kids da harmonieren: Phoebe Bridgers schraubt die ihre hoch in den Himmel, Conor Oberst spuckt seine Zeilen verwundert raus. Gemeinsam ergibt das einen Indie-Hit, dessen Begleiter etwas spröder, aber nicht minder anheimelnd zwischen Omaha-Songwritertum, 90er-Indie und Pop-Geste taumeln. Und wenn in „Exception To The Rule“ der Analog-Synthie dengelt, erinnert das an alte The-Faint-Zeiten. Jochen Overbeck
49. Sleater-Kinney – THE CENTER WON’T HOLD
Caroline/Universal (VÖ: 16.8.)
A match made in heaven: Die des Scheiterns unfähigen Ur-Riot-Grrrls, produziert von der unfehlbaren St. Vincent. Das Ergebnis klingt wie ein Krieg der Welten, der das Beste aus beiden hervorbringt. Im Versuch, die Band-typische Brutalität per Reduktion und Fokus auf Grooves Richtung Pop zu trimmen, geht abwechselnd eine der Parteien zu Boden, nur um nach einem raffinierten Gegenangriff wieder am Friedensjoint zu ziehen. Den Vorgänger zeichnete exquisites Songwriting aus, hier ist es diese auf- regende Frische; sie bewahrt die Band vor jeglichem Alterungsprozess. Stephan Rehm Rozanes
48. Deerhunter – WHY HASN’T EVERYTHING ALREADY DISAPPEARED
4AD/Beggars/Indigo (VÖ: 18.1.)
Warum ist nicht schon alles futsch? Auf die mächtige Frage, die der Soziologe Jean Baudrillard in seinem finalen Essay stellte, wissen Deerhunter raus Atlanta zwar keine Antwort. Dafür hat es die Band, die stets das Ambienthafte und Flüchtige, Verschwommene und Versehrte im Garagenrock gesucht hat, tatsächlich geschafft, auf einer Platte übers Verschwinden aller Gewissheiten einige ihrer erhabensten Songs zu versammeln. WHY HASN’T EVERYTHING ALREADY DISAPPEARED scheppert und rauscht warm, ein Cembalo verleiht „Death In Midsummer“ fast kammermusikalische Quali- täten. Das Ende ist nah, klingt aber toll. Julia Lorenz
47. King Princess – CHEAP QUEEN
Columbia/Sony (VÖ: 25.10.)
Mikaela Straus, born and raised in New York, ist ein moderner König Midas: Was sie anfasst, wird viel- leicht nicht zu Gold, aber gut – und queer. Nicht nur R’n’B und Pop der Lorde-Schule, sondern auch notorisch verschnarchten Genres wie Softrock oder MOR-Pop ringt die Frühvollendete auf ihrem Debüt als King Princess etwas unerhört Zeitgeistiges ab, indem sie mühe- los klassisches Songwriting-Hand- werk und Liebeslyrik aus lesbischer Perspektive verbindet. Straus ist keine Billie Eilish, sondern eine Croonerin im Queer-Club. Und CHEAP QUEEN das altmodischste moderne Album des Jahres. Julia Lorenz
46. Die Türen – EXOTERIK
Staatsakt (VÖ: 25.1.)
Obacht: Das hier ist Psychedelic, die ihrem Namen ernsthaft gerecht wird. Im brandenburgischen Ringwalde haben Die Türen die Dreifach-LP EXOTERIK aufgenommen und sich dabei so selbstvergessen zwischen Postpunk, Dub, Krautrock und kosmischem Gerave verdaddelt, dass ihnen im finalen „Irgendwo hingelegt“ das Hirn auf 15 Minuten Spiellänge zerbröselt – und uns gleich mit. Nebenbei erfinden Die Türen den elliptischen Politsong: In „Miete Strom Gas“ schnurrt Gentrifizierungskritik auf drei Wörter zusammen. Gut so, bei mehr Text hätten wir auch den Faden verloren. Julia Lorenz
45. Sigrid – SUCKER PUNCH
Vertigo/Universal (VÖ: 8.3.)
Nahbarkeit: Das ist einer der Hauptbestandteile dieser Platte. Natürlich ist Sigrid auf Pop-Erfolg gebürstet, verstellt da nichts die großen Melodien und die strikt der Harmonielehre folgenden Arrangements. Aber gleichzeitig holt die Norwegerin einen schon mit dem Titelsong geil rein in ihre Welt: Da wird nämlich gemeinsam erst mal ein Kaffee auf dem Gang getrunken, „both our hoodies red“. Den Kapuzenpulli braucht man auch: Später, in „Mine Right Now“, wird schließlich getanzt, unten am Hafen von Bergen, wo es meistens von allen Seiten regnet. Schön. Jochen Overbeck
44. Matana Roberts – COIN COIN CHAPTER FOUR: MEMPHIS
Constellation/Cargo (VÖ: 18.10.)
Das vierte Kapitel der auf zwölf Teile angelegten COIN COIN-Serie der Altsaxofonistin aus Chicago: Matana Roberts erzählt eine Geschichte der Afroamerikaner über mehrere Generationen und nicht zuletzt von der Suche nach ihrer Identität als afroamerikanische Frau in einem immer noch rassistischen Amerika. Mit einer neuen Band (mit u.a. Sam Shalabi von Land Of Kush) agiert Roberts zwischen lyrisch und expressiv – freie Spiritual-Jazz-Improvisationen, die mit Folk, Gospel, Spoken-Word-Beiträgen und allen denkbaren Gesangsformen angereichert sind. Albert Koch
43. (Sandy) Alex G – HOUSE OF SUGAR
Domino/GoodToGo (VÖ: 13.9.)
Schon der Einstieg, „Walk Away“, klingt so, wie anderer (crazy) Leute Alben schließen – nach dem Ende einer Nacht ohne Schlaf, wenn man bereits Gespenster sieht. (Sandy) Alex G will, obwohl die Welt sein enormes Songwriter-Talent längst freigeschaufelt zu haben glaubt, seine Twilight Zone einfach nicht verlassen. Auch wenn sich sein achtes Album zu Momenten erhebt, die Fans von Elliott Smith und Big Star die Ohren leuchten lassen, machen diese schlierigen Synthesizer, (In-deinem?-)Kopfstimmen, Loops und kosmischen Klänge diese Songs erst zu dem, was sie sind: magisch. Oliver Götz
42. Fat White Family – SERFS UP!
Domino/GoodToGo (VÖ: 19.4.)
Ein bisschen doof, aber auch verführerisch ist die Laster- und Lottershow der schrecklich netten Familie aus London immer gewesen. Aber erst mit ihrem dritten Album bewiesen Fat White Family, wozu ihr (Post-)Punk fähig ist, wenn sie das Lautstärke- und Provokationslevel herunterschrauben. Auf SERFS UP! machen sich die drei einen fiesen Reim auf Yachtpop, spielen Glamrock mit bleichen Fingern und dunklem Twist – und lösen das Versprechen ein, das sie mit der verdrehten Beach- Boys-Referenz im Titel gegeben haben: Lange nicht klang Psychedelic so abgründig. Julia Lorenz
41. Die höchste Eisenbahn – ICH GLAUB DIR ALLES
Tapete/Indigo (VÖ: 16.8.)
Unter der Ägide von Moses Schneider hat die Eisenbahn noch mal an Lässigkeit gewonnen. Die Songs erlauben sich mehr, spielen mit Funk und Afropop ebenso wie mit Call and Response. Dass das so gut aufgeht, liegt daran, dass die Berliner textlich ähnlich arbeiten, ihre Wortkaskaden zwar mitskandierbar, aber nie allzu einfach verortbar anlegen. „Ich sing so lange, bis mich jeder liebt“, heißt es in „Kinder der Angst“, während der Analog-Synthie hoppelt wie ein Hase, der nicht in den Osterofen möchte. Keine Sorge, Francesco; keine Angst, Moritz: Tun wir hart. Jochen Overbeck
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