Dub History


Bässe aus der Tiefe des Ozeans, Echos wie im Hochgebirge, Beats für die Beine. Dub, der kultige Klang aus Jamaika, findet auch in Europa immer mehr Freunde. ME- Sounds spürte den Rauchzeichen der karibischen Künstler hinterher.

Produzent Bill Laswell ist zufrieden. Soeben haben die Qaballah Steppers ihre letzten instrumentalen Overdubs eingespielt. Alle Beteiligten im New Yorker Studio sind sich einig: Hier ist ein Sound entstanden, den es so noch nicht gegeben hat. Das Schlagwort „Zukunftsmusik“ würde indes nur die halbe Wahrheit erzählen: Die Mixtur aus arabischer Folklore, amerikanischen Dance-Beats und Reggae-Bass-Lines wurzelt in der jamaikanischen Dub-Tradition, die bereits vor über zwanzig Jahren begründet wurde. Doch hier in New York, fernab also von karibischen Stränden, entsteht der Dub für die neunziger Jahre.

Auch ein neuer Genre-Name ist bereits aufgetaucht: Von „Dub-Hop“ ist die Rede, wenn es darum geht, den amerikanischen Zugang zu jamaikanischen Dub-Techniken auf den Punkt zu bringen. Federführend ist hierbei das New Yorker Label „Word Sound“, für das auch die gewagtesten Experimente nicht zu abgehoben sind. Und selbst altgediente HipHopper wie De-La-Soul-Produzent Prince Paul und Rap-Erfinder Umar Bin Hassan von den Last Poets lassen sich längst vom Dub inspirieren.

Letztendlich ist es Elektrotechnikern und Computerspezialisten im fernen Japan zu verdanken, daß die visionäre Untergrundmusik von einst endlich die Anerkennung erfährt, die sie schon seit Jahrzehnten verdient. Denn erst mußte sich die elektronische Musik weltweit als bestimmender Faktor durchgesetzt haben, bevor der Dub die Raver der Neunziger begeistern konnte. Was Techno-Tänzer schätzen: Oen britischen jungle, der nicht selten mit hektischen 140 Beats per Minute daherkommt, scheint Dub als langsamere, gefühlvollere Variante optimal zu ergänzen.

Angefangen hat die Dub-Geschichte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, als die DJ’s jamaikanischer Sound Systems dazu übergingen, neben den üblichen Reggae-Singles auch instrumentale Versionen der Hits aufzulegen. Die ohne Gesangsspur umgemischten Aufnahmen waren eine Spezialität des Toningenieurs King Tubby, der als Erfinder des Dub gilt – auch wenn das von manch anderem Pionier heftig bestritten wird. King Tubby hatte die Effizienz einer überarbeiteten Instrumental-Spur rein zufällig beim Abmischen einer normalen Produktion entdeckt. Die von den Sound Systems Jamaikas animierten Tänzer jedenfalls waren von den tiefen Frequenzen und den exzessiven Hall-Effekten derart begeistert, daß Tubby am Ball blieb. Er veröffentlichte schon 1969 seine ersten „Dub-Plates“ in Jamaika, damals noch speziell für die DJ’s der Insel. King Tubby produzierte zahllose unsterbliche Dub-LP’s (wie z.B. ‚King Tubby Presents The Roots Of Dub‘), bevor er 1989 bei einem Überfall in Jamaika tragischerweise ermordet wurde. Als sein schärfster Konkurrent galt stets Produzent Lee „Scratch“ Perry, der kurz nach Tubby mit den Neu-Abmischungen von Reggae-Hits begann. Perry lieferte bis ir die frühen achtziger Jahre eine Reihe nahezu perfekter und innovativer Dub-Alben ab (man höre ‚Super Ape‘ von den Upsetters), bevor er wegen massiven Steuerproblemen seine Heimat Jamaika verlassen mußte und in die finanzfreundliche Schweiz übersiedelte.

Trotz derartiger Talente blieben die Dub-Plates in den Siebzigern ein Insider-Thema für Reggae-Fachleute und natürlich für die Tänzer auf jamaikanischen Parties. Das änderte sich erst, als in England der Punk explodierte und die Jungen Wilden Reggae als einzig akzeptable Musik neben den Sex Pistols und The Clash akzeptierten. Sowohl die zahlreichen Jamaikaner in London, die sich mit Musik aus der Heimat versorgten als auch das steigende Interesse der jungen Briten sorgten dafür, daß immer mehr Dub-Plates den Weg nach Europa fanden. Auf dem hiesigen Markt wurden Alben von King Tubby und Lee Perry, aber auch die von Augustus Pablo, Scientist und Yabby You (um nur einige der jamaikanischen Großmeister zu nennen) unters geneigte Volk gebracht. Dub-Alben zu besitzen war für einen aufrechten Punk Ehrensache, wobei etwa die ‚Living Dub‘-LP’s von Burning Spear jederzeit den „normalen“ Reggae-Alben des Meisters vorgezogen wurden.

In London etablierte sich eine eigene Dub-Szene mit Produzenten wie Jah Shaka und dem Mad Professor, aber es war der weiße Reggae-Fanatiker Adrian Sherwood, der als i8jähriger mit der Gründung seines On-U-Sound-Labels dafür sorgte, daß Dub-Musik auch über England hinaus für Aufsehen sorgte. Sherwood arbeitete mit in Jamaika aufgenommenen Backing Tapes, die er auf unnachahmliche Weise elektronisch modifizierte und den Dub damit in eine neue, kompliziertere Richtung führte. Sogar Punk-Reggae-Kreuzungen wie die New Age Steppers (mit der damaligen Slits-Sängerin Ari Up) gingen auf Sherwoods Konto.

In Jamaika verebbte hingegen der Dub-Boom Anfang der achtziger Jahre. Das Aufkommen des Dancehall-Styles – im Landesdialekt Patois vorge tragene Sprechgesänge über elektronischen Beats machte den Dub vorübergehend zu einem Relikt aus vergangenen Zeiten. Nur Dub-Poeten wie Mutabaruka und Oku Onuora hielten an den langsamen Beats und den Echo-Effekten fest. In England dagegen konnte sich der Dub Reggae weiterentwickeln, fand ständig neue Formen und avancierte letztendlich zu einem Untergrund-Trend. Konservativ blieben allenfalls der Londoner Polit-Poet Linton Kwesi Johnson und natürlich Adrian Sherwood. Letzterer setzte unbeirrt weiter uf seinen effektgeladenen Sound, produzierte eine Unzahl von Bands, versuchte sich mit Sänger Gary Clail (‚These Things Are Worth Fighting For‘) sogar als Charts-Aspirant und spielte schließlich mit dem Gedanken, sein Label einzustellen, was er Gott sei Dank nie in die Tat umsetzte. Heute genießt On-U-Sound wieder einen respektablen Stellenwert im Indie-Busineß – als Einstieg seien die hervorragenden ‚Pay It All Back‘-Compilations empfohlen.

Doch die Dub-Revolution findet woanders statt. Es sind die neuen Bands wie Dreadzone, Rockers-HiFi, Zion Train oder die Revolutionary Dub Warriors, die derzeit den Ton angeben. Zion Train etwa hat den Dub mit der Verschmelzung von House- und Ska-Beats zu neuen Ufern geführt. Der Untergrund brodelt gewaltig. Täglich erscheinen weltweit neue, oftmals reichlich obskure Dub-Scheiben. Und die weltweite Info-Vernetzung der Dance-Szene sorgt dafür, daß man endlich auch in Amerika den neuen Dub zur Kenntnis genommen hat. Auf Techno-Maxis tauchen längst B-Seiten-Remixe unter der Überschrift „Dub“ auf, ohne allerdings musikalisch an Reggae zu erinnern. Und selbst Madonna- und Prince-Songs gibt es in „Dub“-Versionen.

Ein gerechter Nebeneffekt der Dub-Renaissance: Seit Jahren vor sich hinwerkelnde Produzenten wie Jah Shaka und das Ehepaar Alpha & Omega tauchen plötzlich in den Schlagzeilen auf. Mad Professor, der schon immer hochmodernen, tanzbaren Dub für sein Ariwa-Label produzierte, erfährt seine längst verdiente Anerkennung. Er durfte kürzlich die letzte Massive-Attack-LP remixen (‚No Protection‘) und arbeitete mit seinem großen Vorbild Lee Perry an einem gelungenen Album.

Der Kreis schließt sich, denn inzwischen hört man sogar aus Jamaika von einer Wiederbelebung des Genres. Schon entstehen in den digital aufgerüsteten Studios von Kingston zeitgemäße Dub-Plates für die Dancehalls der Neunziger.

Aber auch die klassischen Werke von Lee Perry, King Tubby und Yabby You werden, digital überarbeitet, auf CD wiederveröffentlicht. Ironie der Geschichte. Erstmals klingen die innovativen Sounds von einst nicht mehr wie ihrer Zeit um Lichtjahre voraus, sondern entsprechen plötzlich ganz genau den Hörgewohnheiten der Hi-Tech-Gegenwart.

DUB FÜR DEN EINSTEIGER

KINGTUBBY The Roots Of Dub (Ciocktower) AUGUSTUS PABLO King TubbyMeets The Rockers Uptown (Ciocktower) UPSETTERS (LEE PERRY) SuperApe (Mango) BURNINGSPEAR DIVERSE Living Dub 1 & 2 Pay It All Back (1 bis 5) (Island) (On U Sound Compilations) PRINCE FAR I &THEARABS WORD SOUND Cry Tuff Dub Encounter TheRedShift Chapter III (Word Sound) (On U Sound) CROOKLYN DUB YABBYYOU CONSORTIUM King Tubby’s Certified Dope Vol. 1 Prophesy Of Dub (Word Sound) (Blood And Flre) KINGSIZEDUBVOL. 1 KEITH HUDSON (Brit-Dub-Compitation) Pick A Dub (Echo Beach) (Blood And Fire) MAD PROFESSOR VS: NEW AGE STEPPERS MASSIVE ATTACK New Age Steppers No Protection (On U Sound) (Virgin)