Die Fantastischen Vier über das Alterwerden


Nach 16 Jahren erfolgreicher Selbstbehauptung in einersich ständig wandelnden Popwelt können selbstdie einstigen Pioniere des deutschsprachigen HipHop nicht mehr nur schlicht als fröhliche Burschenschaft firmieren. Denn Erfahrungen verändern schließlich.

Insgeheim lieben Journalisten große Pressekonferenzen. Da sind sie in der Überzahl und können den Gesprächspartner ins Kreuzverhör nehmen. Fairer sind Einzelgespräche. Wer unter vier Augen Tedet, redet in der Regel auf Augenhöhe miteinander. Was Journalisten aber mehr fürchten als alles andere, das ist der seltene Fall einer umgekehrten Pressekonferenz. Unser Treffen mit den Fantastischen Vier findet in einer „sweeten Suite“ in Berlin statt, aber alles andere als unter vier, sechs oder acht Augen. Im Raum stehen außerdem: eine Karriere von 16 Jahren, sechs Studio-, drei Live-Alben, sechs Millionen verkaufte Tonträger, 40 Musikclips und mehrals 650 Konzerte. Darüber hinaus wuselt die komplette Entourage um Thomas D und Andy Ypsilon herum, Leute von der Plattenfirma und sogar Manager Andreas „Bär“ Läsker beteiligen sich an dem Interview – und später gesellt sich noch Smudo dazu. Eigentlich die Hölle. Vor allem, wenn man über ein heikles Thema wie das Altern sprechen möchte. Aber dann kommt Thomas D. aufgedreht von einem MTV-Termin und erzählt eine faszinierende Geschichte vom Eichhörnchen: Thomas: Zufällig habe ich tatsächlich mal ein Eichhörnchen gefunden und habe das gerettet. Lag auf der Straße. Ich dachte, es wäre tot, und wollte es gerade so wegtun, da hüpft es zur Seite. Ich habe es zum Tierarzt gebracht, und das Tier ist mir schon im Auto kom plett durchgedreht und rumgehüpft. Es stand wohl unter Schock. Der Tierarzt hatte Lederhandschuhe an, dahat sich das Eichhörnchen rausgewunden, die Arzthelferin in den Finger gebissen und ist so (breitet die Arme aus) durchs Zimmer geflogen. Der Arzt brüllt: „Tür auf. Sofort dieTür auf‘!“ , bis sich die Helferin endlich aus ihrer Schreistarre löst und die Tür aufmacht. Das Tier: Raus und ab auf den Baum. Sie: Geht ins Krankenhaus und lässt sich gegen Tollwut impfen. Die Geschichte musste ich bei MTV erzählen.

War das ein kleines rotes Eichhörnchen?

THOMAS: So ein normales halt, ja. Warum?

Weil die roten immer mehr uon diesen buschigen, amerikanischen Eichhörnchen verdrängt werden.

ANDY: Warum soll es bei den Viechern anders gehen als bei uns in der Wirtschaft? Die Großen verdrängen die Kleinen. Andreas „bär“ LÄSKER: Besser wäre es, wenn die Guten die Schlechten verdrängen würden. THOMAS: Genau, und die Jungen die Alten.

Ihr geht nun alle stramm auf die 40 zu, habt eure eigenen Familien und eigenen Leben – braucht es da wirklich noch eine Clique oder eben Gruppe aus Jugendfreunden, um Spaß zu haben?

Thomas: Natürlich kann man sich auf einer Soloplatte schön selbst verwirklichen und in den Vordergrund stellen. Aber das ist Fluch und Segen zugleich. Man kann halt alles alleine einstreichen, das Lob genauso wie… wie …wasistdasGegenteil von Lob? Hohn!

Es gehört ja zu den wichtigeren Entwicklungen junger Menschen, ihrer Heimatstadt irgendwann den Rücken zu kehren.

Thomas: Genau. Deshalb wollten wir uns ganz früh schon nicht auf Stuttgart reduzieren lassen und haben gesagt, sowas wie die Fantastischen Vier hätte sich überall entwickeln könnten …

Heute werdet ihr nicht mehr mit Stuttgart in Verbindung gebracht, ja nicht einmal mehr ausschließlich mit „Die da“. So gesehen ist eure Karriere als fortdauernde Emanzipation uon dem zu verstehen, was ihr in eurer Jugend uorgelegt habt. Ist der frühe Erfolg manchmal eine Last?

THOMAS: Also, ich möchte darauf verweisen, dass ich meine erste schlimme Depression hatte, als wir mit „Die da“ wochenlang auf Platz 1 standen. Da habe ich zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben schwarze Löcher gesehen. Aber das hat uns wiederum dazu gebracht, der Welt zu beweisen, dass wir mehr sind als ein paar poppige, lustige Jungs in bunten Klamotten; dass wir auch Tiefgang haben. So gesehen ist aus dem Fluch ein Segen geworden.

Irritiert es euch nicht manchmal, Songs zu spielen, die ihr als ihr fast noch Halbwüchsige geschrieben habt? Stücke, uon denen ihr euch im Lauf derzeit entfremdet habt?

THOMAS: Wir haben ziemlich früh aufgehört, „Die da“ zu spielen – aber eher deshalb, weil es uns gestört hat, nur auf diese zwei Wörter reduziert zu werden.

Mit „Die da kam 1992 aber auch der ganz große Erfolg und Durchbruch nicht nur für die Fantastischen Vier, sondern für den deutschsprachigen HipHop überhaupt. Gibt es in einer solchen Phase Umarmungen, denen man sich lieber entziehen würde?

ANDY: Ich weiß, worauf du anspielst… Thomas: … und wir haben’s ja auch gemacht. Anfang der Neunziger wurde uns für „Die da“ eine Menge Geld geboten – und wir haben es genommen. Auch weil wir dachten, „Die da“ ist eh schon durch und sowieso benutzt worden, also lass uns auch offiziell daran verdienen. Und dann haben wir uns so viele Schläge eingefangen, auch von außerhalb, dass wir davon voll kuriert waren und für die nächsten zehn Jahre erstmal gar nichts mehr gemacht haben.

Heute sind die Zeiten Ja ganz andere.

thomas: Ja, es ist schon seltsam. Wenn die Kids heute auf ein Konzert gehen, und da hängen keine Playstation-, Red-Bull- oder Wasweißich-Plakate herum, heißt es: Das kann ja nichts sein …

Früher ging es gerne mal um Madeis und Clubs in euren Texten. Heute findet man dann und wann auch einen schönen Satz wie: „So sweet die Suiten auch sind/Du bist und bist nicht daheim“, was doch recht reif und abgeklärt wirkt. Macht sich das Altern langsam bemerkbar?

ANDY: Aber klar! Ich habe gemerkt, dass sich diese Themen immer mehr in unsere Musik mogeln, auch in die Texte. Das beschäftigt uns schon.

smudo (kommt aus dem Nebenzimmer dazu): Mich auch. Du willst halt den Anschluss nicht verlieren, und das wird immer schwieriger. thomas: Also, bei mir ist das nicht so. Manchmal fällt es mir schon schwer, mein Alter anzugeben – einfach deshalb, weil ich es oft wirklich nicht genau weiß, so wenig kümmere ich mich darum. smudo: Du bist aber auch unser Nesthäkchen. thomas: Nein, im Ernst! Kennt ihr das Gefühl nicht? Neulich zum Beispiel hat jemand, der bei mir aufm Hof wohnt, seinen Geburtstag gefeiert. Das ist ein ganz normaler Typ, mit dem man sich bestens unterhalten kann. Und dann wurde mir schlagartig klar: Alter, ich bin 15 Jahre älter! Ich war schon fast in der Pubertät, da wurde der mal gerade so geboren! Und trotzdem merkst du’s nicht. Für mich spielt das jedenfalls im täglichen Leben nicht so eine große Rolle. SMUDO: Wir alle machen nichts länger als das hier, Musik. Das ist ja schon fast spießig, und Spießigkeit ist natürlich das Schlimmste, nicht das Alter. an dy: Es ist nicht so, dass es mich abtörnen würde. Im Gegenteil, es ist eine Bereicherung. SMUDO: Wenn dir jüngere Leute die Türe aufhalten? ANDY: Schlimm wird’s, wenn sie dich siezen.

Erteilt ihr auch Ratschläge?

smudo: Da gibt es so eine Übung in „Kreativ-Stretching“, bei der man zwei Briefe an sich selbst schreiben muss. Einmal an sich selbst als 20-Jährigen, einmal an sich selbst als 70-Jährigen. Dem jüngeren Ich schreibst du meistens sowas wie: „Hey, nimm’s locker!“, und dem älteren teilst du mit: „Ich bewundere dich!“ Es läuft immer auf dasselbe hinaus.

Ist das nicht deprimierend?

smudo: Ach was. Früher haben wir vielleicht bei Michi gesoffen und ins Waschbecken gepinkelt. Heute machen wir andere Sachen mit dem gleichen Drive. Bei beidem aber erkennen wir uns gegenseitig selbst. Und das sind die Augenblicke, wo ich denke: Irgendwie ist doch alles genauso wie früher.

Wenn ihr den Fantastischen Vier uon, sagen wir, 1993 begegnen könntet, was würdet ihr ihnen raten?

ANDY: Hey, nehmt es locker. Wird schon. smudo: Verlangt mehr Geld von „Hohes C“! THOMAS: Zieht die bekloppten Klamotten aus! >»www.diefantastischenvier.de