Ein merkwürdiges Mädchen


Verschlossen, scheu und ungeschminkt: Suzanne Vega vereint all die Attribute, aus denen ein Popstar gewöhnlich nicht geschnitzt ist. Warum hat sie trotzdem Erfolg? Wer ist überhaupt diese Frau, deren Stern auch ohne Glamour glänzt? Jörg Feyer traf …

Mit welchem kommerziellen Kaliber man es in diesem Geschäft zu tun hat, ist nicht zuletzt an den fahrbaren Untersätzen abzulesen, die gelegentlich als Interview-Kulisse herhalten müssen. Suzanne Vega sitzt mir in einem zwar nicht luxuriös, aber allemal komfortabel ausgestatteten Tour-Bus gegenüber und sinniert über der Frage, warum ausgerechnet sie, die sich doch nie hatte vorstellen können, „everybody’s cup of tea „zu sein, genau das geworden ist — breitenwirksamer Soundtrack für Sonntagnachmittage bei Kaffee und Kuchen.

„Es gibt einen Teil in mir“, sagt Suzanne, „dem das gefällt: Ich bin froh, daß es nicht nur einen Typus in meinen Konzerten eibt.“

Und die andere Seite?

„Die andere Seite wundert sich und sorgt sich, daß ich vielleicht zu wahllos und beliebig geworden bin. Als ich ein Kind war, hab‘ ich halt immer gedacht, ich könnte es nie allen Leuten recht machen. Ich sagte mir: Es ist besser, wenn du versuchst, dich damit abzufinden.

Und jetzt finde ich auf einmal heraus, daß viel mehr Leute an mir Gefallen finden, als ich je angenommen hätte. Und ich frage mich: Jlmm, ist das nicht ein bißchen…‘, also mir fällt kein anderes Wort als ‚promiskuitiv‘ dafür ein. Aber ich kann den Leuten naturlich nicht verbieten, meine Platten zu kaufen. Das war‘ doch dumm, oder?“

Ihre Frage-Floskel geht in einem sehr hübschen, sehr neckischen Lachen unter, das meine Cassette noch des öfteren schmücken wird — meist dann, wenn Suzanne Vega mit ihrem eigenen Status kokettiert.

Suzanne Vegas Aufstieg von der Telefonistin, die nach vollbrachtem Tagwerk die Folk-Clubs im New Yorker Greenwich Village beglückte, zur vielumsorgten Attraktion, die monströse Welttourneen planen kann und in der Royal Albert Hall gastieren darf, gehört zweifellos zu den angenehmeren Popmusik-Kapiteln der mittleren 80er Jahre.

Und zu den überraschendsten:

Als im Frühjahr ihr Debut-Album Suzanne Vega erschien, stimmte die Kritikergilde zwar unisono Lobeshymnen an, doch die zuständige Plattenfirma, unsicher, wie diese Neo-Folk-Kiste überhaupt zu verkaufen sei, rechnete wohl bestenfalls mit einem kostendeckenden Einstand.

Tatsächlich kam es anders: Vor allem die Briten spielten Vega-verriickt, hängten ihr gleich zwei Goldene um den schlanken Hals und kauften auch den jüngst erschienenen Nachfolger Solitude Standing binnen weniger Wochen auf Top 5-Positionen. Doch es war wie im besetzten Gallien zu Cäsars Zeiten: Alle waren zufrieden — die Plattenfirma sowieso, das Publikum dito, sogar die professionellen Meinungsmacher, weil sie endlich mal wieder ohne schlechtes Gewissen einen Blick in die Charts werfen konnten — nur Suzanne selbst leistete Widerstand. Ihr Erstlingswerk, monierte sie in Interviews, sei viel zu verhalten ausgefallen; gern würde sie ein bißchen aggressiver sein, auf der Bühne auch mal die Chrissie Hynde (Pretenders) raushängen lassen.

Entschlossen gab Suzanne den Marschbefehl für kommenden Unternehmungen aus: Mehr Schlagzeug! Vielleicht auch ein richtiges Gitarren-Solo? Und sie ließ keine Gelegenheit aus zu betonen, daß sie — neben Leonard Cohen versteht sich — auch Hüsker Du, R.E.M. oder Velvet Underground sehr schätze. Oh. nein, die softe Folk-Else, die fein ziselierte Bekenntnisse zur Akustischen abgibt, sollte sich gar nicht erst in den Köpfen der Kundschaft einnisten …

Solitude Standing, obwohl — glücklicherweise — meilenweit davon entfernt, irgendwie aggressiv oder aufmüpfig sein zu wollen, bringt tatsächlich einen leichten Schwenk in oben annoncierte Richtung. Hier ist Suzanne Vega mit Band zu hören — nicht eine Sängerin und ein paar Begleitmusiker. Die Musik ist nicht länger nur Beiwerk für den Stoff, aus dem Literaturvorlesungen geschnitzt sind.

Steckt dahinter auch das Verlangen, gegen die eigene Kopflastigkeit anzugehen, Musik wieder stärker als körperliche, sinnliche Erfahrung zu entdecken?

„Hmmh … Bisher habe ich die Musik nur als Rahmen benutzt, um die Worte rüberbringen zu können — diesmal wollte ich mehr als eine höfliche Begleitung, die den Songs ein paar wohlgewählte Farbtupfer verpaßt. Das war natürlich auch ein Kampf: Ich mußte lernen, die Band als mein Instrument zu benutzen. „

Die Vokabel „Kampf“ kommt Suzanne auch schnell über die Lippen, wenn sie ihr Verhältnis zu Wörtern und Sprache allgemein charakterisieren soll. In dem neuen Song „Language“ wartet sie gar mit dem Schwur auf:“.Ich werde Worte nicht wieder benutzen. Sie bedeuten nicht, was ich meinte, sie sai>en nicht, was ich sagte.

sie sind nur die Kruste der Bedeu111112 …‘ Im Gesprach hört sich das dann folgendermaßen an: Ja, ich bin ständig frustriert, wenn es um Sprache und Wörter geht. Auch jetzt noch: Manchmal möchte ich etwas sagen, und was schließlich dabei herauskommt, ist etwa ein Zehntel von dem, was ich beabsichtigt halte zu sagen. Ich habe das Gefiihl. einen immerwährenden Kampf auszutragen, um mich besser ausdrücken zu können. „

Gut zwei Jahre lagen zwischen den beiden Vega-Alben — selbst für eine Novizin, die gleich mit dem Erstlingswerk in die Gewinnzone rauschte, eine erstaunlich großzügig bemessene Gnadenfrist. Sicher: Suzanne lieferte einen Beitrag („Left Of Center“) für den“.Pretty In Pink“-Soundtrack und grub einige ältere Texte wieder aus, die Philip Glass für sein Album Songs From Liquid Day vertonte.

Doch auf Solitude Standing mußten wir nicht zuletzt deshalb solange warten, weil die Arbeit an ihrem eigenen Werk von heftigen Selbstzweifeln eebremst wurde. „Zu

Anfang des letzten Jahres“, erinnert sie sich, „gab es eine ziemlich schlimme Phase. Ich halte das Gefühl, daß alle Ideen, die ich hatte, völlig idiotisch und überflüssig sind.

Also mußte ich mich da durchkämpfen und einen neuen Weg für meine Arbeit linden, mein Selbstvertrauen zurückgewinnen. Ich wußte, daß ich Songs auf die Platte bringen müßte, die praktisch .tmgetestet‘ waren, weil ich sie vorher nicht live spielen konnte. Ich mußte den Glauben an mich selbst wieder zurückgewinnen. „

Solitude Standing sollte ursprünglich, wie der a-capella-Auftakt. „Tom’s Diner“ heißen, doch als sie dann im Januar dieses Jahres den Titelsong zu Papier gebracht hatte, fand Suzanne. daß der „den Ton des gesamten Albums viel besser“ träfe. Ein programmatischer Titel, in der Tat: die Charaktere, die Suzannes Songs bevölkern, sind nicht gerade ausgemachte Sozialisationsbolzen: die Einsamkeit wählen sie auch ganz bewußt, um den falschen Freundlichkeiten des flüchtigen Umgangs zu entgehen. „Ich schätze, ich bin am liebsten allein“, sagt Suzanne Vegas Sona-Held „Luka“, „keine Scherben, keine Trümmer …“

Suzanne zuckt mit den Schultern:

„Keine Ahnung warum, aber offensichtlich sind dies die Sachen, die mich interessieren und anziehen, bei denen ich den Drang verspüre, sie genauer auszuloten. „

Und dann doch ein Erklärungsversuch. „Besonders in Amerika herrscht ein regelrechter Druck, immer gut drauf und zufrieden zu sein. Wenn du da ein bißchen melancholisch bist oder dir über einigen Sachen Gedanken machst, halten dich die Leute gleich für überempfindlich oder merkwürdig.

Ich nehme an, daß sich irgendein Teil von mir dagegen wehrt und sagt: „Ich schreibe über die Nacht, wenn ich Lust dazu habe — und schließlich tendieren 95 Prozent meiner Songs in diese Richtung, über traurige Sachen, kranke oder sterbende Leute. Ich habe darüber nachgedacht und mich gefragt: Wie sieht es auf der anderen Seite aus? Wenn du nicht über den blauen Himmel und glückliche Tage schreibst oder darüber, daß du jemanden liebst und dieses Gefiihl erwidert wird? Ich suche halt immer die Schneide des Messers, den Abgrund, weil ich es für wahrhaftiger halte, darüber zu schreiben — auf lange Sicht auch herausfordernder.“

Als ich Suzanne Vega treffe, hat sie erst einige warm-up Gigs hinter sich — und ein wahres Mammutprogramm vor sich: England- und Europa-Termine, dann USA/Kanada, im Herbst Japan und Australien, wieder zurück nach Amerika, und schließlich nochmal etliche Konzerte in Europa, im November auch hier bei uns.

Da kommt auch schon mal ein bißchen Heimweh auf, aber Suzanne versucht, dies alles jetzt, den Augenblick, zu genießen. „Ich werde“, blickt sie nach vorn und gleichzeitig zurück, „nie wieder das zweite Alum machen, nie wieder einfach hinausgehen und zum ersten Mal wirklich Erfolg haben. Ich werde wohl nie wieder so ein Jahr wie dieses haben.“

Unterwegs versucht sie Tagebuch zu führen, vielleicht ein paar Ideen zu skizzieren, die sie dann daheim in New York in Ruhe ausarbeiten kann. „Langeweile“, charakterisiert Suzanne ihren Tour-Alltag, „kommt nur sehr schwer bei mir auf. Ich lese und schreibe, rede mit der Band, denke an die Zukunft, gucke Filme, diskutiere dies und das.“

Gegen den lähmenden Fluch der Bühnen-Routine setzt sie eine Art spirituelles Verhältnis zu ihren Songs. „Es ist“, sagt Suzanne Vega, „als wenn du betest. Wenn du jeden Tag betest, aber nicht richtig mit dem Herzen dabei bist, dann wird es sehr abstrakt und mechanisch. Aber ich versuche immer. Abend für Abend neu, die Tiefe wiederzufinden, die ich hatte, als ich den Song schrieb.

Und solange ich über etwas Wahrhaftiges schreibe, kann ich es auch aushatten, immer weiterzumachen. Wenn ein Song schlecht ist, geht er quasi von ganz allein verloren, aber die wirklich guten, da spielt es keine Rolle wie oft du sie spielst. Da gibt es immer einen kleinen Unterschied, etwa in der Art und Weise des Gesangs, oder du kannst jedesmal tiefer in die eigentliche Bedeutung des Songs vordringen. Wie ein Gebet, ja.“