Die Einsamkeit des Losers
Lee Hazlewood
Trouble Is A Lonesome Town
Light In The Attic/Cargo
Das späte Debütalbum eines der wichtigsten amerikanischen Songwriter kommt in einer aufwendig gestalteten Reissue.
Ich besitze von Trouble Is A Lonesome Town eine Version aus den 70er-Jahren, auf deren Cover Lee Hazlewood in gemütlicher Pose auf einem blauen Liegestuhl fläzt, die Beine übergeschlagen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt, im Booklet der hier behandelten Wiederveröffentlichung ist dieses Foto neben einigen anderen abgebildet. Ich vermute stark, dass das Bild aus seiner Zeit in Schweden stammt, also aus den Jahren nach seiner musikalischen Partnerschaft mit Nancy Sinatra, die jene Hits hervorbrachte, die die meisten noch heute mit Hazlewood in Verbindung bringen. „These Boots Are Made For Walkin'“, „Jackson“, im weitesten Sinne auch „Some Velvet Morning“. Das Foto entstand also gut zehn Jahre später als die Songs auf dieser Platte, die nun vom großartigen Label Light In The Attic im Rahmen einer Hazlewood-Reissue-Reihe, vor allem aber im original Mono-Klangkleid wieder aufgelegt werden. Mit dem Originalcover, das eine Landkarte zeigt, auf dem man wohl „Trouble“ verorten soll, diesen kleinen Ort, der immer nah ist, wo auch immer man sich gerade aufhält. Ein eingeklinktes Bild zeigt Hazlewood, auf den Gleisen irgendwo nahe Phoenix, Arizona, sitzend, rauchend, mit einem Gitarrenkoffer. Das Hosenbein eines Fremden ragt hinein. Bedeutet vermutlich ebenfalls Trouble, wie so vieles im rigiden Amerika in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die hier anhand von zehn Country-Songs und ihnen voranstehenden Spoken-Word-Passagen nacherzählt wird. Es geht um Bankräuber („Long Black Train“), um leichte Mädchen, die es den Männern aber recht schwer machen („Look At That Woman“), und um die Verdammnis derer, die auf der falschen Seite der Schienen geboren wurden (vielleicht der beste Song des Albums: „Run Boy Run“, auch bekannt in der Sanford-Clark-Version aus dem Soundtrack zu Fassbinders „Die Sehnsucht der Veronika Voss“). Es ist also eine Art Konzeptalbum über die Verlierer, über jene, die man aufknüpfte, bevor sie allzu viel sagen konnten, und ist als solches bei allen möglichen Parallelen zu jenem Nest im Süden der Vereinigten Staaten, in dem Hazlewood aufwuchs, natürlich nicht dokumentarisch zu sehen, sondern eher als Querverweis Richtung Westernfilm. Hazlewood selbst bestritt übrigens, dass es sich um ein Konzeptalbum handeln würde, sah die Platte eher als Demo, als lose Liedersammlung, aus der sich dann andere Künstler bedienen könnten. Nun, die Plattenfirma war anderer Meinung. „I think it goes out like this“, sagte Jack Tracy, seinerzeit Westküsten-Chef von Mercury, zu Hazlewood, den Billboard noch 1963 als „new artist“ bezeichnete.
Das war natürlich Unsinn. Hazlewood hatte seinerzeit schon den ersten Teil seiner Laufbahn hinter sich, was vor allem die neun ersten Bonustracks hinreichend erzählen. 1955, noch während seiner Zeit als Radio-DJ, gründete er mit Viv Records ein eigenes Label und einen Verlag und versuchte sich an ersten eigenen Demo-Aufnahmen. 1956 schrieb er für Sanford Clark den Rockabilly-Hit „The Fool“ (mit seinem langjährigen Wegbegleiter Al Casey an der Gitarre), der letztlich über eine Million Exemplare verkaufte. 1957 hob er ein weiteres Label aus der Taufe, veröffentlichte (und arrangierte teilweise) Hits wie Duane Eddys „Rebel Rouser“ und das „Peter Gunn“-Thema. Als „Mark Robinson“ brachte er Ende der 50er-Jahre und Anfang der 60er-Jahre zwei Singles heraus, beide finden sich auf dieser CD: „Pretty Jane“ (1958) ist ein unfassbar kraftvoller Rock’n’Roll-Klassiker mit Duane Eddy an der Gitarre und – zeittypisch – einer Ballade („Want Me“) als B-Seite. Das vier Jahre später erschienene „Can’t Let Her See Me Cry“ weist schon eher in die Richtung des Albums, noch stärker tut dies indes eine Nummer, die ursprünglich unter dem Namen Duane Eddy & His Orchestra in die Läden kam: „The Girl On Death Row“ ist die getragen dargebotene und üppig instrumentierte Noir-Geschichte einer Frau, die unschuldig zum Tode verurteilt wird.
Die vom US-Musikjournalisten John Dixon verfassten Liner Notes zu Trouble Is A Lonesome Town wurden anhand eines Interviews mit Hazlewood aus den späten 90er-Jahren verfasst und erzählen viel über dessen Anfangszeit. Das mag anfänglich etwas übergenau wirken, erklärt aber gut, wie die Musikindustrie im Amerika der 50er- und frühen 60er-Jahre funktionierte – die Geschichte sämtlicher Labels, die Hazlewood führte, wird nacherzählt, auch Namen damals wichtiger Pop-Protagonisten wie Ahmet Ertegun, der legendäre Chef von Atlantic Records, und Leiber/Stoller kommen am Rande vor. Wer noch weiter zurückgehen möchte: Die unter dem Satz „The Lee Hazlewood Autobiography“ abgelegten Tracks sind hübsche Tongue-in-Cheek-Erinnerungen aus dem Leben des 2007 verstorbenen Musikers. Ein Extralob geht an die Ehrlichkeit der Macher: Die sagen nämlich nicht nur, was auf dieser CD alles drauf ist – das sind unter anderem vier unveröffentlichte Songs -, sondern auch, welche Nummern aus rechtlichen Gründen fehlen und wo man die sich besorgen kann. Sonderlich erfolgreich war Trouble Is A Lonesome Town seinerzeit übrigens nicht. Singles wurden keine ausgekoppelt, eine Tour gab es ebenso wenig, nur ein Konzert im legendären Hollywood-Venue Troubadour. Immerhin fiel so ganz nebenher ein Genre-Begriff ab: „A Chunk Of Americana“, so schreibt Jack Tracy auf dem Backcover, sei „Trouble“. „Chunk“ bedeutet auf Deutsch: ein Brocken, Klotz, Klumpen. Aber ein durchaus interessanter. Anmerkung am Rande: Lohnenswert ist die Vinyl-Erstauflage, der ein von Hazlewood verfasstes Drehbuch beiliegt: In den späten 60er-Jahren stand die Idee im Raum, aus dem Album eine Mini-TV-Serie zu generieren.
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Lee Hazlewood
Nach seinem Wehrdienst entschied er sich Mitte der Fünfziger für eine Laufbahn als Radio-DJ.
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1964 traf Hazlewood Nancy Sinatra – und schrieb zwei Jahre später für sie den Nummereins-Hit „These Boots Are Made For Walking“. Die Zusammenarbeit führte zu einer Vielzahl weiterer Hits.
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Nach fast 20 Jahren Pause meldete sich Lee Hazlewood in den 90er-Jahren zurück. 2006 erschien sein letztes Studioalbum CAKE OR DEATH, ein Jahr später starb er im Alter von 78 Jahren in Las Vegas.