Die Goldenen Zitronen
Die Goldenen Zitronen veröffentlichen dieser Tage ihr elftes Album in 29 Jahren. Das auch in diesem hohen Bandalter immer noch unberechenbare Kollektiv achtet auf WHO’S BAD konsequent weiter darauf, sich ästhetisch nicht festlegen zu lassen, dabei mystisch im Sinne des Pop zu bleiben und gleichzeitig eindeutig in der politischen Aussage. Wir sprachen mit Schorsch Kamerun, Ted Gaier und Mense Reents im „Weltrestaurant Markthalle“ in Berlin über das Werk und seine Umstände.
Jetzt schon legendär: Kürzlich spielten Die Ärzte, Die Toten Hosen und Die Goldenen Zitronen an einem Wochenende in Berlin. Die Erben des Funpunk fast Schulter an Schulter!
SCHORSCH KAMERUN: Das ist für dich schon legendär, oder wie?
TED GAIER: Und du warst wahrscheinlich bei den Toten Hosen, oder?
Ich hatte keine Lust, auszugehen. Bei den Ärzten waren an zwei Abenden 80 000 Zuschauer, bei den Hosen an einem 40 000
TED: Bei uns im „About Blank“ waren es 800.
Euer neues Album trägt den Titel WHO’S BAD. Ich gehe davon aus, dass das als Michael-Jackson-Zitat gemeint ist.
SCHORSCH: Es macht mehr Spaß, wenn man das offen lässt. WHO’S BAD steht für uns auch für eine kleine Selbstbeleuchtung. Eine Band, die sich herausnimmt, möglicherweise böse zu sein oder als solche wahrgenommen zu werden.
MENSE REENTS: Der Titel passt natürlich auch sehr gut zu dem Coverfoto. Eigentlich sollte ja Daniel Richter wieder das Cover malen. Aber dann war plötzlich dieses Foto da.
Ein Pressefoto …
MENSE: Ein Überbleibsel aus einer Fotosession. Man sieht uns darauf eigentlich gar nicht. Wir verstecken uns hinter einem Baum. Der Titel kam dann erst später dazu.
TED: Und er kam auch gar nicht von uns. Sollen wir verraten, von wem er ist?
SCHORSCH: Ich glaube schon. Der Titel ist von DJ Koze.
TED: Ich finde es interessant, dass wir uns als Band, die das Böse benennt, mit diesem Albumtitel selbst hinterfragen, ob wir nicht auch böse sind. Und dann noch diese Umdrehung: Bei Michael Jackson ist die Frage „Who’s bad?“ ja eine Frage nach der Coolness. Bei uns eine moralistische. Es geht tatsächlich darum: Wer ist hier der Böse?
Würdet ihr mir zustimmen, dass die zentralen Themen des neuen Albums „Gentrifizierung“ und „Eventkultur“ sind?
TED: Ja schon, aber die Musik auf der Platte ist auch ein Thema, oder nicht?
Aber waren Die Goldenen Zitronen nicht schon immer eine Band, die erst mal stark auf der Text-Ebene funktioniert?
SCHORSCH: Das ist natürlich auch ein Problem. Und auch so ein Interviewtag ist für uns ein Problem. Wenn hier im Gespräch noch einmal bewiesen werden muss, was man auf dem Album schon gesagt hat. Natürlich benennt man in seinen Songs die Dinge teilweise sehr direkt, aber man sucht sich als Künstler eben auch eine abstrakte Sprache. Und dann wird in so einem Gespräch versucht, das wieder kaputt zu reden. Das finde ich irgendwie idiotisch.
MENSE: Es ist einfach nur grässlich, zu sagen, wir haben ein Lied über Eventkultur gemacht. Allein die Aufgabenstellung: Schreib doch mal einen kritischen Text über Eventkultur!
SCHORSCH: Das bringt keinen Spaß. Man ist als Künstler doch auch gefordert, das irgendwie besser zu machen. Ein gelungenes Beispiel hierfür: Das Stück „Der Investor“ auf unserem neuen Album. Obwohl mich diese Idee erst einmal total abgeschreckt hat. Eben weil es inhaltlich so deutlich ist.
TED: Dass das Stück „Der Investor“ auf dem Album drauf ist, hat erst mal damit zu tun, dass solche Kämpfe um den städtischen Raum aktuell tatsächlich überall stattfinden – und ich das Gefühl hatte, dass es gut ist, die Sachen beim Namen zu nennen. Es war ja immer die Stärke dissidenter Popmusik, dass sich solche Kämpfe in ihr spiegeln.
Aber warum ist es dann für euch problematisch, über diese Themen auch im Interview zu reden?
TED: Schorsch meinte wahrscheinlich nur, dass man nicht drüber reden muss, wenn in so einem Stück schon alles drinsteckt. SCHORSCH: Vielleicht.
TED: „Der Investor“ sagt eben schon ziemlich viel. Auch das „Essohäuser“-Stück ist sehr konkret. Eigentlich braucht man darüber wirklich nicht weiter zu reden.
Na ja, für bestimmte Leute mögen die Beweggründe für eure Lieder klar sein. Aber für Menschen, die nichts von der Hamburger Stadtpolitik mitbekommen – wie etwa von der Diskussion um den Verbleib der Esso-Häuser am Spielbudenplatz in St. Pauli …
TED: Ich hätte mich gar nicht getraut, so einen Text wie „Essohäuser“ mit Zeilen wie „Die Fratze des Teufels“ zu schreiben. Der Text stammt ja von Thomas Wenzel. Tagsüber einsingen, abends das Stück auf einer Party spielen. So ist das entstanden. Und dann wurde es ein kleiner Hit, auch überregional. Für mich hat es etwas von dem „Rauch Haus Song“ von den Scherben. In dem es ja auch Protagonisten gibt, die schon fünf Jahre später kein Mensch mehr kannte. Und trotzdem singen das heute noch die Jungpunks.
SCHORSCH: Für mich ist der Song „Essohäuser“ eigentlich zu ursprünglich in der Herangehensweise. Aber vermutlich dennoch richtig.
Ist das nicht generell auch immer ein Problem der Goldenen Zitronen, die Dinge immer zwischen dem Konkreten und dem eigenen Kunstanspruch ausloten zu wollen?
SCHORSCH: Man könnte auch sagen, dass das das Interessante an uns ist. Dass wir es schaffen, zu solchen Themen Stücke zu schreiben, die aber eben nicht so parolenhaft sind. Stücke, die das auch wieder aufweichen und neu zusammensetzen. Das ist doch auch etwas Gutes.
Aber wurden die Goldenen Zitronen durch die Weiterentwicklung der eigenen Kunstsprache im Lauf der Jahre nicht unfreiwillig zu einer Art Expertenband?
TED: Dazu kann ich nur sagen, dass ich gerade konkret in politischen Bewegungen drinhänge. Dabei geht es um brennende Fragen wie den Kampf um den urbanen Raum. Und dass jetzt alle Parteien Mietbremsen einrichten wollen, das ging ganz klar von Olaf Scholz in Hamburg aus (Erster Bürgermeister – Anm. d. Red.), und der hatte sich zu diesem Thema zuvor auch mit uns getroffen …
SCHORSCH: Ich finde nach wie vor, dass es kein Spezialistentum ist, was wir mit den Goldies tun. Ganz und gar nicht!
Aber wenn ich euch nach den zentralen Themen des Albums frage, und ihr die Frage gleich zurückweist …
MENSE: Du hast diese Themen ja richtig benannt. Aber du weißt doch selbst, wie es ist: Wenn dem Künstler gegenüber jemand mit zwei Worten sein Werk zusammenfasst, das ist einfach nur entmystifizierend.
Aber ist diese Mystifizierung im Pop nicht auch hinderlich, wenn man von einer konkreten Sache sprechen möchte?
SCHORSCH: Gute Frage. Wir sind nun mal auch über Pop sozialisiert worden. Popkultur und politische Bewegungen sind natürlich schwer gleichzusetzen. Aber im Pop werden doch auch bestimmte Themen weiter thematisiert. Das kann einen mitnehmen. Pop kann diese Themen attraktiver machen.
Aber sollte Kritik nicht eher eine bittere Pille sein, die man erst mal schlucken muss? Kann man Kritik an herrschenden Systemen überhaupt attraktiv gestalten? Kann man das „sexy“ machen?
SCHORSCH: Attraktiv ist nicht dasselbe wie „sexy“!
Im Werbesprech schon, oder?
SCHORSCH: „Sexy“ ist doch aber schon der Werbespruch, der etwas extra glänzend machen will. Abgesehen davon: Wir sind ja keine Voll-Avantgarde-Band!
Im Vergleich zu den Ärzten schon.
TED: Die Ärzte haben aber über all die Jahre noch nicht einen konkreten politischen Standpunkt formuliert.
In ihrem 1993er-Comeback-Song „Schrei nach Liebe“ wird der Nazi immerhin als „Arschloch“ bezeichnet.
MENSE: Ja, das stimmt. Aber noch mal zurück: Dass die Goldies eins zu eins Agitprop-Texte singen, ergibt für mich überhaupt keinen Sinn. So gehen wir ja auch nicht an die Musik heran. TED: Wir haben immer daran geglaubt, dass es intelligentere Formen gibt, die sich nicht nur auf ein oder zwei Parolen herunterbrechen lassen. Sich eben nicht auf „Arschloch“ oder „Bullenschweine“ zu reduzieren.
SCHORSCH: Natürlich befinden wir uns als Band immer auch in einem politischen Diskurs. Aber wir sind da aus Eigeninteresse dran und nicht, um unser Produkt „sexier“ zu machen. Das muss man ja mal ganz klar sagen. Wir halten uns auch gar nicht so stark in Popstrukturen auf.
Aber es gibt doch schon eine gewisse Ästhetik, an der ihr arbeitet.
SCHORSCH: Klar, und darüber können wir auch gerne mal reden! Man muss nicht ständig überprüfen, ob das, was wir tun, gerade eine Relevanz hat und fragen, wie stark das gerade ankommt. Unsere Ästhetik ist ja auch eine Art von Sprache. Und in der geht es eben gerade darum, etwas nicht großzuziehen, etwas nicht stadiontauglich zu machen.
Aber beschränkt man sich mit dieser Denke nicht künstlich? Also zumindest was den Schaffensprozess der Musik angeht?
MENSE: Aber der wird ja vorher nicht formuliert.
SCHORSCH: Ganz im Gegenteil. Wir gehen unvorbereitet an den Produktionsprozess heran. TED: Das erste Stück, das wir diesmal aufnahmen, war, glaube ich, das, das jetzt „Duisburg“ heißt. Das hat so etwas Düsteres, Nick-Cave-Mäßiges, dass wir uns am Anfang schon fragten: Wird da jemals eine Goldies-Platte daraus?
„Duisburg“ bezieht sich auf die Loveparade-Tragödie vor zwei Jahren.
TED: Ja, aber der Song bewertet nicht.
MENSE: Ich finde schon, dass „Duisburg“ eine Wertung darstellt. Allein durch die Sprache
TED: Mir ging es bei dem Stück nicht um den Schuld-und-Opfer-Diskurs, sondern um die Mechanismen dahinter. Der Song handelt davon, wie so eine utopische Idee wie die der Loveparade solche Vermarktungsmechanismen durchläuft – und wie und warum das dann so endet. Am Anfang war die Loveparade ja eine Demo. Und dann landet so etwas in dieser Brache, die aber mit Sicherheit auch eines Tages noch gentrifiziert wird, sollte Duisburg wieder auf die Beine kommen.
SCHORSCH: Ich finde den Schuld-Aspekt der ganzen Sache allerdings auch interessant. Wie lange dort nach einem Schuldigen gesucht wurde. Und dann wurde aus dem Bürgermeister der Superbuhmann gemacht …
TED: Das verkörpert einfach alles! Erst mal dieser mittelmäßige Politiker. Dann dieser Mc-Fit-Typ, der sich diese ehemalige Hipstersache aneignet. Dann die Verwaltung, die so hingebügelt wird, dass es läuft. Dieses bedingungslose Städtemarketing – das ist das Thema!
SCHORSCH: Interessant auch, was das im Veranstaltungsbereich so nach sich gezogen hat. Auch in Theatern heißt es in Sicherheitsfragen nur noch: „Seit Duisburg geht das nicht mehr!“
TED: Das muss man natürlich auch den Gründervätern noch reinhauen, die die Loveparade einfach meistbietend verkauft haben. Westbam hatte bis zuletzt die Rechte an dem Loveparade-Song. Der hat 2010 sogar noch dran verdient.
SCHORSCH: Das mag sein. Aber es ist auch schwierig, so einen Song wieder zurückzuziehen.
Mense, du hast doch Erfahrungen mit Event-Hymnen gemacht. Oceanas „Endless Summer“ wurde 2012 zur offiziellen Fußball-EM-Hymne – mit einem Sample deines Elektro-Projekts Die Vögel.
TED: Ja, das wäre doch mal eine gute Frage, Mense: Was hättest du gemacht, wenn der Loveparade-Typ dir angeboten hätte, die offizielle Hymne zu schreiben?
MENSE: Dann würde ich jetzt vermutlich ziemlich scheiße dastehen. Aber ich glaube, musikalisch hätte ich das ohnehin nicht hinbekommen. Ich kann höchstens ein Sample freigeben …
Wir sollten doch noch mal über eure Musik reden. Ich finde, das Hippieske des Vorgänger-Albums DIE ENTSTEHUNG DER NACHT ist fast wieder verschwunden aus dem Goldies-Sound.
TED: Stimmt doch gar nicht!
SCHORSCH: Ich empfinde das tatsächlich auch ein bisschen so.
Als die Goldies irgendwann mit Krautrockelementen um die Ecke kamen …
TED: Das kam aber auch nicht plötzlich. Das war ein Prozess, der auf LENIN (Album von 2006 – Anm. d. Red.) seinen Anfang nahm. Da gibt es schon auch einige Kontinuität, bezogen auf einzelne Stücke. Dieses Minimale, das auf WHO’S BAD teilweise zu hören ist, gab es vorher auch schon.
SCHORSCH: Aber wir haben sogar auch Rockmusik auf dem neuen Album drauf. Das klingt teilweise nach den Stooges. Was für mich ja eher Stoner-Rock ist.
TED: Ich weiß gar nicht, was Stoner-Rock sein soll.
MENSE: Sobald man anfängt, mit diesen Begriffen um sich zu schmeißen, auch im Studio, wird es schwierig. Damit kommt man nicht weit.
SCHORSCH: Ich finde sowieso, das ist alles viel besser bei Livekonzerten zu sehen. Wie eine Band sich da so gibt. Was man für ein Instrumentarium benutzt und so weiter.
Bei LENIN habt ihr damals Lederjacken mit Punkparolen aus Nieten getragen, beim letzten Album eher Sun-Ra-Arkestra-artige Gewänder. Vielleicht kommt meine Hippie-Assoziation auch eher daher.
TED: Das stimmt. Die Idee bei DIE ENTSTEHUNG DER NACHT war: das Traumwandlerische herausstellen. Deshalb die Gewänder.
Aber jetzt gibt es doch schon wieder Gewänder auf den Pressefotos.
SCHORSCH: Das sind aber immer noch dieselben.
MENSE: Wir hatten nichts anderes.
SCHORSCH: Es muss erst mal etwas Neues geschneidert werden. Wir als Band müssen uns ja auch immer mit unserer eigenen Historie abgleichen. Abgesehen davon ist die Idee, sich immer wieder neu zu erfinden, aber auch Quatsch. TED: Ich finde, WHO’S BAD ist in jedem Fall eine sehr zitronige Platte geworden. Nur wir klingen so. Das meine ich gar nicht selbstlobend. Und ehrlich gesagt: Wir arbeiten auch schon lange nicht mehr mit Referenzen. Wie Mense eben schon meinte. Wenn wir merken, das ist jetzt aber krautrockig, spielen wir einfach weiter.
MENSE: Für viele scheint bei diesem Album aber sowieso schon alles längst klar zu sein. Das finde ich irgendwie komisch …
Ja, aber bei jedem neuen Album so zu tun, als ob es ständig ein neues Geheimnis zu lüften gibt, wäre auch albern, oder? Also wenn ich 2013 einen Titel wie WHO’S BAD lese, dann weiß ich doch, dass wir da einfach alle mit drinhängen. Vollkommen egal, ob man für die FIFA ein Songsample freigibt oder wir jetzt hier sitzen und für den Springer-Verlag ein Interview führen oder in diesem Lokal diese Apfelschorle trinken, deren Apfelsaft bestimmt irgendwo aus dem Brandenburgischen Bio-Umland kommt.
MENSE: Genau. Und dort sind doch sowieso alle Nazis! (lacht)
CD im ME S. 19, Albumkritik S. 93
DIE GOLDENEN ZITRONEN
Die Band wurde 1984 in Hamburg gegründet, spielte anfangs gegen die spaßbefreiten Hardcore-Punks der Vorgeneration an und landete so in der Funpunk-Ecke, der sie nur mühsam wieder entkommen konnte. Spätestens seit ihrem Album DAS BISSCHEN TOTSCHLAG von 1994 sind die Zitronen, deren Bandmitglieder in unzähligen anderen Projekten für Club-und Theaterbühnen mitwirken, eine der wichtigsten Institutionen des deutschen Musikuntergrunds. Zur aktuellen Besetzung gehören: Schorsch Kamerun, Ted Gaier (beide Gründungsmitglieder), Mense Reents (u.a. Ex-Egoexpress/-Stella/-Huah! sowie Die Vögel), Julius Block alias Thomas Wenzel (u.a. Die Sterne), Enno Palucca und Stephan Rath.