Popkolumne, Folge 87

Drosten, hilf! – Paulas Popwoche im Überblick (mit Nena als Hildmann der Woche)


Paula Irmschler über Durchdrehen im Internet, jüdisches Leben in Deutschland und Musiknerderei.

Jetzt wird’s coronamäßig wieder eng. Hätte man ahnen können, aber es sind doch alle überrascht. Die, die nicht überrascht sind, sagen „Seid ihr ernsthaft überrascht?“ und dann kacken sich alle gegenseitig an. Am meisten schuld sind die Partyjugendlichen und heiratenden Großfamilien und die, die in den Urlaub wollen, stehen auch immer wieder unter Verdacht. Dass wenige Menschen Pandemieerfahrungen haben und die sich ständig ändernden Regelungen nicht dazu beigetragen haben, dass man hinterherkam mit der Einschätzung, wie ernst es denn nun wirklich ist, mag auch Einfluss haben und vielleicht auch dieses unbedingte Drängen darauf, dass die Wirtschaft schnell wieder funktionieren muss. Es wird richtig beschissen die nächsten Monate. Übergang zum ersten Thema dieser Kolumne.

10 Dinge, die ich beim Rewatch von „(T)Raumschiff Surprise“ gelernt habe – Volkmanns Popwoche im Überblick

Doku der Woche: „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ (Netflix)

Ja, wir Internetleute sind seit Anbeginn des World Wide Web von den moralischen Warnern genervt, aber wann, wenn nicht jetzt, zeigte sich so beschämend deutlich, dass sie schon auch ein bisschen Recht hatten? Ich kann nicht oft genug erleichtert aufseufzen, darüber, dass ich nicht später geboren bin, sondern genau an der Schwelle zwischen Jugend noch relativ analog und Erwachsenenalter erst so richtig digital. Erste Mobbingversuche im Netz, erste Fakenews und erste Onlinebekanntschaften gab es bei uns auch schon, aber es hielt sich in Grenzen und es schaute uns nicht potenziell die halbe Welt zu, sondern eher die Leute in der eigenen Stadt. Teenies heutzutage sind zu einem großen Teil permanent von der Performance in den sozialen Medien abhängig. Manches daran ist toll, zum Beispiel, dass man sehr früh checken kann, dass man nicht komplett falsch ist, weil da draußen unzählige Leute sind, die einem ähnlich sind. Es kann beim Coming-Out helfen, es kann Plattform für die eigene Kunst sein, es ist Werkzeug für politische Teilhabe. Wissen wir ja schon Vieles, pro und contra Social Media, Fluch und Segen, wie oft wurde darüber in den vergangenen 20 Jahren gesprochen?

Darüber versucht jetzt noch mal die Netflix-Doku „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ aufzuklären und legt einen Schwerpunkt auf die Bubblebildung, die zur Formung von Menschen zu „Usern“ führt, und durch die Werbung und politischen Inhalte, die vermeintlich auf uns zugeschnitten sind, auf uns einprasseln und nicht mehr eingeordnet werden. Was mich besonders schockiert hat, ist der Umstand, dass die Suizidrate bei den Jugendlichen hochgegangen ist, seit es Social Media gibt, aber so richtig überraschend ist es leider auch nicht. Ansonsten wird ein bisschen zu viel zusammengehauen und bekommt dadurch nicht genügend Platz, vielleicht hätte man eher eine Dokureihe daraus machen sollen. Das Thema Körperbilder hätte gut und gern mehr Raum gebraucht, genau so wie die Themen Datenschutz, Suchtpotenzial oder Fakenews. Aber es kann natürlich ein guter Anlass sein, sich darüber weiter zu informieren. Im Internet.

Hildmann der Woche: Nena

Wetten wurden angenommen, wer denn der nächste Star sei, den Attila am Telefon bequatscht hat. Jetzt ist man sich sicher: Es wird wohl Nena gewesen sein. Nachdem Michael Wendler vergangene Woche seine komplette Karriere innerhalb weniger Stunden verballert hat, trendete am Mittwoch Hashtag Nena. Warum? Darum:

https://www.instagram.com/p/CGSxSUqBwBi/

SEID IHR ERNSTHAFT ÜBERRASCHT? Dass Nena eso drauf ist, sollte nichts Neues sein. Dass es davon nicht weit ist, Wissenschaft in Frage zu stellen und stattdessen an den Glauben an Wasauchimmer zu appellieren, nun ja. „Lasst uns ins Licht gehen“, sagt sie. Ja, genau so wird es auch kommen, wenn immer mehr Promis dafür sorgen, dass sich immer mehr Leuten den kruden Verschwörungstheorien anschließen, die momentan rumgehen und auf Liebe vertrauen, statt auf Masken und Abstand. Es ist ja immer okay zu zweifeln und joa, Panik nervt sicher auch, aber wie wäre es mal, das mit sich selbst auszumachen, mit Menschen im Umfeld zu besprechen, auf die Wissenschaft zu hören und zu checken, dass man als Prominente eine Vorbildfunktion hat und dass man vielleicht zwei, drei mehr Privilegien hat in seiner Welt, in der man eh geschützter ist als die meisten? Wenn mir noch einmal eine reiche Person erzählt, dass Liebe die Antwort ist, schlag ich hier alles kaputt!

Nazis der Woche: Auf Instagram

Apropos Kaputtschlagen. Wer ein bisschen auf Insta (hoffentlich nicht zu viel) oder in der Naziszene (hoffentlich gar nicht) unterwegs ist, wird schon über sie gestolpert sein: die Instagramnazis. „Ästhetisch“ (also wenn man auf Scheiße steht) inszenieren sie sich in Wäldern, Pastellfarben, übernehmen den Hipsterstyle von 2012, haben Tiere, Muttisein, Pärchen im Schlepptau und unsägliche Hashtags mit Heimat. Unter dem Titel „Kein Filter für Rechts“ hat correctiv über diese Strategie der Rechten recherchiert und sie unlängst präsentiert. Dort wird auch aufgedeckt, wie die verschiedenen rechten Gruppen sich überschneiden und wie strategisch dabei vorgegangen wird, um junge Leute zu rekrutieren. Hier gibt es die Ergebnisse.

Film der Woche: „Masel Tov Cocktail“

Dima ist der Sohn russischer Einwanderer, ein „richtig lebendiger Jude“, der im Ruhrpott lebt und müde ist von den Blicken auf ihn: Für Nazis ist er ein Jude (hier als Schimpfwort), für Mitschüler ist er ein Witz oder Projektionsziel, seine Freundin sieht in ihm revolutionäres Potenzial, die AfD will ihn gegen Muslime instrumentalisieren, für die Lehrerin ist er ein Holocaust-Opfer und so weiter. Der Kurzfilm „Masel Tov Cocktail“ vereint Vieles von dem, was das Wort „Jude“ in Deutschland heute auslöst: Antisemitismus hier, Ignoranz da und alles dazwischen und darüber hinaus. Klar, dass sich das Leben von Dima, gespielt von dem tollen Alexander Wertmann, wie ein einziges Schaulaufen anfühlt. Es ist sehr beeindruckend, wie der Film es schafft, so viele Aspekte in einer halben Stunde unterzubringen. Unbedingt anschauen (hier der Stream), in Schulen und überall zeigen.

Serie der Woche: „High Fidelity“

Ich kann nicht lügen: Auch ich bin am Anfang meiner Adoleszenz dem Klischee des Vinylheinis verfallen. Logo habe ich auch ich mich damals in einen Musikliebhaber verliebt, für den Musikliebe vor allem Quantität bedeutete, alles wissen, alles kennen, viel darüber reden, damit die Frau bloß nicht merkt, dass da nichts anderes zu erfahren und zu holen ist. Der lonely wolf mit der Plattensammlung und der affektierten Uneitelkeit, der sich nicht öffnen will, weil er schlichtweg stinklangweilig ist und Angst hat, dass es rauskommen könnte. Puh, es ist so durch. Trotzdem liebe ich „High Fidelity“ bis heute. Das Buch hab ich seit zehn Jahren nicht mehr gelesen, deshalb meine ich jetzt mal den Film. John Cusack (der Rob spielte) ist eh toll, Laura (Iben Hjejle) eine so gute, vielschichtige Frauenfigur und Todd Louiso und Jack Black als Robs Mitarbeiter im Plattenladen waren auch eine vorzügliche Wahl. Es war keine große kitschige Liebesgeschichte um Rob und Laura, sondern eher eine unspektakuläre, normale, deswegen war es so gut. Und dass Rob ein Schwätzer war wurde nicht abgekultet, sondern schonungslos thematisiert. Also, ja, wer es nicht weiß: Mit Rob wird Schluss gemacht, er suhlt sich daraufhin im Selbstmitleid wie nach all seinen Trennungen, fragt sich, was schiefgelaufen ist, bis ihm ein Licht aufgeht, dass es vielleicht an ihm liegen könnte. Dazwischen viel Nerdtum über Musik und Gemeinheiten seinem Umfeld gegenüber.

„High Fidelity“ als Serie: Digitale Playlists, aber immer noch analoge Herzen

Warum sollte man das 2020 wiederholen? Ich war skeptisch. Vor allem, weil es mich nervt, dass es für Frauen zu oft nur ReBoots gibt, statt einfach eigene, neue Geschichten. Doch es ist überraschend gut gelungen. Rob, die jetzt von Zoë Kravitz gespielt wird, ist um die 30, wird ebenfalls verlassen, hat ebenfalls tolle Freunde, die mit ihr im Plattenladen arbeiten (mit ebenso guter Besetzung durch Da’Vine Joy Randolph und David H. Holmes) und flüchtet sich in Musik. Vieles ist ähnlich zum Film, teilweise ganze Dialoge und es gibt schönerweise auch diese Szene im Laden, als „Dry The Rain“ von der Beta Band (seufz) aufgelegt wird. Einiges ist aber fundamental anders und dadurch besser, aber ich will nicht spoilern. Was auffällt ist, dass es dennoch ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt, trotzdessen dass es in der neuen „High Fidelity“-Welt Instagram und Spotify gibt. New York im Jahre 2020 und das Thema Gentrifizierung spielt keine Rolle? Ich weiß ja nicht. Dazu kommt, dass die Figurenentwicklungen nicht genug Raum bekommen und zwar alle nicht, nichtmal Rob. Es ist eine Serie, da habe zumindest ich immer den Wunsch, mehr darüber zu erfahren, wo die Leute herkommen und warum sie sind wie sie sind. Ich vermute, dass das auch noch passiert wäre. Wenn es eine zweite Staffel gegeben hätte. Leider hat Hulu „High Fidelity“ nach einer Staffel (in Deutschland auf Amazon Prime zu sehen) abgesetzt und so wirkt das alles irgendwie nur halb. Das ist richtig schade, ich bin sautraurig. Es hätte geil werden können. Jetzt hilft nur noch die Beta Band.

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Wichtige Information der Woche

Bruce Springsteen hat jetzt ein eigenes Emoji.

https://twitter.com/springsteen/status/1316013687757398017

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