Die Prinzen


Auch Teenie-Stars werden irgendwann erwachsen, genau wie ihr Publikum. Michael Weilacher fühlt im ME/Sounds-Interview den Leipzigern provokant auf den Zahn. Wer nach seriösem Image strebt, muß sich so was gefallen lassen.

ME/S: Die Prinzen erfreuen uns mit einer neuen Platte. Darf man mit Überraschungen rechnen?

Sebastian: Durchaus.

ME/S: Was unterscheidet das Werk denn von seinen Vorgängern?

Tobias: Es ist länger.

ME/S: Und das ist alles?

Sebastian: Nein. Neu ist, daß bei dieser Platte von Anfang an alles erlaubt war.

ME/S: Klingt spannend.

Wolfgang: Ist es auch. Früher haben wir uns schon mal gefragt, ob man uns bestimmte Sachen abkauft. Solche Überlegungen haben diesmal nicht die geringste Rolle gespielt.

ME/S: Riskant, riskant. Habt ihr denn gar keine Angst, euren treuen Kundenkreis zu verprellen?

Sebastian: Nein. Denn letztlich geht man mit jeder neuen Platte ein Risiko ein. Deswegen kann man sich aber auch nicht dauernd fragen, wie ein bestimmter Song wohl ankommen könnte.

ME/S: Gar keine strategischen Überlegungen also? Kein Kalkül, wie man die Menschen glücklich machen könnte?

Jens: In allererster Linie möchten wir uns selber glücklich machen. Wenn das bedeutet, daß auch andere ihren Spaß haben — um so besser.

ME/S: Eine Einstellung, die eure Plattenfirma kaum beglücken dürfte.

Sebastian: Logisch. Die Plattenfirma fände es prima, wenn die jeweils neue Platte genauso klingen würde wie das, was zuvor erfolgreich war. Trotzdem wissen wir genau, daß das bestimmt nicht der richtige Weg sein kann.

ME/S: Gibt’s da Differenzen?

Sebastian: Nein. Wobei klar ist, daß es nicht Ziel einer Plattenfirma ist, die schönen Künste zu fördern, sondern möglichst viel Geld zu verdienen.

ME/S: Was mit Prinzenplatten nicht besonders schwer sein dürfte.

Sebastian: Stimmt. Deshalb möchten wir heute auch nicht mehr auf jede Mark gucken müssen. Als wir unsere erste Platte aufgenommen haben, haben wir hier in Hamburg alle zusammen in einer Bude gewohnt. Alles nur, um Geld zu sparen, das wir sowieso nicht hatten. Die Platte hat dann 50.000 Mark gekostet, aber etliche Millionen eingespielt. Unsere Firma hat also keinen schlechten Schnitt gemacht.

ME/S: Ihr aber auch nicht.

Tobias: Richtig. Deshalb wohnen wir heute auch während der Produktion im Hotel.

ME/S: Das Geld dürfte ja wohl problemlos für einen längeren Aufenthalt reichen.

Wolfgang: Stimmt. Aber dafür geben wir die Kohle nicht aus.

ME/S: Wofür dann?

Tobias: Wir haben genug Knete, um uns unsere Unterhosen maßschneidern zu lassen. Aber das macht leider keinen Spaß.

ME/S: Trotzdem müßt ihr doch irgendwas machen mit dem vielen Geld.

Sebastian: Dafür haben wir Fachleute.

ME/S: Ihr habt also Vermögensberater?

Wolfgang: Ja.

ME/S: Und da habt ihr gar kein schlechtes Gewissen? Das Lied vom ‚Millionär‘, der ihr so gern wärt, könnt ihr doch kaum noch glaubhaft singen.

Tobias: Ein schlechtes Gewissen hätte ich nur, wenn ich von meiner Plattenfirma verlangen würde, von einem Chauffeur mit Mütze im Rolls Royce zu einem Termin gekarrt zu werden, bei dem mir Punkt acht Uhr fuffzehn ’ne blonde Maus einen bläst. Bestimmt aber nicht deswegen, weil diese Produktion teurer ist als die davor. Wir haben klipp und klar gesagt, daß wir uns keinem zeitlichen Druck aussetzen würden. Es dauert eben so lange, wie’s dauert.

ME/S: Und die Kosten?

Tobias: Die sind nicht höher als bei vergleichbaren Aufnahmen.

ME/S: Wie hoch denn genau?

Sebastian: Ein festes Budget haben wir nicht.

ME/S: Kohle ohne Ende also, und das in jeder Beziehung?

Sebastian: Nein, aber wir können gut davon leben.

ME/S: Keine Probleme damit? Immerhin wissen im Osten viele nicht, wie sie die Miete bezahlen sollen.

Tobias: Das kennen wir aus eigener Erfahrung. Trotzdem: Wir hatten nie ein Müslifresser-Image wie beispielsweise BAP. Wir haben von Anfang an gesagt, daß wir reich und berühmt werden wollen.

ME/S: Beides ist euch ja auch nachweislich geglückt.

Sebastian: Stimmt. Berühmt sind wir.

ME/S: Und reich ja wohl auch.

Sebastian: Hier wird vie zu vie vom Geld gesprochen. Immerhin sind wir Musiker und nicht Banker.

ME/S: Aber vielleicht würde sich eine eigene Bank ja lohnen.

Sebastian: Richtig ist, daß wir sehr viel Geld verdienen und das auch ganz prima finden. Deshalb ist auf der neuen Platte auch ein Song mit dem hübschen Titel ‚Geld ist schön‘. Ein Lied, das unsere Sicht der Dinge ohne Wenn und Aber wiedergibt. Ich find’s total scheiße, wenn man sich den Spaß an der Kohle verkneifen muß. Typisch deutsch, so was. In Amerika haben die Leute nicht das geringste Problem mit ihrem Geld. Hast du da als Rapper einen Hit, ziehst du dir die dicke Goldkette an und freust dich des Lebens. War schön, wenn wir auch dahin kommen würden.

ME/S: Vielleicht spielt ihr ja den Vorreiter. Immerhin seid ihr ja die einzige Ostband, die gesamtdeutsch so richtig abräumt. Sind die anderen schlechter?

Wolfgang: Nein, aber wir sind positiver als die meisten anderen.

ME/S: Soll das ein Witz sein? Eure neue Single heißt ‚Du mußt ein Schwein sein‘ und handelt davon, daß man sich wie selbiges aufführen sollte, wenn man im Leben etwas erreichen möchte. Positiver geht’s ja wohl kaum noch.

Wolfgang: ‚Das Schwein‘ ist ironisch gemeint. Außerdem ist der Text wahr und zudem auch noch witzig. Damit haben es die Kollegen im Osten aber nicht so. Andre Herzberg zum Beispiel ist klasse aber leider zu melancholisch. Das wollen die Leute nicht so gern hören.

ME/S: Positives Denken also als oberstes Prinzenprinzip?

Tobias: Nein, aber wir sind nun mal eine Popband, und Pop sollte Spaß machen.

ME/S: Eine Einstellung, die eure Produzentin offenbar uneingeschränkt teilt..

Tobias: Das mußte ja kommen. Am Anfang hieß es immer, da ist die Annette Humpe, die große Westproduzentin. Die stellt die dummen Ossis vom Kopf auf die Füße und zeigt denen mal, wo’s langgeht. Dabei wird ganz gern übersehen, daß wir wirklich ganz gute Songs schreiben.

ME/S: Welchen Anteil hat denn nun Frau Humpe an eurem Erfolg?

Tobias: Annette hat mal gesagt, wenn ihr das Talent habt, einen Song zu schreiben, den die Leute auf der Straße singen, dann ist das ein Geschenk. Diese Einstellung haben wir uns zu eigen gemacht. Außerdem hat sie ein sicheres Gespür dafür, ob eine Nummer ankommt oder nicht. Wolfgang: Annette produziert aus dem Bauch heraus und nicht, indem sie an irgendwelchen Knöpfen dreht.

ME/S: An eurem Erfolg wird aber ganz schön gedreht. Es ist doch schon beinah Tradition, daß der Prinzenfan bei ein und derselben Nummer zwischen mehreren Versionen auswählen kann. Da gibt es die Schlagerfassung, die A-cappella-Fassung, die Gitarrenfassung, die Technofassung. Soll auf diese Art auch noch die letzte Mark mobilisiert werden?

Tobias: Blödsinn. Wir können viel, also machen wir viel. Ein guter Song ist ein guter Song, egal wie man ihn spielt.

ME/S: Erkennt man einen guten Song daran, wie oft er sich verkauft?

Tobias: Einen schlechten Song würde wohl kaum jemand wollen. Hinzu kommt, daß es einfach geiler ist, 500.000 Platten zu verkaufen als 500.

ME/S: Auf Neider muß man dann ja wohl nicht lange warten.

Sebastian: Die machen sich meistens indirekt bemerkbar. Das sind dann Leute, denen Erfolg sowieso suspekt ist. Aber damit können wir leben. Schließlich ist es doch so, daß jede Independent-Band, die mal mehr als zwei Platten verkauft hat, automatisch des Verrats bezichtigt wird. Eine absolut schwachsinnige Einstellung. Letztlich bedeutet Erfolg doch nur, daß viele Leute mögen, was man macht.

ME/S: Macht Erfolg unbescheiden?

Tobias: Kaum. Am liebsten würden wir in Stadien spielen.

Sebastian: …und zehn Millionen Platten verkaufen.

ME/S: Wie die Stones?

Tobias: Genau, wie die Stones. Die wollen wir uns übrigens in Prag ansehen. Da kennt man uns nicht so, was bedeutet, daß wir im Stadion unsere Ruhe haben.

ME/S: Ist es denn sehr schlimm, ein Popstar zu sein?

Henri: Würde ich nicht sagen. Aber letztlich ist es doch so: Ich wohne in einem ganz normalen Haus zur Miete. Da leben Leute aus allen sozialen Schichten. Wenn du dann am Samstag abend bei ‚Wetten, daß…‘ im Fernsehen warst, klopfen dir im Treppenhaus plötzlich Menschen auf die Schulter, die dich vorher nicht mal gegrüßt haben. Auf der anderen Seite wollen alte Kumpels plötzlich nichts mehr von dir wissen, weil sie glauben, daß du mit ihren Problemen eh nichts mehr am Hut hast.

ME/S: Ist es denn nicht so? Sebastian: Nein. Das Problem ist nur, daß dir das keiner glaubt und du auch keine Zeit hast, die Leute vom Gegenteil zu überzeugen.

ME/S: Wie alle erfolgreichen Menschen habt ihr also keine Zeit für nichts? Sebastian: Viel zu wenig Zeit auf jeden Fall für Leute, die einem wichtig sind. Damit meine ich jetzt nicht bestimmte Menschen aus der Musikbranche. Die lecken dir sowieso von morgens bis abends den Arsch und erzählen dir, daß du der Größte bist. Bei mir hat das dazu geführt, daß ich anderen gegenüber so mißtrauisch bin wie noch nie zuvor.

ME/S: Klingt ja schrecklich.

Sebastian: Ist es auch. Aber so hat halt jedes Ding seinen Preis. ME/S: Zum Beispiel den, daß die Prinzen beim Konzert aus der ersten Reihe heraus von zwanzig Meter Zahnspange angehimmelt werden? Sebastian: Wenn mir ein Kind sagt, daß es unsere Musik klasse findet, dann freue ich mich wie ein Schneekönig — Kinder und Besoffene sagen die Wahrheit.

Henri: Außerdem hat sich das Publikum mit uns weiterentwickelt. Auf der ersten Tour waren die Mädels 13, auf der zweiten 17, und inzwischen sind sie richtig erwachsen.

ME/S: Gratulation. Würden euch dieselben Mütter auch noch klasse finden, wenn sie mal 24 Stunden mit euch zusammen sein könnten? Tobias: Das steht glücklicherweise nicht zu befürchten.

ME/S: Muß man sich am Ende ängstigen, daß Berühmtheit nur Nachteile hat für euch?

Tobias: Weniger. Aber um zu merken, daß man berühmt ist, muß man erst mal erkannt werden. Neulich zum Beispiel war ich mit meiner kleinen Schwester bei Privatleuten ein Klavier kaufen. Im Kinderzimmer hing prompt ein Poster von den Prinzen. Aber der Typ, der uns das Klavier verkaufen wollte, hat nicht mal gemerkt, daß da plötzlich Paul McCartney vor ihm stand. Ein echtes Schlüsselerlebnis.

ME/S: Nach der Wende waren Schlüsselerlebnisse nicht eben selten. Ganz zu schweigen davon, daß es opportun war, alles scheiße zu finden, was der andere deutsche Staat jemals hervorgebracht hat. Die Prinzen bilden da eine echte Ausnahme. Habt ihr den Erfolg in gewisser Weise auch eurer ostdeutschen Herkunft zu verdanken? Sebastian: In einem Punkt ganz sicher. Immerhin haben wir in der DDR eine riesen Ausbildung gehabt. Heutzutage kostet’s Geld, auf eine Musikschule zu gehen. Damals war’s umsonst.

Wolfgang: Wobei die Ausbildung allein noch nicht den Erfolg ausmacht. Sebastian: Keine Frage. Guck dir bloß die Sex Pistols an. Von klassischer Harmonielehre hatten die keinen blassen Schimmer. Erfolgreich waren sie trotzdem. Und zwar deshalb, weil die was hatten, was andere nicht vorweisen konnten.

ME/S: Genau wie die Prinzen?

Tobias: Exakt. Außerdem haben wir Abitur.