Die Welt am Draht


Das Konzert der Zukunft findet im Wohnzimmer statt: Der Musiker sieht und hört sein — nur als Software existierendes — Publikum in der audiovisuellen Helmbrille, der Fan programmiert sich seine simulierte Traum-Band am heimischen PC. Virtuelles Tennis, Software-Kriege, simulierter Sex —- im "Cyberspace" herrscht die totale Freiheit. Aber wo bleibt das Abenteuer?

Major Allan Wexler wischt sich den Schweiß aus den Augen. Nach einstündiger Angriffsmission über dem Norden des Iraks steigt er erschöpft aus dem Cockpit seiner F-16, alle Ziele erfolgreich bombardiert. Geschehen im Herbst 1990, Monate vor den ersten US-Luftangriffen, im Übungs-Flugzeug des SIMNET — des derzeit aufwendigsten Schlacht-Simulators der amerikanischen Air Force. Der SIMNET-Rechner simuliert die Bewegungen von 250 Panzern. Helikoptern und Kampfbombern gleichzeitig. Offensichtlich realistisch genug — Saddam Hussein hatte den ersten virtuellen Krieg in der Militärgeschichte schon verloren, bevor die Schlacht im irakischen Luftraum begann.

Ende August 1991 fließt auch in der Ostberliner Diskothek „Tresor“ eine Menge Simulations-Schweiß, die Trendjugend der neuen Hauptstadt erlebt an einem „Virtuality 1000 SD“-Rechner des britischen Herstellers „W Industries“ die ersten tapsigen Gehversuche in eine völlig neue Welt — die Welt der Virtuellen Realität (VR). Dieses erste funktionsfähige und für den ungeübten Neuling bedienbare VR-System in Europa tourt derzeit unter der Regie von Phillip Morris durch bundesdeutsche Tanzpaläste, zehn ME/Sounds-Leser können einen Frei-Flug durch diese unberührte Software-Landschaft gewinnen (siehe Kasten Seite 16).

Egal ob SIMNET für mehrere hundert Millionen Dollar oder die 10.000-Dollar-Kiste von „W Industries“ — beides markiert den real existierenden Entwicklungsstand der Utopie namens „Cyberspace“, die der amerikanische Science Fiction-Autor William Gibson schon mit dem

1984 erschienenen ersten Band seiner „Newromancer“-Trilogie vorausdachte: Menschen bedienen Computer nicht mehr per Tastatur, sondern stöpseln sich selbst an den Rechner, eine perfekte Mega-Menagerie von Sensoren, Bildschirmen und Gehirnstrom-Schnittstellen erzeugt die Illusion, sich selbst in der simulierten — virtuellen — Realität der Software zu bewegen.

Wer zum ersten Mal — mit Display-Helm und Datenhandschuh bewaffnet — durch eine solche dreidimensionale Computer-Wirklichkeit zappelt, ist ähnlich arm dran wie jene Zeitgenossen zu Beginn des Jahrhunderts, die noch nie im Kino laufende Bilder gesehen hatten. Was da als neues Medium geboren wurde, mußten sie selbst erfahren — und beim Anblick einer (auf der Leinwand) auf sie zuschmauchenden Dampflock schreiend vor Schreck unter die Kinositze flüchten. Mit der virtuellen Realität ist das nicht viel anders: In der abgeschlossenen Helmbrille („Visette“) sind nur zwei sichtfeldfüllende Bildschirme zu sehen, der 3-D-Sound kommt vollständig aus den Kopfhörern, dazu läuft ein kleines Computer-Spiel. Fast wie früher mit dem Joystick vor dem Fernseher. Der wesentliche Unterschied: Das Cybergame schottet den Spieler via Helm vom Rest der Welt ab und spiegelt ihm vor, er sei selber mitten drin im Spiel. Der Datenhandschuh, bestückt mit Richtungsund Bewegungs-Sensoren, steuert die mittels Computergraphik erzeugte (virtuelle) Spiel-Hand, sichtbar auf den Bildschirmen. Kopf- und Körper-Bewegungen werden dem Rechner ebenfalls übermittelt. Dreht man den Kopf nach rechts, folgt das Computerbild (z.B. ein Zimmer oder ein Autocockpit) in der gleichen Geschwindigkeit nach rechts, der Einsatz von zwei Bildschirmchen erweckt dabei den Eindruck von räumlicher Tiefe. Im Moment mangels verfugbarer (und bezahlbarer) Rechenleistung in Sachen Bildauflösung noch sehr grobschlächtig, sind die Cyber-Kisten den herkömmlichen Video-Games dennoch um Lichtjahre voraus — weil sie den Spieler selbst zum Joystick machen.

Genug gespielt. Virtual Reality hat drei ernste Väter: Das Militär, amerikanische Neo-Hippies und die Hardware-Giganten aus dem Kalifornischen Silicon-Valley, alle drei aus völlig verschiedenen Antrieben. Militärs wollen die perfekte Schlacht-Simulation, um im Kriegsfall möglichst wenig Tonnen Sprengstoff pro auszulöschendem feindlichem Menschenleben zu vergeuden. Die zu Software-süchtigen Bit-Beißern mutierten Alt-Freaks forschen nach umsatzversprechenden neuen Geratchen für ihre reiche Altersgenossen-Klientel (Architekten, Designer, Musiker), und die Computerindustrie schließlich braucht nach der weitgehenden Marktsättigung mit PCs dringend einen Hebel, um die nächstteure Rechnergeneration (Workstations ab ca. 20.000 DM) in den breiten Consumer-Markt zu drücken.

Hinter allem steckt — wie immer — kein kluger Kopf, sondern eine uralte Menschen-Macke. Statt die Natur Natur sein zu lassen, wollen wir sie lieber mit immensem Aufwand nachbauen. Das birgt bisweilen eine gewisse Komik, aber Millionen Arbeitnehmer hätten sonst nichts zu lachen, sprich — keine Arbeit. Im Wright-Patterson-Labor der NASA wird auch viel gearbeitet, zum Beispiel an einer besseren Bildauflösung. Der dort entwickelte VR-Helm hat pro Stereo-Display 1200 Bildzeilen (normales TV: 125) und eine fernsehmäßige Bildfrequenz von 30 Hertz. Chefentwickler Mike Furness weiß am besten, wo bei ihm die Pentagon-Steuergelder verschwinden: „Wir haben bis jetzt fünf Millionen Dollar in das Teil gesteckt, dazu kommen nochmal die acht Computer, die ihn ansteuern. “ Nicht schlecht, bedenkt man. daß dieses System weit davon entfernt ist, wirklich realistische Bilder zu produzieren. Es reicht gerade mal zum Fernsehstandard.

Überhaupt — wenn das Wörtchen wie nicht war: Die chemische Industrie steckt Millionen in die Erforschung „naturidentischer Aromastoffe“, damit etwa eine „Fanta Mango“ wie eine Mango schmeckt; tausende HiFi-Fetischisten, beglückt von der zweidimensionalen Simulations-Technik „Stereophonie“, philosophieren darüber, ob das neue rote Lautsprecherkabel die dreizehnte Obertonreihe der westsibirischen Balalaika nicht doch einen Hauch mehr herauskitzelt und es somit eher wie eine Balalaika klingt; in Maggis Kochstudio darf man sich fühlen wie Paul Bocuse, während Michael Cretu sein Mönch-Sample nächtelang am Fairlight bearbeitet, damit es grummelt wie ein echter Mönch.

Immer ist es ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit, den wir wirklich gerne noch ein bißchen wirklicher machen möchten. Und das gelingt schon deshalb, weil wir uns im bunten Reich der Sinne so gerne selber überlisten.

Im Moment sind die besten Cyberspace-Systeme, die in den USA komplett für rund 700.000 Dollar angeboten werden, gerade mal in der Lage, zwei der sechs Sinne zu stimulieren — Sehen und Hören. Und dennoch entführen sie den willigen Cybernauten minutenschnell in die simulierte Welt. Kein Wunder, reicht doch schon das Sehen von Buchstaben allein aus, uns beim Lesen eines spannenden Buches derart intensiv in die Handlung hinein-versetzen zu können, daß wir vor lauter Angst die Türe doppelt abschließen.

Mit der Phantasie allein aber ist in einer modernen, zünftigen Technokratie kaum mehr Staat zu machen. Vor gut 30 Jahren kam der erste runde Lego-Stein auf den Markt, inzwischen haben komplette Space Shuttle-Bausätze auch den Kleinsten die Last abgenommen, sich selber etwas ausdenken zu müssen.

Die Natur selbst hat im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit nichts zu lachen, und sogar der Cyberspace-Vordenker William Gibson bekommt angesichts der in den USA herrschenden VR-Euphorie die ersten Sorgenfalten: „Außer für Querschnittsgelähmte sehe ich nicht, wie virtuelle Realität jemandem nützen soll, diese Technologie wird den Regenwald nicht retten. Am unteren

Ende wird sie gerade mal als besseres Nimendo-Spiel enden.“

Diesen Techno-Pessimismus mögen die VR-Entwickler schon aus Selbstnutz nicht teilen, es muß ja nicht immer gleich in jener Computer-Libido enden, in der etwa Peter Schröder, Chef-Entwickler des „Media Lab“‚-Projektes am Massachusetts Institute of Technology lustvoll stöhnt: „Ich kann es kaum abwarten, den ersten Chip ins Handgelenk eingepflanzt zu bekommen. Mit diesen direkten Verbindungen zum Nervensystem wird es zum ersten Mal möglich, symbolische Daten direkt in den Rechner einzuspeisen.“ Die kleinen Träume der Byte-Phallokraten: Der Hacker mit Schnittstellen-Stöpsel im Kopf, der Maschinen-Mucker steckt sich das Triggerkabel für seinen Synthie in den „MIDI OUT“ auf der Stirn.

Doch schon heute profitieren Musiker und Plattenkäufer gewaltig von den Ergebnissen der sündhaft teuren VR-Forschung für Militär und Raumfahrt. Der österreichische Mikrofon- und Kopfhörer-Hersteller AKG zum Beispiel beteiligt sich im Herbst mit dem Experiment „Audimir“ am ersten Weltraumflug eines Kosmonauten aus der Alpenrepublik. Der Ösi-Himmelsflieger erforscht in der Schwerelosigkeit der russischen Raumstation „Mir“ den Einfluß des räumlichen Hörens aut den Gleichgewichtssinn. Erstes Ziel: AKG will einen Audio-Prozessor bauen, mit dem spätere Kosmonauten einen möglichst realistischen Raum-Eindruck hören können, obwohl sie während des Fluges ständig Kopfhörer tragen müssen. Anders herum geht das auch — der Prozes sor wird in der Lage sein, den Kopi hörer-Sound derart zu codieren, daß das Gleichgewichtsorgan des Hörers stimuliert wird — er glaubt dann, sich zum Beispiel ständig um die Achse zu drehen, notfalls so realistisch, daß ihm dabei das Frühstück hochkommt. Bei der NASA (wo sonst?) funktioniert das schon jetzt: Das für mehrere Millionen Dollar entwickelte „Concolvotron“ soll aber im Rahmen des .,VIEW“-Projektes eher dazu genutzt werden, Roboter in radioaktiv verseuchter Umgebung fernzusteuern.

Nur eine Frage der Zeit also, daß kreidebleiche Kids aus dem Kinderzimmer kugeln, weil sie beim 3-D-Sound etwa einer neuen Pink Floyd-CD den derben Drehwurm bekommen. Aufmerksame Plattenkäufer kennen das schon, wenn auch erst im Kleinen. „Q-Sound“ — dieses Logo prangt auf den jeweils letzten Platten von Sting und Madonna, ein schweineteures neues Aufnahmeverfahren, entwickelt von den Kanadiern Danny Löwe und John Lees. „Q-Sound“-Platten klingen wesentlich räumlicher als normale Aufnahmen und bringen einen leichten Tiefen-Effekt, der aber kaum realistischer ist als das alte Quadro-Verfahren der Siebziger Jahre. Durchsetzen wird es sich kaum, denn die Aufnahme-Kisten mit der Q-Technik sind so groß wie zwei Kühlschränke und werden für gut 50.000 Dollar die Woche an Studios vermietet. Außerdem hört man den Effekt nur über eine teure Stereoanlage und darf sich keinen Zentimeter außerhalb der Mitte zwischen den Lautsprecherboxen aufhalten.

Genau dieses Manko hat vor zwei Monaten Michael Jacksons Haus-Keyboarder Christopher Curell überwunden. Sein 3-D-Prozessor kostet den Produzenten nur 23.000 Dollar Anschaffungspreis, der Raum-Effekt ist dafür dramatisch und funktioniert sogar mit billigen Walkman-Stöpseln. In Amerika (und nur dort) ist bereits die erste 3-D-Platte erhältlich, eine Chanson-Produktion mit der Sängerin Connie Champagne. Der Rest der Musikwelt wartet auf DANGEROUS. das in Kürze erscheinende Jackson Album mit VR-Sound-Thrillern.

Den größten Thrill, den die VR-Entwicklung der Musik geben kann, hat dagegen schon in den späten Sechziger Jahren ein Bandmitglied der Kraut-Formation Guru Guru unter dem Eindruck einer wohlgefüllten Erdpfeife als visionär vorausgeahnt: „Eines Tages“, orakelte er einem ME/Sounds-Freund ins Ohr.

„wirst du einen Klumpen Haschisch an eine Maschine anschließen können und Musik machen, indem du das Teil ordentlich durchknetest. “ Die Wirklichkeit hat ihn fast eingeholt mittels der — heute aktuelleren — Lieblingsdroge der Musiker: MIDI, die weltweit standardisierte Datensprache der Sythesizer. Was schon seit Jahren mit Gitarren, Vibraphonen oder Blasinstrumenten funktioniert, wird bald vollkommen neue Musikinstrumente auf die Bühnen bringen — die Möglichkeit via MIDI tonerzeugende Kisten wie Synthies und Sampler anzutriggern. Letzteren ist es dabei völlig wurscht, woher sie ihre Signale bekommen — Datenhandschuhe (ein vom Neutöner Tod Machover entwickelter Stülp-Greifer kann schon ein halbes Sinfonieorchester imitieren) könnten es sein, verstärkte Gehirnströme, an verschiedenen Stellen unterbrechbare Laserstahlen oder eben jener legendäre, mit Druck-Sensoren ausgestattete Drogen-Batzen.

Ein Star-Trio, seit jeher aufgeschlossen für neue Musik-Technologien, arbeitet derzeit an vorderster VR-Front: Peter Gabriel, Brian Eno und Laurie Anderson. Gabriel sucht im Tiefen Tal der Superchips Silicon Valley nach bezahlbaren Möglichkeiten, VR-Spielsachen in seinen seit Jahren geplanten interaktiven Vergnügungspark „Real World“ einzubauen, Brian Eno, der Entdecker des Mischpultes als Musikinstrument, arbeitet mit der VR-Performancegruppe D“Gückoo an der Einbindung einer „Bio-Mouse“ (eine Art Armbinde, die die Muskel-Ströme bei Armbewegungen mißt und auswertet) in das MIDI-Instrumentarium dieses Frauen-Quartetts, und Laurie Anderson, bekannt durch den Live-Einsatz von MIDI-Cello und interaktiven Video-Techniken, probt derzeit mit einer Laser-Harfe, die ihre Tanz-Bewegungen in Musik umwandelt. Alle drei beginnen in Kürze mit den Proben für eine gemeinsame Performance, die im Herbst in Kalifornien uraufgeführt wird. Gabriels technischer Betreuer Peter Schwanz übernimmt die Koordination mit den Herstellern für VREquipment: „Die Idee ist, daß alle drei Künstler gleichzeitig spielen und singen, jeder von ihnen bringt aber einen eigenen Song und designt dazu gleichzeitig seine eigene kleine VR-Welt per Graphik-Programm. Dabei beeinflußt aber jeder Schritt, musikalisch oder optisch, den einer von ihnen macht, den Song und das Bild der anderen beiden. Das Publikum verfolgt auf drei Bildschirmen die Entwicklung, die Peter, Laurie und Brian gerade in ihren Helmen sehen und hört dazu den gemischten Sound des Trios.“ Obwohl dabei millionenschweres Equipment auf der Bühne steht, ist Anderson noch längst nicht euphorisch: „Gut, die Technik wird von Jahr zu Jahr besser. Trotzdem komme ich mir bei dieser Bildauflösung noch vor, als wäre ich Pac Man höchstpersönlich, “ Ebenfalls VR-angesteckt: Das Avantgarde-Trio Skinny Puppy, das mit drei Laserdisc-Projektoren arbeitet, die von Opto-Bandmitglied Kevin Oglivie zusammengescratcht werden, sowie das Tokioter Duo DJ Sekine und D. Hyperdelic, das zu härtestem Tekkkno TV-Werbeclips auf dem Großbildschirm mit am Computer live verfremdeten Bildern des gerade tanzenden Publikums zu einer interaktiven Cyber-Orgie mixt.

„Interaktivität“ ist ohnehin das

Zauberwort im Cyber-Rummel, ohne das der ganze Byte-Overkill keinen Pfifferling wert wäre. Dennis Muren von der Firma Lucas Arts Industrial Light & Magic zum Beispiel hätte den Job, die heißesten Special Effects für den „Terminator II'“ zu kreieren, nie bekommen, wäre er nicht mit seinem 150 Gigabyte-Rechner in der Lage gewesen, die T-1000-Tricks so zu basteln, als ob der Cyber-Killer wirklich mit seiner (gefilmten) Umwelt interagiert. Kosten für die zusammengerechnet gerade mal fünf Film-Minuten: 6,4 Millionen Dollar. In einem irgendwann erschwinglichen Consumer-Modell dieses Rechners wäre es dann sogar möglich, in der VR-Version von „Star Wars“ selber gegen Darth Vader das Lichtschwert zu schwingen und die Story nach eigenem Belieben enden zu lassen.

Jaron Lanier, der dreadgelockte Chef der auf VR spezialisierten kalifornischen VPL Electronics mit Hippie-Vergangenheit, der sich soeben mit der Patent-Lizenz seines „Data Glove“ an den Spielzeughersteller Matell finanziell endgültig saniert hat, geht mit seinem „RB2“ („Reality Built For Two“) noch einen Schritt weiter: Für schlappe 430.000 Dollar gibt es vier Iris-Grafikworkstations und einen Mac II, an die sich zwei Spieler mittels Datenhandschuhen und Sichthelm gemeinsam in einer virtuellen Welt aufhalten können, bald will Lanier einen „Datenanzug“ für die Ganzkörpersteuerung dazu anbieten. „Da kannst du zum Beispiel in einem virtuellen Zimmer Verstecken spielen“, schwärmt der VR-Papst, „und den anderen dadurch verwirren, daß du dich in seinem — virtuellen — Kopf versteckst.“

„Datenanzug“ — das Stichwort auf das viele Simulations-Freaks gewartet haben. Natürlich findet sich unter den Hundertschaften von VR-Entwicklern keine einzige Frau (Frauen brauchen keinen Millionen-DollarRechner um sich was Schönes vorzustellen) und natürlich geht es bei dieser Männer-Technologie auch darum: Tele-Dildonik, volkstümlich „virtuelles Vögeln“ genannt. „Wenn ich einem Laien VR erklären will“, gibt Mike Saenz, Erfinder des ersten kommerziellen Porno-Computerspiels „Mac-Playmate“, zu, „ernte ich meist nur müde Blicke. Begeisterung gibt es immer erst, wenn ich auf die Möglichkeit hinweise, daß es in naher Zukunft taklile Schnittstellen ßr die Intimzonen des Körpers geben könnte, die zusammen mit einer interaktiven Software eine verdammt realitätsnahe Kopulations-Simulation ermöglichen werden. Da sehe ich auch die besten Marktchancen: So wie die Pomo-Kassetten den Videorecorder-Umsatz angekurbelt haben, wird Virtual Sex den Cyberspace in alle Schlafzimmer bringen.“

Gut — die Landkarte ist nicht die Landschaft, nicht jeder exzessive Porno-Konsument vergißt, wie eine wirkliche Frau aussieht und von Seiten der neuen Philosophie kommt ohnehin nur Schwarzgemaltes, wie jene Warnung des postmodernen Jean Baudrillard: „Simulation ist erstens eine täuschend echte Nachahmung des Echten. Zweitens ist sie eine echtere Ersetzung des Echten. Und drittens mündet sie in die Behauptung, daß es nie etwas Echtes gegeben hat.“ Jenseits dieser Techno-Psychose gibt es eine viel wichtigere Frage: Wer wird der echte neue Göbbels des VR-Zeitalters? Oder warum sonst sollten Firmen wie Nintendo (60 Mill. verkaufte „Game Boys“ in den USA) und Sony als Futter für die kommende, billige VR-Hardware aus Fernost amerikanische Kultur-Software von Film bis Musik aufkaufen?