Elastica


Alles nur geklaut? Drei Frauen und ein Mann beschäftigen mit ihrem Plastik-Pop nicht nur die Charts, sondern auch die Anwälte, denn nichts ist ihnen heilig: Elastica vergreifen sich mit Vorliebe an den Ikonen der New Wave

Die „New Wave of New Wave“ hat’s allem II Hype zum Trotz bis heute nicht über ein V Mauerblümchendasein hinaus gebracht, selbst im Geburtsland Britannien nicht. Einzige Ausnahme: Elastica. Das Quartett um die ehemalige Suede-Gitarristin Justine Frischmann liegt mit seinem Sound allerdings so verdammt dicht neben den trendsettigen Ohrwürmern aus der ersten New Wave, daß nicht nur die Hits unausweichlich waren, sondern prompt auch Rechtsanwälte und Kanzleien beschäftigt wurden.

Die Gesamtauflage ihrer ersten Single – immerhin 1.500 Exemplare – ging innerhalb von zwei Werktagen weg wie warme Semmeln und die nächste, ‚Line Up‘, mauserte sich gar zu einem veritablen Pop-Hit. Die elastische Karriere stand von Anfang an unter einem äußerst glücklichen Stern, wie selbst Chefin Justine Frischmann zugeben muß: „Ich hätte nie, nicht einmal in meinen kühnsten Träumen erwartet, daß den Leuten unsere Musik überhaupt gefällt. Wir hatten uns eigentlich schon darauf eingestellt, die nächsten jähre in einem klapprigen Ford Transit übers Land zu ziehen und uns danach besseren Dingen zuzuwenden. Nur den Spaß an der Sache wollten wir uns nicht nehmen lassen.“ Was es heißt, den zu verlieren, hatte sie schließlich bei Suede gelernt. Für die Band und ihren Sänger Brett Anderson, mit dem sie damals liiert war, hatte Justine sogar ihr Architekturstudium auf Eis gelegt. Ernüchterung trat – wie in jeder anständigen Beziehung – recht bald ein: „‚Gott, muß das nun wieder sein!‘, dachte ich, wenn der damalige Gitarrist Bernard Butler wieder mit einem seiner berüchtigten Soli loslegte. Weil ich aber festes Mitglied in der Band war, mußte ich mir diesen Mist jeden Tag anhören und langweilte mich zwei Jahre früher als das Publikum. Wahrscheinlich kam genau dieses Publikum zu einem ähnlichen Schluß, als wir Elastica aufs Gleis schoben.“

Die 25jährige Justine hatte nie auch nur den geringsten Hehl daraus gemacht, daß die New Wave der 80er Pate bei der Taufe von Elastica stand: „Gitarrist gesucht, muß auf Bands wie The Fall, The Stranglers und Wire stehen“, hieß es kurz und knapp im Anzeigenteil des Melody Maker.

Donna Matthews, 22 Jahre jung, meldete sich. Wie Millionen anderer Briten auch hatte sie zwar keinen blassen Schimmer von Wire oder The Fall, aber immerhin ein Poster vom nackten Stranglers-Bassisten Jean-Jacques Burnel an der Wand hängen: „Für mich waren die Stranglers die Größten. Deshalb dachte ich mir auch: Wenn die darauf abfahren, müssen sie okay sein.“ Gitarristin Donna erwies sich als Bonus für die Band, die bis dahin im Sumpf der Londoner In-Szene zu versinken drohte: Die makellos „coole“ Frischmann zum Beispiel teilte Bett und Herd mit Blur-Frontmann Dämon Albarn und stand gewissen Schlüsselfiguren am Londoner Medienhimmel nahe. Donna hingegen hatte noch den frischen Tau tiefster Provinz im Tornister. Justine Frischmann erinnert sich: „Donna war wie die Unschuld vom Lande. Sie kannte keine der typischen Melody Maker und New Musical Express-Bands. Das wirkte ungemein erfrischend auf uns.“

So machten sich Frischmann, Matthews, die 29jährige Bassistin Annie Holland und der einzige Mann in der Runde, der 21 Jahre alte Justin Welch am Schlagzeug, daran, die musikalischen Wurzeln aller miteinander zu verknüpfen. Das allerdings angereichert mit so offensichtlichen „Zitaten“ und Anspielungen, daß sich unter die anfängliche Begeisterung derer, die die Originale nicht kannten, schon sehr bald laute Proteste und schließlich sogar Plagiatsvorwürfe mischten.

Ein Song wie Vaseline‘ sei praktisch die kleine Schwester von Blondies ‚Sunday Girl‘, hieß es, ‚Connected‘ bei Wires‘ ‚Three Girl Rhumba‘ geklaut und ‚Waking Up‘ bei ‚No More Heroes‘ von den Stranglers abgekupfert. In der Tat einigten Elastica sich mit den Stranglers und Wire außergerichtlich auf die Zahlung von Tantiemen. „Es stimmt, die Musik dieser Bands – vor allem Wire – hat mich inspiriert“, so Justine Frischmann, hauptverantwortlich für das Gros der Songs und von der englischen Presse schon als ’neue‘ Chrissie Hynde apostrophiert. „Wenn jemand unsere Musik hört und sich danach eine Wire-Platte kauft, finde ich das brillant. Aber was wir machen, ist bestimmt kein Plagiarismus. Wir wollen auch bestimmt keine neue Wave lostreten. Wir sind nun mal rein zufällig, von New Wave-Bands der 80er Jahre geprägt.“

Tatsächlich hätten The Stranglers und Wire, die Hauptakteure in diesem urheberrechtlichen Rührstück, kaum den Rechtsweg beschritten, wären ihre jeweiligen Musikverlage nicht dieser lukrativen Idee verfallen. Elastica proben im gleichen Studio wie die Stranglers, und da trifft man sich schon mal auf ein freundliches Bier. Auch Ex-Wire-Mann Colin Newman nimmt’s gelassen: „Sowas ist in unserem Business doch gang und gäbe. Wir haben ja letztlich nur davon profitiert, so daß wir jetzt wieder im Gespräch sind. Nur eines verstehe ich überhaupt nicht: warum all diese neuen Bands heute so total Retro eingestellt sind?“, brummt er durch’s Telephon.

Retro hin, Retro her: Elastica haben mit ihrem gleichnamigen Debutalbum auf jeden Fall bewiesen, daß die alte Formel „flottes Tempo + knackiger Refrain + aparte Frontfrau = Hit“ auch 1995 noch immer Massen zieht, wenn man’s nur clever anstellt: in ihrer britischen Heimat schnellte das Debütalbum von Null auf die Nummer Eins in den Charts.