Die Ärzte
DASS DEN ÄRZTEN DER BLUTDRUCK VOR DEM ERSTEN Konzert nach langer Abstinenz von der großen Bühne in die Höhe geschnellt ist, wird bereits bei der dreistimmig gebrüllten Begrüßung klar. „Hallo, Krabbenpul-City“, dröhnt es den rund 8.000 Fans, die an die Wasserkante zur Nordsee gepilgert sind, in den Ohren. Das erste reguläre Konzert der ausgedehnten „Attacke Royal“-Tour – vor zwei Tagen war Warm-up vor kleinem Publikum in Unna -, die die drei Berliner bis Ende November auf Trab halten wird, ist gnadenlos ausverkauft. Farin Urlaub, Bela B. Felsenheimer und Rodrigo Gonzales geben sofort dreistimmig Vollgas. Das hier ist ihre Party, sie wollen spielen, spielen, spielen. Und das tun sie weiß Gott. Außer Sechzehntel-Stakkato auf verzerrter Gitarre, offen gespielter Drum-Hi-Hat und wummerndem Baß scheint es nichts mehr zu geben auf der Welt. „Immer mitten in die Fresse rein“ reißt der „Schunder-Song“ die Arme des ausgehungerten Publikums in die Höhe. Immer mitten in die Ohren rein hallt leider der Sound vom Rumpf des gegenüber an der Kaje liegenden Ausflugsdampfers „Helgoland“ wider und läßt das Erkennen weniger vertrauter, neuerer Songs zu einem Ratespiel werden. Trotzdem: Zum herzinfarktverdächtigen Pulsschlag von „Ein Lied für Dich“ fliegen Teddy-Bären und Plüsch-Schweine auf die Bühne. Ruhigere Songs wie „Goldenes Handwerk“ oder „Der Graf“ gehen aber leider im Klangbrei unter. Das ist schade – und das findet auch das Publikum. Zwar sind die Ärzte aufgelegt wie zu einer Comedy-Show, improvisieren wie gewohnt ihre platten bis unwiderstehlich dadaistischen Spaße und verulken sich gegenseitig zwischen den Stücken, daß sich die Balken biegen, aber den Zuhörern nützt das wenig. Der Funke zwischen Band und Publikum, der beim intimen Clubgig gewöhnlich sofort überspringt, wird in der unpersönlicheren Open-air-Situation immer wieder im einstudierten Programm-Ablauf erstickt. Was fehlt, ist Spontaneität auf der Bühne, die sich die Ärzte aber gleichzeitig von ihrem Publikum wünschen. „Wißt ihr nicht, was Pausen-Pogo ist?“ brüllt Farin Urlaub grinsend nach anderthalb Stunden ins Mikrofon. Ganz klar – Pausen-Pogo ist, selbst zwischen den Stücken zu ianzen, auch wenn gerade nichts passiert. Die rotzfreche Anfrage zieht. Vielleicht wirkt sich auch die einsetzende Dunkelheit auf die Open-air-Stimmung aus, jedenfalls kommt jetzt mehr und mehr Stimmung auf. Und die verstehen die Ärzte mit ihrem schier unerschöpflichen Reigen an immergrünen Melodien trefflich zu schüren. Mit ihrer Sehnsucht nach „Westerland“ schießen die Landeier hier oben an der Küste letztendlich den Vogel ab, bevor sie nach zweieinhalb Stunden Hochgeschwindigkeits-Party schließlich das Zugaben-Sparschwein schlachten: „Männer sind Schweine“ – darauf hat natürlich noch so mancher gewartet. Die Startschwierigkeiten des Konzertes sind da längst vergeben und vergessen. Und wenn auf dem Weg vom Konzert-Gelände selbst zehnjährige Kinder neben ihren Eltern „Ein Lied für Dich“ vor sich hinsingen („Ich will meinen Kontostand erhöhen – Danke schön, danke sehr – Ich will mehr, mehr, mehr“),dann hat die Stipp-Visite der Ärzte wohl beiden Seiten das gebracht, was sie sich erhofft haben.