Die Stadt und ihre Melodie
Mit Brockdorff Klang Labor durch Leipzig
Leipzig, so steht es allerorten, sei das bessere Berlin. Zumindest ist die Stadt Heimat einer der spannendsten Bands der deutschsprachigen Popmusik. Wir haben gemeinsam mit Brockdorff Klang Labor eine Rundfahrt gemacht.
Und dann fahren wir durch die Stadt, der dunkle Volvo Kombi riecht nach Auto, wie das alte Autos eben tun. Es wird langsam dunkel, Ekki Labor sitzt am Steuer, Nadja von Brockdorff ist die Co-Pilotin, „Ich sitz‘ immer vorne“, sagt sie. Sergej Klang kräht von der Rückbank: „Halt doch mal an! Mensch, Ekki, halt doch mal an. Hier haben wir mal gespielt!“ Ekki hält nicht nur an, er navigiert den schweren Wagen in einen Hinterhof, in dem sich allerhand stapelt, Europaletten und Bauteile und Feuerlöscher, aber auch große Kunstwerke, und man denkt sich: Würde man jetzt beim „Tatort“ arbeiten, hier legte man die Leiche ab, hier ließe man Saalfeld und Keppler gerne ermitteln. Im Verlauf des Nachmittags kommen wir an einigen dieser Plätze vorbei. Leipzig bevorratet sie reichhaltig.
Wir haben uns aus zweierlei Gründen mit Brockdorff Klang Labor getroffen. Weil wir ihre Musik mögen, ihren ungemein tanzbaren Mix aus Pop und Politics, ihr Versatzteillager voller Referenzen und Überraschungen. Im vergangenen Herbst erschien das zweite Album, die fälschung der welt, bei der Hamburger Indie-Institution ZickZack, Stücke wie „1989“ oder „Sad-Eyed Punk“ sind clever inszenierte Songs, die über ungewöhnliche Strahlkraft verfügen, die vom Untergrund bis zum kulturellen Establishment der Bundesrepublik reicht: Ihr Lied „Festung Europa“ gewann den 2011 von der „Spex“ und byteFM ausgeschriebenen Wettbewerb um den besten deutschsprachigen Protestsong, für die Bundesrepublik Deutschland spielte man 2010 bei der Expo in Shanghai.
Und: Die Band lebt seit den 90er-Jahren größtenteils in Leipzig. Jener Stadt, die in den letzten zwei, drei Jahren von den üblichen Multiplikatoren der Medien hufscharrend beobachtet, analysiert, rezipiert wurde. 2010 nahm die „New York Times“ Leipzig in die Liste der 31 Orte auf, die man unbedingt sehen müsse – als einzige deutsche Stadt. Die Amerikaner erzählten von der neuen Elektronik der Stadt, von Labels wie Moon Harbour oder Kann Records. Ein Jahr später schwärme die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in einem großen Artikel von 20-Jährigen, die spazieren gingen, einfach, weil man das in Leipzig so gut könne und paraphrasierte die Stadt als urbanes Paradies: „Alle, die man danach fragt, reden stundenlang darüber. Sie tun es gern, enthusiastisch wie frisch Verliebte. Halbe Tage verstreichen mit Schwärmen, und noch beim Abschied fällt jedem etwas Letztes ein, das unbedingt gelobt werden muss an Leipzig.“ Auch der „Spiegel“ schickte seine Reporter nach Sachsen, die „Zeit“ erzählte – übrigens unter der Überschrift „Sie sind so frei“ – beinahe ein Brockdorff-Klang-Labor-Zitat – vom Zauber illegaler Partys unter Bäumen, die bunte Lampen trügen, von Festen auf Stadtrandlichtungen, die 27 Stunden dauerten. Dass einer der besten Dance-Tracks des vergangenen Jahres aus Leipzig kam, „No Other“ von Good Guy Mikesh & FILBURT, passt da gut.
Kurzum: Leipzig scheint verzaubert zu sein. Ein Möglichkeitenrummel, dessen Melodie das altbekannte Lied der niedrigen Lebenshaltung ist, der günstigen Mieten und der jungen Menschen, deren Hedonismus stets von den Idealen eines besseren, bewussteren Lebens unterfüttert ist. Und dann ist da ja auch noch die Neue Leipziger Schule. Neo Rauch und Konsorten. International erfolgreiche Künstler, die zu einem großen Teil in der Leipziger Baumwollspinnerei am Rande des Stadtteils Lindenau arbeiten. Rauchs Bilder hängen mittlerweile im Metropolitan Museum of Art in New York, der Wiener Albertina und bei Brad Pitt im Wohnzimmer: 680 000 Euro, so schreibt die „Bild“, gab der Schauspieler für das Rauch-Werk „Etappe“ aus.
Natürlich kennt man diese Artikel in Leipzig. „Bei der ‚Zeit‘ ist das schon ein Seriendauerthema. Die haben sogar einen Kolumnisten“, sagt Ekki Labor. „All das wurde im Internet sehr kontrovers diskutiert. Da gab es welche, die sich darüber freuten. Es gibt aber auch eine Patriotengruppe, die das ablehnt, die sich fragt, was das soll und befürchtet, dass da ein neuer Hype kommt“, fügt Sergej Klang an. Das kann gut sein, denn als die Band unlängst in Nürtingen spielte, einer Kleinstadt in Baden-Württemberg, brach es aus den Einheimischen heraus. Alleine im vorigen Jahr seien 15 Leute nach Leipzig gezogen. Nota bene: Den Schwabenhass, jene Berliner Vorurteilsansammlung gegen Zuzügler, gibt es hier nicht. „Noch nicht“, sagt Sergej Klang und lacht. Kann alles noch kommen.
Klang zog 1994 aus der ostdeutschen Provinz zum Studium nach Leipzig, die anderen Mitglieder der Band folgten in den Jahren darauf. Von einem Leipzig-Hype war seinerzeit noch nichts zu spüren. Eher war es so, dass die Stadt müde dalag, einige Jahre in einem eigenartigen Schwebezustand zwischen Zusammenbruch des alten Systems DDR und der Etablierung eines neuen verharrte. Und genau diesen Schwebezustand nutzten die drei. Als Gründungsjahr der Band lässt sich 1997 festlegen, wobei die Geschichte der ersten Jahre ein ganzes Buch füllen würde. Sergej Klang erklärt’s: „Das Brockdorff Klang Labor als Begriff war eigentlich ein Ort. Eine Wohnung unter unserer WG, die nicht bewohnt werden durfte. Durch einen Wasserrohrbruch kamen wir an den Schlüssel, irgendwann fingen wir an, einmal im Monat Partys zu machen.“ Die Partys waren wild, hört man die Geschichten, ist man traurig, nicht dabei gewesen zu sein. In einem Raum wurden Dias von einem Ziegenhof gezeigt. Chinesische Gedichte wurde aufgesagt, Hermann Heisig (heute einer der wichtigsten Tänzer der Berliner Off-Szene) überlegte sich in Kostümen Tänze zu ungarischem Elektro-Pop aus den 80er-Jahren. Einmal bekam jeder Besucher Textblätter in die Hand gedrückt: Die Party begann mit einem Chor. Anfangs kam es noch zu Missverständnissen wie jenem mit dem Nachbarn: „Wir haben immer behauptet, wir würden einen Geburtstag feiern. Ein Kohlenträger, der im Haus wohnte, kam dann mit einer Ulla-Meinecke-CD herunter, um die dem Geburtstagskind zu schenken. Das ging natürlich nicht, es waren zwar Hunderte von Leuten da, aber kein Geburtstagskind. Irgendwann wollte er Led Zeppelin hören, da gab es noch richtig Ärger.“
Zurück in die Gegenwart, zurück in den Wagen. Unsere Fahrt hat beim Proberaum der Band ihren Anfang genommen. Der liegt im Gebäude einer alten Bäckerei, in der auch andere Gruppen ihr Hauptquartier bezogen haben und von dem aus auch das Deephouse-Minimal-Label Moon Harbour agiert. Wir fahren jetzt durch Connewitz. Hier hat die Punk-, aber auch die Kunstszene ihre Wurzeln. Heute sieht der Stadtteil eigentlich ganz manierlich aus. Lädchen und Kneipen reihen sich aneinander, ein guter Teil der Altbauten ist saniert. Es herrscht der Eindruck, die Leute haben es sich schön gemacht. Und genau das ist für manche das Problem. Das Gespenst der Gentrifizierung geht um. Erste Farbbeutel fliegen, auch auf kulturelle Orte. „Tanzschuppen zu autonomen Zentren“ ist einer der Claims, mit denen der Kiez-Konflikt befeuert wird. Wir halten natürlich an den Tanzschuppen, besuchen das „OT Connewitz“ und „Ilses Erika“, schauen am „Werk II“ vorbei, aber halten auch an einer Brücke, unter der im Sommer angeblich die besten Raves steigen.
Nun sieht eine Brücke, unter der manchmal Partys stattfinden, nicht besonders spektakulär aus, wenn gerade keine Party stattfindet. Und auch eine geschlossene Clubtür bleibt eine geschlossene Clubtür. Aber dazwischen passieren wir immer wieder diese Orte, die erklären, warum diese Stadt eine besondere ist. Da ist zum Beispiel das Amerikanische Generalkonsulat, eine prächtige Jugendstilvilla, die 1900 erbaut wurde. Die wurde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zur Hochsicherheitszone. Direkt nebenan, im Keller der Hochschule für Grafik und Buchkunst, fanden um die Jahrtausendwende Brockdorff-Partys statt. Die zum Schutz der Einrichtung abgestellten Objektschützer waren not amused ob der Heerscharen Jugendlicher, die sie natürlich triezten und reizten. Ein paar Hundert Meter entfernt rauschen wir an der „Runden Ecke“ vorbei, wo bis 1989 die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit der DDR ihren Sitz hatte. Und wieder eine Weile später halten wir vor der Löffelfamilie. Von der hat Nadja schon am Anfang der Fahrt geschwärmt. Eine aufwendig gestaltete Leuchtreklame in der Karl-Liebknecht-Straße, die in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag feiert und im Prinzip vier Menschen beim Essen zeigt. Initiiert wurde sie angeblich unter Erich Honecker als Teil der Imagekampagne – ja, so was gab es auch in der DDR – „Leipzig, Stadt des Wassers und des Lichts“. 1993 wurde die Löffelfamilie vom Land Sachsen zum Kulturdenkmal erklärt, 1999 schließlich restauriert. Heute leuchtet sie nur noch von Zeit zu Zeit: Momentan kann man „per Anruf löffeln“. Für drei Euro gehen dann drei Minuten lang die Lichter an.
Später fahren wir dann noch durch Lindenau, einen Stadtteil im Westen. Es ist ein armes Viertel, eines, das auch die Kehrseiten einer Stadt mit zu wenig Wohlstand, mit zu wenig Arbeitsplätzen zeigt. „Bauliche, ökologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungsdefizite“ macht das Netzwerk Nachhaltige Stadtentwicklung hier aus. Die Stadt möchte das verändern, arbeitet an Programmen, die auf Namen wie „Leipzig weiter denken“ hören. Natürlich besteht dabei die Gefahr, dass dabei das Schöne, das Unfertige, wegverändert wird. Leipzig, so schrieb der Oberbürgermeister Burkhard Jung unlängst in der „Zeit“ als Replik auf einen entsprechenden Artikel, sei zur Wende „eine Stadt in der Pubertät“ gewesen. Sein Credo für die Gegenwart: Die Stadt brauche Wachstum und Zusammenhalt. Man höre oben auch auf die unten, auch auf Künstler und Nerds. Aber: „Klebt nicht an den Plätzen eurer Jugend, entdeckt neue.“
Die Plätze ihrer Jugend haben Brockdorff Klang Labor eingesammelt und konserviert. Bücher, Haushaltsgegenstände, ach, alles Mögliche, nahmen sie Ende der 90er-Jahre aus leerstehenden Häusern mit und steckten es in einen braunen Koffer. Einmal sagt Nadja: „Leipzig war ein Spielplatz. Ich hatte alle Möglichkeiten. Dass das ein Luxus war, wusste ich nicht.“ Später überträgt sie den Gedankengang von damals in die Gegenwart: „Natürlich werden die Freiräume hier weniger“, sagt sie. Aber dass die Stadt wie Berlin auch noch den hinterletzten Hof mit Lofts zuknallt, dass die Mieten so teuer werden, dass die Einheimischen wegziehen müssen – daran glaube sie nicht. „Dafür ist Leipzig nicht erfolgreich genug“, sagt sie.