Einstürzende Neubauten
Es waren zwei Schritte, mit denen die Einstürzenden Neubauten den Weg von der großen Theatralik zum großen Theater nahmen. Der erste fand 1987 statt, als sich die bis dato gnadenlos improvisierenden Krach-Konstrukteure im Hamburger Schauspielhaus der Disziplin eines Theaterstücks unterwarfen und zu Peter Zadeks „Andi“ live Musik beisteuerten. Doch damals waren Bargeld, Hacke, Chung, Einheit und Unruh nurTeil der Inszenierung eines anderen – heute dagegen inszenieren sich die neuen Bauten (Bargeld, Hacke, Unruh, Arbeit und Moser) mit großer Geste selbst. Und das dürfte an keinem anderen Abend in der Existenz dieses Ensembles deutlicher geworden sein als an jenem 1. April 2000, an dem sich die Impromptu-Gründung der Einstürzenden Neubauten zum zwanzigsten Mal jährt. Um dieses nie für möglich gehaltene Ereignis zu feiern, hat die Band einen Abend arrangiert, der nicht nur mit einer Spielzeit von drei (!) Stunden verblüfft, nein, man hat auch das Internet als virtuelle Musikbox genutzt, in der sich Fans und Freunde vorab Titel für diesen Abend wünschen konnten. Und so geht es durch ein Repertoire, das vom Album-Debüt „Kollaps“ bis zum aktuellen „Silence Is Sexy“ dem Hörbarmachen von Alltagsgegenständen gewidmet ist:“Das Lied ist in der Maschine“ singt Bargeld, der sich längst vom Schmerz gepeinigten Anti-Helden zum Conferencier eines innovativen Kammerorchesters entwickelt hat, das dem Kunstlied nähersteht als dem atonalen Fegefeuer. Doch dieser Schritt erweist sich als richtig, denn er ist der Ehrlichkeit geschuldet, dem Gefühl, dass sich selbst nur treu bleiben kann, wer die Improvisation nicht zur Routine und den Wutausbruch nicht zum allabendlichen Gag verkommen lässt. So machen die Neubauten ihre punktuellen Lärm-Angriffe nur umso effektvoller, indem sie diese mit beinah balladesker Ruhe kontrastieren. Deutlich wird diese Leidenschaft an der Inszenierung im Ablauf der Szenen: Zur ersten erscheint Meret Becker als engelsgleiche Lichtgestalt im weißen Abendkleid, um in „Stella Maris“ eine entfernte Ahnung davon aufkommen zu lassen, wie sich die Neubauten eine Show in Las Vegas vorstellen könnten. Es folgt – wie in jedem guten Theaterstück – eine Pause, bevor ein Streicherensemble erscheint, um die Atonalen behutsam an die Sinfonisierung ihres Alterswerkes heran zu führen. Nach diesem zweiten Akt und vielen Zugaben endet ein Abend, der gezeigt hat, dass die ursprüngliche Vision der Neubauten tragfähig genug war, zwei Jahrzehnte auszuhalten, in denen die Band neugierig genug geblieben ist, um dem eigenen Klischee immer wieder zu entkommen. Der jüngste Schachzug ist die Darstellung der eigenen Geschichte: Die Gefühle von einst werden auf die Theaterbühne gestellt und mit einer gewissen Distanz aufgeführt.