Einheitswunder: Neustart
Nach ihrem Hit "Populär" verschwanden Nada Surf für Jahre in der Versenkung. Jetzt sind sie glorios zurück: Alles ist gut. Nur die Zeit vergeht zu schnell.
Matthew Caws, 35, hat oft mal feine Ideen. Etwa letztens, noch vor dem Krieg, bei der Friedensdemo in seiner Heimatstadt New York. Zu der waren nach seiner Schätzung mindestens 700.000 Menschen gekommen, die aber von den Ordnungskräften so geschickt in Manhattan verpfercht wurden, dass in den Einstellungen der TV-Kameras wenig zu sehen und in den Medien lediglich von „mehreren Zehntausend“ die Rede war. Da kam ihm die Idee zu einer Aktion, die er „Every 20 Feet“ nennt, und die geht in etwa so: „Du nimmst zum Beispiel Broadway. Den unterteilst du in 20-Fuß-Abschnitte, und über ein Netzwerk vergibst du diese an die Teilnehmer. An einem vereinbarten Tag und Zeitpunkt nehmen alle ihre Plätze ein und halten Transparente hoch. Das sähe beeindruckend aus und wäre, denke ich, weder strafrechtlich noch physisch greifbar“ Klingt wirklich nach einer feinen Idee. „Ja“, lächelt Caws, „ich sollte dran arbeiten. Ich sollte früh aufstehen und mit meinen Freunden dran arbeiten, ich kenne ein paar Aktivisten in New York. Man könnte viel mehr tun. Aber momentan hab ich einfach nicht die Zeit. Schande.“ Das mit dem früh Aufstehen dürfte sich dieser Tage in der Tat schwierig gestalten, denn Matt Caws ist mit seiner Band auf Tour. Und er hat viel Spaß dabei – schlecht für die Nachtruhe.
In den letzten Jahren hatte Caws viel mehr Zeit, als ihm mitunter lieb war. Das liegt daran, dass das Leben vielleicht die schönsten Geschichten, das Musikbusiness aber unter Umständen die beklopptesten schreibt. Caws ist Sänger/Gitarrist/Hauptsongwriter von Nada Surf, und für einen kurzen Moment 1996 waren er und seine Kollegen, Bassist Daniel Lorca und Drummer Ira Elliot, Rockstars. Die erste Single „Popular“ von Nada Surfs Debüt High/Low auf dem Warner-Label Elektra hatte sich als mitteldicker College-Radio-Hit erwiesen, die Band wurde gar schon für die Thronfolge von Weezer gehandelt – als ganz plötzlich wieder Schluss war. Und mehr als das: 1998 war der High/Low-Nachfolger the Proximity Effect fertig und bereits in Europa (vor allem in Frankreich hat die Band bis heute ihre ergebensten Fans) veröffentlicht worden. Als Nada Surf von einer Kurztour nach New York zurückkamen, eröffnete ihnen Elektra, wo man kalte Füße bekommen hatte, man werde das Album in den USA nicht herausbringen, zugleich die Rechte daran weder der Band noch einem anderen Label zugänglich machen. „Engstirnige Business-Prinzipien“, winkt Caws heute ohne erkennbare Verbitterung ab. „Solche Entscheidungen kommen aus den mittleren Management-Etagen. Die haben Angst, dass sie Ärger kriegen, wenn etwas, was sie abgelehnt haben, bei einem anderen Label erfolgreich wird. Also frieren sie’s ein.“ Auf Geheiß der Mutterfirma verschwand The Proximity Effect auch in Europa wieder aus den Regalen – Nada Surf waren auf Grund gelaufen. Willkommen in der Versenkung.
Ich werde oft gefragt: ‚Wie waren diese Jahre? Muss ja furchtbar gewesen sein, so eine Karriere-Katastrophe!'“, lacht Caws, „aber ehrlich gesagt war diese Zeit zu Hause wundervoll. Ich habe einfach das Leben genossen.“ Knappe drei Jahre arbeitete er in einem Plattenladen in Brooklyn, Lorca jobbte als Programmierer. Parallel verhandelten sie unermüdlich mit Elektra, um ihr eingekerkertes Album freizubekommen. Ans Aufhören dachten sie nie. „Vor der Band war ich Redakteur bei ‚Guitar World'“, erklärt Caws. „Wenn ich in dieser Stillstand-Phase gedacht hätte, Nada Surf sei vorbei, hätte ich vielleicht einen Antrieb gehabt, mich wieder nach einem richtigen Job bei einem Magazin oder so umzusehen. Aber so konnte ich das nicht guten Gewissens tun.“ Aber frustriert es denn nicht, wenn so mit einem umgesprungen wird? Zwischendurch dachte ich schon: ‚Verdammt!‘, aber wir empfanden den Absturz ja nicht als Versagen unsererseits. Weil der Erfolg reiner Zufall gewesen war. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass wir es unbedingt verdient gehabt hätten, oben zu sein, dass uns etwas weggenommen worden war… aber dem war ja nicht so.“ Diese stoische Haltung wurde schließlich belohnt: 2001 ließen sich Elektra erweichen und verkauften Nada Surf deren eigenes Album. Die Band veröffentlichte The Proximity Effect in den Staaten im Eigenvertrieb und hatte endlich die Köpfe frei, an einer neuen Platte zu arbeiten. Es entstand – und jetzt wird die Geschichte doch noch richtig schön Let Go, ein Album von so entwaffnender Anmut und hochverdichteter Pop-Euphorie, so gedrängt voll mit bedingungslos liebenswerten Ohrwürmern, dass man es in den Pausen zwischen den Songs fast zu hören glaubt: das leise Schluchzen eines Elektra-Executives, mittlere Management-Etage, Bürotür zu, Telefon auf stumm.
Im September 2002 erschien Let Go Europa – im UK auf Heavenly, auf dem Festland bei City Slang/Labels (die im Januar auch den verschollenen Proximity Effect herausbrachten). Warum Nada Surf seither nicht längst in höchsten Charts-Höhen zur Rechten von Coldplay und Travis sitzen, wäre wahrscheinlich ein Fall für Mulder & Scully. Aber auch wenn Radio-DJs und Medien noch zögern, der Cult Of Nada Surf wächst, im März spielte die Band ihre zweite weitgehend ausverkaufte Europa-Tour in drei Monaten. Ein bisschen von diesem Schwung aus der Alten Welt hoffen Caws, Lorca und Elliot für die USA nutzen zu können, wo Let Go erst jetzt erschien, beim Indie Barsuk. „Das sind Leute, die wir schon sehr lange kennen, das hat sich ganz natürlich ergeben.“ Gib es denn anderweitige Angebote? Schließlich ist das Album in Europa sehr gut besprochen worden. „Wir haben mit keinen großen Firmen geredet, das wollten wir gar nicht“, sagt Caws und mag sich dann doch ein bisschen grinsende Genugtuung nicht verkneifen: „Jetzt sind ein paar hinter uns her, aber es freut mich sagen zu können: Es ist zu spät.“
Mit der Nachtruhe ist es dann auch in München wieder nichts geworden. Nach dem Konzert im New Backstage (das übrigens auch noch den letzten dem Autor bekannten Nada-Surf-Skeptiker Joachim H. zumindest temporär zu der Band zu bekehren imstande war) lief Matt Caws noch lange auf der schlecht besuchten Rockparty im Anschluss herum. Plauderte, flirtete, schenkte Wein aus und kramte dann seine derzeitige Lieblings-CD von The Long Winters (ein Barsuk-Signing) aus dem Tourbus, nötigte den DJ, ein paar Songs davon zu spielen, und mühte sich singend, alle für diese „amazing amazing“ Band zu begeistern. Und war immer noch am Rumoren, als ringsum langsam Segel gestrichen wurden. „Ich bin ein Morgenmensch, gefangen im Körpereines Nachtmenschen“, sinniert Caws lachend. „Ich sollte mir angewöhnen, früh aufzustehen. Ich stehe meistens erst auf, wenn ich muss. Aber wenn ich ab und zu früh rauskomme, ist das wie Magie! Plötzlich wird einem klar: Das ist es! Weil man so viel Zeit hat! Natürlich ist es lustig, abends lange zu machen, aber man sollte ab und zu mal zu sagen:, Okay,für mich ist es jetzt Zeit für die Falle.‘ Und dann geht’s doch wieder so ,Ah, einen Drink noch. Und noch einen. Und noch einen. Haha!“ Der Typ in „Treading Water“, „always rushing, always late“, das ist er selber, was? „Ja. Das bin ich. Und wenn ich mal nicht zu spät dran bin, ist das immer eine Erleuchtung. Ich seh es so: Wenn du früh dran bist, erschaffst du Zeit, wenn du spät dran bist, zerstörst du Zeit. Wenn du zu spät dran bist, ist alles, woran du denken kannst, dass du zu spät dran bist. Wenn du aber früh dran bist, kannst du nachdenken, worüber du willst. Reflektieren. Kreativ sein. Ideen haben.“ www.nadasurf.com