Ein Loch in der Gemütlichkeit – Melt! Festival Gräfenhainichen, Ferropolis
Das pannengerittene Melt! 2008 brachte die Erkenntnis: Zu Open Airs kommen VIELE Leute, und es kann REGNEN. Aber die Bands waren gilt wenn sie denn auftraten. Freitagnacht, Melt! Auf der Gemini Stage wird kräftig mit den Füßen gescharrt. Zum einen, weil es heftig geregnet hat und auf überdachtem Terrain beim Trocknen der Socken nachgeholfen wird. Zum anderen sollen gleich die Disco-House-Heroen Hercules & Love Affair auftreten, die Vorfreude ist groß. Dann geht es los – fragende Gesichter und Kopf schütteln überall. Auf der Bühne stehen knöpfchendrehende Männer und nicht die bunte Hercules-Combo, die am vorangegangenen Abend das Berliner Lido in Ekstase geschaukelt hatte {nicht zuletzt dank der positiven Spannung zwischen den Sängerinnen, dem Transvestiten Norm mit Mähne und Fummel und der Tomboy-Lesbe Kim Ann Foxman; um hier mal ein paar Eindrücke nachzureichen). Auf der Bühne liefern dafür Alter Ego ein knallendes Techno-Brett, stumpfe Stampf-Beats lassen sie smart klingen. Der Holzboden vibriert wie ein Trampolin und trägt dazu bei, die Tanzfläche in eine Hüpf burg zu verwandeln. Die meisten Hercules-Fans scheinen bald getröstet. Dafür sind dann wieder die Leute, die später vergeblich auf die vorverlegten Alter Ego warten, genervt; die Änderung im Ablauf war ebenso wenig kommuniziert worden wie die Gründe dafür. Da stehen schon Booka Shade auf der Bühne und befrieden mit einem energetischen Set die Alter-Ego-Fans.
Das tolle Line-Up erweist sich als Rettungsanker des diesjährigen Melt! Festivals. Gelungene Auftritte, etwa von den exklusiv angereisten Franz Ferdinand (siehe Interview vorn im Heft) , von Peter Licht und dem Berliner Electro-Rocker Boys Noize sorgten dafür, dass ein von Organisations- und Technikpannen gerittenes Festival doch noch in einigermaßen guter Erinnerung bleiben wird. Es gab technische Probleme, von denen sich etwa Hot Chip, die letztes Jahr einen fabelhaften, diesmal nur einen guten Auftritt spielten, die Laune verderben ließen. Auch an der Logistik haperte es: Der Umtausch von Tickets in Bändchen war katastrophal organisiert, auf das schlechte Wetter schien man kaum vorbereitet. Die zweite, überdachte Bühne war chronisch überfüllt, bei The Whitest Boy Alive etwa gab es schon 50 Meter vor der Halle kein Durchkommen mehr im Matschmeer. Sowieso hatte man den Eindruck, dass die Besucherzahl des seit Jahren wachsenden Festivals die Schmerzgrenze endgültig überschritten hat.
Vielleicht waren die logistischen Bemühungen zu sehr auf Björk, den Haupt-Act am neu eingeführten dritten Abend, fokussiert. Die hatte einen wirklich perfekten Auftritt – dank Lichtshow, einem beeindruckenden Bühnenbild, Konfettiregen und ihrem zehnköpfigen Bläser-Chor Wonderbrass mehr Theaterinszenierung als Konzert. Björk lieferte Hits, und trotzdem klang alles neu. Und schließlich gab es doch einen magischen Hercules-Moment, beim DJ-Set von JD Samson und Johanna Fateman, zusammen nennen sie sich Men. So diskurslastig und bisweilen anstrengend ihre Band Le Tigre ist, so leichtfüßig gestalteten sie ihr ekstatisches, Hit-gespicktes Set. Bei „Blind“ sang das ganze Zelt mit, Hercules & Love Affair hätten ihre Freude gehabt. Und Men schickten gleich Rage Against the Machines „Killing In The Name“ hinterher. Das musikalische Spektrum von Melt! war fast genauso breit. >»www.meltfestival.de