Dr. Feelgood – Ein Wunderdoktor vertreibt Weltschmerz


Dr. Feelgood unterwegs in kleinen deutschen Hallen. Auftritte vor wenigen hundert Zuhörern, die aber heiß wie Groupies auf den Auftritt der britischen Band gewartet hatten, um von Kopfschmerz und Weltschmerz, Verdruß und aller Langeweile geheilt zu werden. Ein Wunderdoktor, so schien es, reiste durch die Lande, ein Wunderdoktor mit vier Köpfen: Wilko Johnson, manischer Gitarrenhexer, Lee Brilleaux, singender Geschäftsführer einer Strip-Bar in St. Pauli, John Martin, genannt „Big Figure“, ein Drummer, desssen Rhythmus so unaufhaltsam und ergiebig rollt wie ein volles Bierfaß, und schließlich John B. Sparks, der Baßmann, entsprungen aus dem mittleren Management der Unterwelt von Chicago.

Es ist merkwürdig, daß der Begriff „Dr. Feelgood“ nicht schon längst als Gruppenname Karriere gemacht hat. Denn er weist in zweifacher Hinsicht auf den Kern der Rockmusik hin: To feel good, sich rundum wohl zu fühlen, in Tanzschuppen, auf Festivals, auf der Autobahn, wenn das Radio dröhnt, darum ging es schon immer bei dieser Musik. Und sich nicht länger verklemmt den spießigen Leitsätzen der Gesellschaft anpassen, sondern der Erotik und Sexualität freien Lauf lassen, das wollten seit jeher die schwarzen Amerikaner, wenn sie in ihren Songs von „Dr. Feelgood“ sprachen und damit in Wirklichkeit das männliche Geschlechtsteil meinten.

Unterleibsmusik also, Urwaldmusik und Unterhaltung, das alles bringt der Begriff „Dr. Feelgood“ auf einen Nenner. Und die Band, die ihn als Etikett benutzt, hält, was der Name verspricht.

Die dritte Feelgood-LP „Stupidity“, schnellte vor gut zwei Monaten an die Spitze der britischen Hitlisten – ein untrügliches Zeichen dafür, daß wieder Musik gefragt ist, die sich an den Wurzeln des Rock orientiert. Dr. Feelgood spielt Rhythm & Blues; obwohl alle vier Musiker weißhäutige Briten sind haben sie doch einen gewaltigen Schuß Schwärze in ihren Seelen. Im Repertoire der Band findet man wieder all die Klassiker, die schon während der ersten großen britischen R&B-Welle in den frühen sechziger Jahren (Stones, Yardbirds, Them) angesagt waren: „Im A Man“, „Walking The Dog“, „Boom Boom“. Dennoch ist Dr. Feelgood keine Revival-Band, die in nostalgischer Stimmung alten Zeiten nachtrauert: Dafür ist ihr Sound viel zu frisch, zu geladen mit brodelnder Energie, ist whiz kid Wilko Johnson ein viel zu ungewöhnlicher Gitarrist.

Der ehemalige Pädagoge (Fachbereich Englisch), der seinem früheren Job nur nachtrauert, weil er wie er sagt, „als Lehrer mehr Groupies hatte“, ist in erster Linie Rhythmusgitarrist, mit einer Spieltechnik, die schlicht einzigartig ist. Seine Akkorde feuert er ab, jeder eine kleine Explosion, hart, schnell, durchdringend, elektrisierend. Nebenbei improvisiert er mit dem kleinen Finger noch zusätzlich kurze Soli, sprintet im Krebsgang über die Bühne, hebt ab zu Spagatsprüngen, mäht mit seinem Akkordfeuer das Publikum nieder wie Pete Townshend von den Who in seinen besten Tagen. Das alles ist natürlich ein Stück Show, entspringt aber einem spontanen Feeling und wirkt absolut nicht gekünstelt.

Dr. Feelgood kommt aus der britischen Pub-Rock-Szene, die vor einigen Jahren als Widerstandsnest gegen das Siechtum der englischen Rockszene entstand. Heute schlägt man die Band auch schon den Punk-Rockern zu, bezeichnet sie als Väter der schnörkellosen Musik, die Newcomer wie die Hotrods, AC/DC oder die Ramones spielen. Wilko Johnson hält von diesem Schubladendenken nicht viel; er will wie die drei anderen Feelgood-Mitglieder sein Ding durchziehen, will die Art von Rock spielen, die er mag, egal was die Leute davon halten. In Englands Hitparaden-TV-Show „Top Of The Pops“ etwa, sagt er, da würde er nie auftreten. Recht hat er; denn man stelle sich einmal vor, Dr. Feelgood würde hierzulande in der ZDF-Disco losrocken. Ein Alptraum wäre das.