Drei gegen den Rest der Welt


Sie hatten ihre Bands und sie werden sie auch wieder haben. Doch jetzt sind Carl Barât, Paul Smith und Fran Healy als Solisten unterwegs. Und Fran spricht wohl für alle drei, wenn er sagt: „Ich weiß nicht, was mein Soloalbum bewirken wird. Das ist ja das Schöne!“

Soloalbum? Erscheint ja immer gerade irgendeines, mehr oder weniger heiß erwartetes. Und die erste Frage lautet dann: Wie klingt der/die denn so, solo? Die zweite geht ihm/ihr zielsicher ans Motiv: Ist der Solist unausgelastet in seiner Band, vermag er sich nicht frei zu entfalten, muss man sich gar Gedanken machen, hat es gekracht im Proberaum? Ein Soloalbum ist also immer auch ein Statement, und dem Solisten ist das zumeist auch bewusst. Fran Healy (Travis), Paul Smith (Maxïmo Park) und Carl Barât (ex-und-wieder-The-Libertines) machen sich da auf jeden Fall nichts vor. Mit den drei Sängern/Songwritern – mit ihren Bands bislang recht erfolgreich -, die dieser Tage mit ihren Solodebüts in den Handel gehen, haben wir gesprochen. Über ihre Motive und ihre Motivationen, über das Risiko ihrer Ausflüge und darüber, was sie dabei gelernt haben. Das was sie erzählen, ist interessant zu vergleichen – und nicht zuletzt für ein paar schöne Anekdoten gut.

Ich kann das auch allein

Paul Smith: Ich hatte diesen Song in einem Hotelzimmer in Brisbane geschrieben – „While You’re In The Bath“ – und ihn dann auch für Maxïmo Park vorgeschlagen. Doch die anderen lehnten ab. Sie hatten damit letztlich auch Recht, weil er nicht zu uns passte. Aber ich hatte auch keine Lust, das Stück als B-Seite zu verheizen. Die anderen wussten, dass ich von Zeit zu Zeit mit meinem Kumpel Andy Hodson Musik mache. Irgendwann erwähnte ich, dass ich den Song mit ihm aufgenommen habe. Niemand fragte weiter nach oder wollte es hören. Und ich kann und will ja auch keinen zwingen, einen Song gut zu finden. So funktionieren Maxïmo Park nicht. Deswegen war die Soloplatte eine gute Lösung.

Fran Healy: Es war im Juni 2009. Vor einem Auftritt in Los Angeles saß ich im Backstage-Raum herum und dachte: Ja, das ist ein guter Zeitpunkt für ein Soloalbum. Als ich dann wieder zu Hause in Berlin war, fing ich an zu schreiben. Immer, wenn meine Frau und mein Sohn weg waren, setzte ich mich hin und arbeitete wie ein Besessener. Es war etwas, das ich von der Sache her schon kannte, aber trotzdem etwas Neues. Nach 14 Jahren! Der Band von meinen Plänen zu berichten, war keine große Sache. Das liegt sicher daran, dass wir schon länger zusammen sind. Paul Smith oder z. B. auch Brandon Flowers von den Killers sind sieben Jahre jünger als ich. Das ist eine ganze Generation im Musikbusiness. Sie haben mit ihren Bands drei Alben veröffentlicht, bei uns sind es sechs. Das ist vielleicht ein etwas geschickterer Zeitpunkt.

Carl Barât: Es war ein gutes Gefühl, nicht mehr Teil einer Band zu sein. Ich habe es für mich getan, es fiel mir aber auch gar nicht so leicht. Davor traute ich mir ehrlich gesagt nicht viel zu als Songwriter. Jetzt fühle ich mich stärker. Ich bin zwar immer noch ziemlich schüchtern, aber … nun, es ist besser geworden.

Was mache ich nur mit der Freiheit?

Carl: Wenn mein Soloalbum und vor allem meine Stimme Menschen an Scott Walker, Marc Almond oder sogar an Frank Sinatra erinnert, ist das natürlich eine schöne Sache. Aber ich habe mich nicht etwa besonders auf meinen Gesang konzentriert. Dafür umso mehr darauf: Ich hatte genug von lauten Gitarren. Diese verdammten Indie-Rock-Gitarren – sie sind überall!

Fran: Ich setze mich ohnehin nie hin und überlege mir, wie ein Song oder eine Platte zu klingen hat. Es gibt ja tatsächlich Songwriter, die sagen zum Beispiel: „Hey, das wird eine 80er-Jahre-Progrock-Platte.“ Aber das hat doch nichts mit Kunst zu tun. Das ist, wie beim Zeugungsakt schon zu überlegen, ob man einen Jungen oder ein Mädchen bekommt. Im Prozess des Songwritings veränderte sich bei mir also rein gar nichts. Einen entscheidenden Unterschied zwischen der Band und meinem Soloprojekt gab es aber doch: Eine Zwischenstufe fehlt hier. Mit Travis haben wir immer erst Demos gemacht. Oft nimmst du dabei etwas auf, was wahnsinnig gut klingt, sich aber dann nicht reproduzieren lässt, nicht mit aller Studiotechnik der Welt. Es ist nicht der Song, es ist auch nicht die Aufnahme. Es ist vielleicht die Energie, die nur da ist, wenn ein Song das erste Mal eingespielt wird. „Demoitis“ nennt man das (lacht). Der Gefahr entging ich bei Wreckorder. Ich nahm gleich alle Stücke komplett auf. Ich kaufte mir feines Equipment, stellte es in den Keller und nahm auf.

Paul: Ich hatte in den letzten Jahren eigentlich damit angefangen, etwas vielfältiger zu arbeiten. Ich wollte nicht ständig über das Gleiche schreiben und schaue deswegen auch: Was passiert bei anderen? Wie passen fremde Erfahrungen zu meinen? Die Songs auf MARGINS jedoch sind ziemlich persönlich. Sie entstanden über einen recht langen Zeitraum, drei, vier Jahre. Immer wenn ich einen Song hatte, der nicht zu Maxïmo Park passte, legte ich ihn zur Seite. Zusammengenommen malt margins ein ganz schönes Bild meines Lebens mit all seinen Facetten.

Welche Einflüsse sind mir wichtig?

Fran: Während der Arbeit an Wreckorder habe ich viel Wild Beasts gehört. Auch Beach House, das ist wirklich ein großartiges Album. Acetone! Die sind sehr lakonisch. Es kann schon sein, dass die ihren Weg in meine Aufnahmen gefunden haben. Aber eigentlich ist es der jeweilige Song selbst, der das Arrangement schafft. Wie bei einem Auto. Das braucht auch die passenden Reifen. Sonst fährt es nicht rund.

Carl: Ich habe mich auf die Klassiker konzentriert: vor allem auf Velvet Underground. Aber die Einflüsse auf meinem Album reichen weiter, bis zu Kurt Weill und von dort über Leonard Cohen und Tom Waits bis zu Jeff Buckley. Diese Sorte Musik.

Paul: Ich orientiere mich prinzipiell an den klassischen Songwritern, die sich über Lyrics definieren, die sich reimen und den Song tragen und ohne die Musik nicht funktionieren würden. Wie Joni Mitchell, Leonard Cohen oder Bill Callahan. Aber auch American Music Club oder die Red House Painters, selbst wenn einem da manchmal das Herz blutet. Das sind Leute, in deren Texten ich mich wiederfand, zu denen ich eine Verbindung herstellen konnte. Und das will ich auch schaffen. Ich versuche, in meinen Texten die kleinen Momente des Lebens in etwas Großes zu übersetzen. Wie eben bei „While You’re In The Bath“. Ein melancholischer Song, ein Liebeslied, an der Oberfläche. Aber es ist auch ein Stück darüber, wie man durch den Spalt der Badezimmertür seiner Freundin zuschaut und sich dabei ziemlich doof vorkommt. Einen Song über so einen kleinen Moment zu schreiben, war eine ziemliche Herausforderung. Als ich fertig war, war ich richtig stolz.

Ich möchte mir Gäste einladen!

Carl: Eben weil ich Dinge ausprobieren wollte, habe ich mit Musikern zusammengearbeitet, die aus einem anderen Background kommen. Ich habe die Songs mit Neil Hannon (The Divine Comedy) und Andrew Wyatt (Miike Snow) geschrieben. Neil ist ein echter Vollblut-Musiker. Bei ihm spielt das Arrangieren eine große Rolle. Er geht an das Songwriting in einem sehr klassischen Sinn heran. Und Andrew Wyatt ist das genaue Gegenteil dessen. Er kommt aus dem Dance-Background und erschließt sich einen Song eher über den Sound. Vor allem zählte aber, dass ich bislang nur die Arbeit dieser beiden Typen kannte. Das hat schon fast was Beängstigendes: Du hast diese Personen noch nie gesehen und legst ihnen dein Innerstes zu Füßen.

Fran: Auf „Sing Me To Sleep“ singt Neko Case mit. Als ich sie live in Berlin sah, dachte ich mir: Die hat eine Stimme, die sehr gut zu meiner passen würde. Ich stellte mich also brav in die Reihe derer, die ein Autogramm wollten. Ich sagte: „Hey, ich bin Fran. Ich spiele bei Travis“ und schlug ihr ein Duett vor, und sie sagte zu. Den Song, den ich ihr später schickte, liebte sie sofort. Doch dann wurde es kompliziert. Sie ist viel beschäftigt und viel unterwegs. Ich zweifelte schon daran, dass es überhaupt klappt. Nach einer Mietwagentour von New York nach Vermont durch den schlimmsten Schneesturm, den ich je erlebt habe, brachten wir das Stück aber doch noch in den Kasten. Mit Paul McCartney, der den Bass auf „As It Comes“ spielt, war es tatsächlich viel einfacher. Ich saß eines Nachts in meinem Studio und überlegte: Wer ist der beste Bassist der Welt? Den will ich für diesen Song! Paul übersehen da immer alle. Die Leute wollen seine Stimme. Sie wollen sein Gesicht. Ich wollte seinen Bass. Und es ist unglaublich, wie freundlich er war. Das ist vermutlich der größte lebende Musiker und er war wahnsinnig freundlich und zuverlässig. Er setzte sich hin und hörte den Song viele Male an, um zu entscheiden, was er dazu spielen würde. Dann schaute er seine Instrumente durch und entschied sich ausgerechnet für den Bass, den er bei den meisten Beatles-Aufnahmen benutzt hatte!

Paul: Neben Andy Hodson spielt David Brewis von Field Music auf MARGINS mit, den Bass. Dass die Platte sogar ihm gefällt, hat echt was zu bedeuten. Denn er mag sonst nur das dritte Album von Big Star, ein paar Solosachen von Colin Blunstone (The Zombies) und Stereolab. Der Rest interessiert ihn nicht. So wie die ganze moderne Gesellschaft.

Platte fertig, und nun?

Paul: So eine Soloplatte ist natürlich erst einmal befreiend. Ich hätte ja auch einfach sagen können: „Hey, lasst uns das vierte Maxïmo-Park-Album machen.“ Da hätte ich in groben Zügen den Ablauf gekannt. Doch jetzt ist total unklar, was passiert. Natürlich würde ich mich sehr freuen, wenn meine Platte Nummer eins werden würde, denn es ist eine gute Platte. Andererseits weiß ich, dass ihr Klang und die Art, wie sie aufgenommen wurde, nicht unbedingt dafür sprechen. Außerdem glaube ich, dass man immer sehr viel opfern muss, um Nummer eins zu werden. Sogar jemand wie Lady Gaga, der Superstar, der es offenbar trotzdem schafft, ein weirdo zu bleiben, gehorcht letztlich den Gesetzen des Marktes. Sie zieht sich für Foto-shootings aus. Genau das will die Gesellschaft sehen.

Fran: Ich weiß nicht, was die Platte bewirken wird. Das ist ja das Schöne! Bei einem Soloalbum werden die Karten neu gemischt. Aber ich fühle mich gut. Spätestens seit ich die Songs live gespielt habe, weiß ich: Die können was. Ich bin glücklich.

Carl: Es wäre auf jeden Fall schön, wenn nicht nur Libertines- und Dirty-Pretty-Things-Fans das Album kaufen. Ich schreibe ja Songs, um zu verbinden und nicht, um einen eigenen Stamm zu gründen. Danach würde ich gerne wieder mit Pete arbeiten. Mit ihm schreibe ich am allerliebsten Songs. Unsere Live-Reunion war wunderbar, zu sehen, dass wir wieder zusammen sein können. Es hat sich fast so angefühlt, als wären die vergangenen fünf Jahre gar nicht passiert.

www.carlbarat.co.uk

www.paulsmithmusic.eu

www.franhealy.com

Abb. 1 Paul Smith: Der ehemalige Kunststudent Smith, 31, stammt aus der nordwestenglischen Provinz. Heute lebt er in Newcastle. Bis heute sind drei Alben seiner Band Maxïmo Park erschienen.

Abb. 2 Carl Barât: Als Schauspielstudent lernte Barât, 32, die Schwester von Pete Doherty kennen. Mit ihm gründete er The Libertines. Der Rest ist Indie-Rock-Geschichte (inkl. Barâts Interimsjobs bei den Dirty Pretty Things u.a.).

Abb. 3 Fran Healy: Der in Schottland groß gewordene Engländer, 37, lebt mit Frau und Kind in Berlin. Seine Band Travis veröffentlichte erst sieben Jahre nach ihrer Gründung ihr Debüt (1997) und bis heute sechs Alben.